Erstickter Preisgesang

[75] Singen will ich, Schöpfer, singen

Dir mit heiterem Gemüth;

Hell, wie Waldgesang, erklingen

Soll vor dir, o Gott! mein Lied.

Woge, Geist, in mir, frohlocke,

Und zerfließ' in Lobgesang;

Töne wie die Silberglocke,

Brause wie der Orgel Klang.


Geister, die wie Feuerflammen

Um den Thron des Höchsten stehn,

Engel, Menschen, singt zusammen;

Helft mir meinen Gott erhöhn!

Hallt Posaunen, Davids Psalter,

Harfe, die Eloa schlug,

Tönt dem Schöpfer, dem Erhalter!

Doch ihr tönt nicht laut genug.


Thier' in Wäldern und in Meeren,

Vögel in der Luft, im Hain,

Preist ihn all'; ihr Christenzähren,

Strömt voll Dank und Wonne drein.

Aber – Weh'! wie schmerzt die Wunde –

Ach! mich Armen traf ein Pfeil;

Der Gesang erstickt im Munde,

Wandelt sich und wird Geheul.


Sieh dich um, du bist gefangen –

Der Gedanke stürzt auf mich;

Sieh am Arm die Fessel hangen,

Sieh die braune Wand um dich![75]

Ha! ich seh' das Nachtgefieder

Ausgebreitet über mir;

Gott! ach Gott! ich stürze nieder,

Und mein Lied verstummt vor dir!


So beginnt im Morgenstrahle

Oft des Finken Lobgesang;

Ach! er sieht im nahen Thale

Nicht des Vogelmörders Gang!

Plötzlich aus dem ehrnen Schlunde

Fliegt der mörderische Schrot;

Blutig, mit geschloßnem Munde,

Liegt der arme Vogel todt.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 75-76.
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