Bußklage

[289] Mel. Die Seele Christi heilige mich etc.


O Gott, mit Thränen sing' ich dir

Die Aengsten meiner Seele für!

Ich weiß, begnadigt hast du mich,

Und dafür preis' ich ewig dich.


Allein noch hab' ich heißes Blut,

Noch immer Hang zum Wankelmuth,

Zur Trägheit, Sicherheit, und ach!

Ein Säugling bin ich noch und schwach.[289]


Du weißt, wie gerne noch mein Geist

Dem Ernst der Andacht sich entreißt

Und in zweckloser Wirksamkeit

Die Strahlen seiner Kraft verstreut.


Drum zweifl' ich oft im bittern Schmerz:

Wird's auch beständig sein, mein Herz?

Werd' ich auch treu sein bis zum Tod,

Wenn Fleisch und Welt und Satan droht?


Ein Rohr bin ich, des Windes Spiel;

Werd' ich im wonnigen Gefühl

Von deiner Gnade fallen nicht,

Gott, in der Sicherheit Gericht?


Werd' ich nicht öfters auf dem Weg

Zum Himmel stehen bleiben? träg

Und kalt zum muth'gen Vorschritt sein?

Das Ringen durch die Pforte scheun?


Und werd' ich nicht im eitlen Wahn,

Als hätt' ich schon genug gethan,

Entschlummern, wie die Thorheit that,

Als sich der Bräutigam genaht?


Werd' ich des Himmels Pforte schau'n

Von ferne nur, mit heil'gem Graun?

Und schließest einst, Weltrichter, du

Vielleicht sie mir im Zorne zu?


Werd' ich aus meiner Kerkernacht

In ew'ge Finsterniß gebracht?

Aus menschenloser Einsamkeit

In der Verworfnen Dunkelheit?


Wenn um mich her der Stärkre irrt,

Der Fromme kaum erhalten wird;

Wer spricht mich schwächern Erdwurm frei

Vom Fall und Höllensklaverei?[290]


Mir fehlt noch viel, Gott ist's bekannt,

Nur Dämmerung ist mein Verstand,

Mein Herz, das gern in Wogen steigt,

Ist noch nicht tief genug gebeugt.


Ich scheu' zu sehr des Kampfes Schweiß,

Oft bin ich Feuer, öfters Eis,

Schlag' oft an's Herz und sprech' ihm zu:

O Herz, o Herz, wie hart bist du!


Zwar fühl' ich oft der Liebe Gluth

Und wein' die herbste Thränenfluth;

Doch diese Thränen stehen still

Und fallen nicht, so oft ich will.


Auch mitten in der Andacht trifft

Mich oft ein Pfeil getaucht in Gift;

Mich schreckt der Erdenlüste Bild,

In Zauberdüfte eingehüllt.


Oft denk' ich, Gott sei, wie ich bin,

Von leichtem, wandelbarem Sinn,

Der so genau nicht immer wägt

Und Staub auf seine Schale legt.


Auch mischt sich so viel Sinnlichkeit

Ins Bild der künft'gen Seligkeit;

Ich schaffte mir ein Himmelreich

Des Herzens liebsten Wünschen gleich.


Spannt Ohnmacht meine Nerven ab,

So zittr' ich ängstlich vor dem Grab;

So viele Noth, die mich beschwert,

Macht mir den Tod nicht wünschenswerth.


Oft möcht' ich frei sein, seufze dann:

Mich armen, mich gefangnen Mann

Drückt viel zu lang der Thorheit Schuld;

Ach Gott! ist dies nicht Ungeduld?[291]


Zwar steh' ich, weil dein Arm mich hält,

Und kämpfe, daß mir Schweiß entfällt;

Doch werd' ich immer stehn? Wird nie

Im Kampfe sinken Arm und Knie?


O der mir so viel Huld erwies,

Mach doch mein armes Herz gewiß,

Damit es tiefe Wurzeln schlägt,

Emporstrebt und viel Früchte trägt.


Gekreuzigter, der mich ergriff,

Sieh', meine Seele neigt sich tief,

Umarmt dein Kreuz und läßt es nicht,

Bis deine Huld ihr Trost verspricht.


Ich weiß, wen du dir ausersehn,

Den läß't du nicht am Abgrund stehn,

Ganz reiß'st du ihn aus der Gefahr;

Du thust nichts halb, du thust es gar.


O bring mich weiter, weiter fort

Durch Züchtigung, durch Geist und Wort;

Laß mich nie ruhen, als wenn du

Mich selbst erquicken willst durch Ruh'.


Wenn du die Hände nach mir streckst,

Aus trägem Schlummer mich erweckst,

Mir vorgehst auf dem Weg ins Licht;

Mein Führer, o so fall' ich nicht.


Drum, Jesus Christus, bitt' ich dich,

Nenn' auch vor deinem Vater mich,

Daß Glaub' in meiner Seele steigt

Und Demuth mir mein Herz stets beugt;


Daß er mir gebe Muth im Streit,

Ein festes Herz voll Männlichkeit,

Ausdaurende Geduld in Noth

Und Treue, Treue bis zum Tod! –

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 289-292.
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