Ermunterung

[298] Auf, mein Geist, in freie Luft

Aus dem Angstgedränge!

Diese dunkle Todtengruft

Ist dir viel zu enge!

Du bist frei!

Sklaverei,

Kerker, Zwang und Bande

Sind des Geistes Schande.


Eines Christen Geist durchdringt

Dicke Felsenquader;

Fessellos und leicht geschwingt

Hebt er sich zum Vater.

Gottes Hauch

Bist du auch!

Soll Jehovah's Hauchen

Hier in Angst verrauchen?


Sieh das blaue Sternenfeld

Wogig um dich fließen;

Sieh den Mond, und sieh die Welt

Unter deinen Füßen.

Sieh das Licht!

Funkeln nicht

Deines Gottes Wunder

Ueberall herunter?


Sieh die ungeheure Zahl:

Thiere, Seelen, Geister

Stehn und preisen überall

Ihren Gott und Meister.

Staub und Stern

Singt dem Herrn;

Seele kannst du schweigen

Unter so viel Zeugen?


Schwache Seele, willst du nur

Mit dem Schöpfer zanken?

Heb dich über die Natur,

Lern für's Elend danken,[299]

Unter Zucht

Wächst die Frucht,

Reift der Geist zu Freuden

Wahrer Seligkeiten.


Siehst du am krystallnen Meer,

Dort die Schaar der Frommen?

Aus der großen Drangsal her

Ist die Schaar gekommen.

O wie preist

Nun ihr Geist

Gott für kurze Plagen,

Die sie hier getragen.


Drum, mein Geist, laß keine Noth

Dich zur Kleinmuth bringen;

Sei nur treu bis in den Tod,

Dann wird dir's gelingen,

Daß du noch

Christi Joch

Sanft und rettend heißest,

Und den Vater preisest.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 298-300.
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