Frühlingslied eines Greisen

[399] Hier in diesem Paradiese

Find ich bald – ach bald mein Grab;

Alt bin ich, und meine Füße

Stützt schon dieser Dornenstab.


Aus der schönen Welt zu scheiden,

Guter Gott, das fällt mir schwer.

Zwar erlebt' ich manches Leiden,

Aber doch der Freuden mehr.[399]


Athme deine Balsamdüfte

Mir zum letztenmal, Natur.

Spielt, ihr warmen Frühlingsdüfte,

Mit den Silberlocken nur!


Bald werd' ich die grünen Haine

Und die Hecken nimmer sehn!

Gott vergib mir's, wenn ich weine;

Denn die Welt ist gar zu schön.


Nachtigallen im Gesträuche,

Lerchen in der blauen Luft,

Singt nur, singt mir halben Leiche

Todtenlieder in die Gruft.


Doch ich schlafe – Deine Güte

Ist's, du guter Frühling, du!

Decke mich mit Aepfelblüthe

In dem sanften Schlummer zu.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 399-400.
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