[325] Wallet sanft, ihr Töne!
Salem glänzt, die Schöne,
Mir ins Angesicht.
Festlich strahlen dorten
Diamantne Pforten,
Hell, wie Sonnenlicht.[325]
Ist ein Stein,
Ein Glas so rein?
Glänzt, wie Salem in der Ferne,
So die Pracht der Sterne?
Aller Glanz verdunkelt,
Der auf Erden funkelt,
Sonn' und Sonnenstrahl,
Jaspis und Rubinen,
Spielend Feu'r in ihnen,
Morgenthau im Thal.
Kronenpracht
Verlöscht, wie Nacht,
Wenn der neuen Sonne Strahlen
Salems Pforten malen.
Gott ist ihre Sonne,
Ist der Frommen Wonne,
Und sie preisen ihn.
Lebensström' ergießen
Sich vom Stuhl und fließen
Ueber Goldsand hin.
Und vom Thron
Erschallt der Ton:
Schauet, Gott in ihrer Mitte,
Der Erlösten Hütte!
Von dem neuen Lichte
Trocknen im Gesichte
Alle Thränen auf.
Laute Klagen schweigen;
Keine Seufzer steigen
Von der Erd' hinauf.
Gram und Noth,
Geschrei und Tod,
Blasse, ausgeweinte Wangen,
Alles ist vergangen.
Alle Ueberwinder
Nenn' ich meine Kinder,[326]
Und ich bin ihr Gott,
Alles, alles erben
Helden in dem Sterben,
Christen in dem Tod.
Jedermann,
Wer kämpfen kann,
Juden, Könige und Heiden
Gehn im Licht der Freuden!
Doch der Sklav der Sünden,
Feig zum Ueberwinden,
Erbt die Krone nicht.
Finstere Verbrecher
Fliehen vor dem Rächer,
Wandeln nicht im Licht.
Sünder, flieht!
Die Rache glüht,
Und sie ruft mit ernstem Munde:
Draußen sind die Hunde!
Erster! Letzter! komme!
Siehe, wie die fromme
Seele zu dir wallt!
Doch die Ohren hören
Harmonie der Sphären:
Ja! ich komme bald!
Schon erscheint
Der Menschenfreund!
Seele, nenne seinen Namen:
Komm, Herr Jesu! Amen.
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Gedichte
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