Die Goldne Zeit

[203] Der junge Bauer.


In einem alten Buch, das ich bei'm Pfarrer fand,

Hab' ich einmal gelesen,

Daß ehmals eine Zeit gewesen,

Die man die goldne Zeit genannt.

Da ist das Korn von selbst hervorgekommen,

Die Fische sind im Teich gekocht herumgeschwommen,

Die Bäche waren lauter Wein

Und in der Luft sah man gebratne Tauben fliegen.

O wäre noch die Zeit! denkt, Vater, welch' Vergnügen,

In solcher Welt ein Mensch zu sein!


Der alte Bauer.


Ja doch! du brächtest viel von diesen Raritäten

Auf deinen Tisch! – Jetzt sind wir nicht in Nöthen;

Dann wären wir gewiß ein gut Theil schlechter dran.

Sprich: wenn der König selbst sein Feld bestellen könnte,

Ob er ein Plätzlein uns zu einem Acker gönnte?

Jagd, Aecker, Fischerei maßt' er gewiß sich an,

Was bliebe dann für uns in diesen goldnen Zeiten?


Der junge Bauer.


Nein, Vater! so müßt ihr's nicht deuten!

Das steht ja nicht im Buch! Ihr irret euch!

Dann wäre ja kein Herr! Wir alle wären gleich!


Der alte Bauer.


Noch besser Alle gleich! Ei was für Zank und Streiten,

Und Morden würde nicht entstehn?

Wie oft Gewalt für Recht ergehn?

Nein! Jetzt kann jeder doch, was er erwirbt, behalten,

Hat ruhig sein Stück Brod, das Arbeit ihm versüßt!

Drum geh mit deinem dummen Alter,

Und laß die Welt, so wie sie ist!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 203-204.
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