Nach dem Genuß des heiligen Abendmahls
Erste Abtheilung

[302] Wie leicht und wohl ist mir um's Herz!

Ach Gott! wie dank' ich dir!

Ein ganzer Berg von Höllenschmerz

Ist weggewälzt von mir.


O stör' mich nimmer, Weltgetreib,

Ihr Zweifelswogen ruht;

Ich aß ja Jesu Christi Leib,

Trank Jesu Christi Blut.


Als ich den Bund des Kelches sah,

Und das geweihte Brod,

So war mein Geist auf Golgatha

Und feirte Jesu Tod.


Ich aß den Leib, ich trank sein Blut,

O Erd' und Himmel schwand,

Als ich der frohen Andacht Gluth

Tief in der Seel' empfand.


Mich däucht, ein Engel lüpfte mir

Des Himmels Vorhang auf;

Ich sah, Lamm Gottes! sah zu dir

Von Thränen hell hinauf.[302]


Du sahst mir freundlich ins Gesicht,

Sprachst: Ich, dein Mittler, ich

Gedenke deiner Sünden nicht;

Versöhnet hab' ich dich.


Und Engel sangen um mich her:

Du bist versöhnt, versöhnt!

Nicht Tod und Hölle schreckt dich mehr;

Versöhnt bist du, versöhnt.


Die Engel nannten Bruder mich

Und sangen: Dort am Thron,

Versöhnter Bruder! sproßt für dich

Die junge Palme schon.


Und Ahnungen der Seligkeit

Durchschaurten meine Brust;

Weit ward mein Herz, von Wonne weit,

Und voll von Himmelslust.


Zweite Abtheilung

Wär's möglich, daß ich dich betrübt?

Dich, Wundervoller! dich,

Der Sünder bis zum Tod geliebt,

Auch mich Verirrten, mich!


Dich, der mir zärtlich eilte nach

Auf breiter Lasterbahn,

Mich sanft ergriff und freundlich sprach:

Was hab' ich dir gethan?


Der, als mich alle Welt verließ

Im dumpfen Felsenschoß

Mir seine Wundenmahle wies

Und Muth ins Herz mir goß.


Dich, Lindrer meiner Seelenqual,

Dich konnt' ich fliehen, dich?

O Bundeskelch! o Abendmahl!

Du bist mir fürchterlich![303]


Verzeih mir Gott, wenn eine Zähr'

In Kelch der Liebe fällt;

Ach! ich versink', Unendlicher!

Wenn mich dein Arm nicht hält.


Nun fühl' ich deiner Gnade Last,

Wie vor die Last der Schuld;

Denn daß du mich begnadigt hast,

Ist höchster Liebe Huld.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 302-304.
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