Dritter Gesang

[293] 1.

Wie langsam nur die goldne Pomeranze,

Dein Pflegekind, zur saft'gen Reife schwillt.

Seit fünfmal schon der Baum im Blüthenglanze

Dein still Gemach mit süßem Duft gefüllt,

So, Herrin, keimt an unsres Lebens Kranze

Manch Hoffen auf und schwindet ungestillt.

Wohl können wir von gutem Glück schon sagen,

Will uns der Herbst auch eine Frucht nur tragen.


2.

Drum ist es gut nur einen Wunsch zu hegen,

In dem vereint des Lebens Strahlen glühn.

Und sehn wir auch auf vielverschlungnen Wegen

Manch Traumgebild vor unserm Aug' entblühn,

So laß uns thun, wie leichte Wandrer pflegen,

Die hier und dort im Schatten wohl verziehn,

Doch munter bald entfliehn auf raschen Füßen,

Um Weib und Kind am Abend noch zu grüßen.
[294]

3.

Denn was man tief in einem reinen Herzen

Empfangen hat, erzogen und genährt,

Dem folge man durch Thränen und durch Schmerzen,

Durch Sturm und Nacht, durch Woge, Flamm' und Schwert.

Gefällt es auch den Göttern oft zu scherzen,

Wenn Vieles wir und Thörichtes begehrt,

Dem edlen Wunsch, dem ungetheilten Streben

Wird gern zuletzt der Siegeskranz gegeben.


4.

Und muß ich selbst dies Wort auch Lügen zeihen,

Weil ohne Frucht mein treues Ringen blieb,

So werd' ich doch die Stunde nie bereuen,

Die mich hinaus in diese Wellen trieb.

Denn willst auch du mir keine Gunst verleihen,

So fand ich doch ein andres holdes Lieb;

Das milder stets, je mehr dein Stolz mich kränkte,

Mir süßre Huld und reichre Gaben schenkte.


5.

So war's Alpin, dem Sänger, auch ergangen,

Dem, seit das Glück ihn trügerisch verließ,

Gar hold gepflegt von Wehmuth und Verlangen

Sich freundlicher die Muse stets erwies.

Wie manche Dichter priesen und besangen

Die goldne Zeit, das sel'ge Paradies,

Doch jene, die das Schicksal dort geboren,

Sie priesens nicht, weil sie es nicht verloren.
[295]

6.

Doch sind es jetzt nicht Schatten nur und Träume,

Die vor Alpin im Flug vorübergehn,

Nein, freundlich wie durch sanftbewegte Bäume,

Durch Blüthenhauch und leichtes Frühlingswehn,

Durch Nebelduft und flücht'ge Wolkensäume

Zu uns herab die festen Sterne sehn,

Will jetzt auch ihm aus irren Traumgestalten

Ein sichres Bild der Hoffnung sich entfalten.


7.

Und so begann sein zweifelnd Herz zu sinnen:

Was winkst du mir so freundlich, holdes Licht,

Und mußt doch bald erbleichen und zerrinnen,

Ein süßer Traum, ein täuschendes Gedicht!

Weh mir! was kann ich hoffen, was gewinnen,

So lang mein Glück ein Traum nur mir verspricht?

Ein Schattenbild, das nächt'ge Düfte weben,

Kann das entblühn zu Farbe, Licht und Leben?


8.

Doch sollten so die Götter uns betrügen,

So grausam seyn im Uebermuth der Macht,

Daß sie von fern uns holde Bilder lügen,

Wenn sie uns Schmerz und Täuschung zugedacht?

Sey mancher Traum auch unsrer Brust entstiegen,

Die meisten sind aus tieferm Quell erwacht,

Und nahn schon jetzt dem künft'gen Kreis' im Stillen

Wie Geister, die in Körper einst sich hüllen.
[296]

9.

So ist es hier! Erschien in manchen Stunden

Nicht räthselhaft mir jenes theure Bild,

Von Rosen rings geröthet und umwunden,

Und selbst zuletzt zur reichen Blüth' enthüllt?

Nicht hat mein Herz den holden Traum erfunden,

Er lebte schon, noch eh' er sich erfüllt,

Nur hält erst jetzt den Gast aus luft'gen Landen

Die Wirklichkeit an sichern Liebesbanden.


10.

Doch sey es auch; nicht wird er mir entblühen,

Der zarte Kelch, worin mein Hoffen ruht.

Hat doch das Glück mir Armen nichts verliehen!

Dies Saitenspiel, es ist mein einz'ges Gut.

Wie darf ich denn um jenen Preis mich mühen,

Der Gaben heischt, nicht Liebe nur und Muth!

Ein Andrer wird, kein Beßrer, ihn erwerben!

O bittres Loos, viel härter noch, als sterben!


11.

Doch muß ich auch im tiefen Schmerz vergehen,

Wenn liebend dann im fremden Arm sie glüht,

Doch freu' ich mich, noch einmal sie zu sehen,

Von der so lang mein finstres Loos mich schied.

Mein letztes Lied soll freundlich sie umwehen,

Und sterben soll mein Hauch in diesem Lied,

Wie hold der Schwan mit süßen Melodien

Die Strahlen grüßt, die jetzt ihn ewig fliehen.
[297]

12.

Und wird dann einst durch ihr entblühtes Leben

Mit mattem Glanz, wie ein umwölkter Stern,

Das Schattenbild verklungner Tage schweben,

Wohl denkt sie dann auch meiner Lieder gern,

Und wie für sie ich alles hingegeben,

Und wie ich jetzt so fremd ihr bin und fern.

Wohl wird sie dann mit nassen Augen klagen:

Er war es werth, zu lieben, zu entsagen.


13.

So sinnt sein Herz, indeß sie weiter schreiten;

Doch ob er selbst auch jeden Trost sich nimmt,

So fühlt er doch, daß hier und dort von weiten

Verführerisch noch manches Fünkchen glimmt.

So sieht man oft das Schiff mit Stürmen streiten,

Indeß den Mast ein heller Schein umschwimmt.

Nicht will sein Geist der Hoffnung Quell ergründen,

Ihm ist's genug, sie heimlich zu empfinden.

14.

Jetzt wandeln sie durch jene grüne Weide,

Wo schön geschmückt die bunten Zelte stehn,

Rings glänzt die Pracht, der Ueberfluß, die Freude,

Gesang und Tanz erschallt durch Thal und Höhn,

Rings lassen Gold und Perlen, Sammt und Seide

Ihn deutlicher die eigne Armuth sehn.

Ach, seufzt er still, nichts kannst du jenen Schätzen,

Als nur ein Herz voll Lieb' entgegensetzen.
[298]

15.

Doch wenn er dann an jenes heil'ge Streben,

An jene Kraft der reichen Brust gedenkt,

Die unerschöpft das ganze Wehn und Weben

Der weiten Welt gestaltet und umfängt,

Und wunderbar das selbstgeschaffne Leben

Mit Himmelsglanz, mit ew'ger Jugend tränkt,

Dann fühlt er stolz, es sey in diesem Streite

Statt ird'scher Macht ein Gott auf seiner Seite.


16.

Nicht kann das Spiel, das laute Mahl, der Reigen,

Die bunte Pracht jetzt sein Gemüth erfreun.

Er wandelt fern, vertieft in heil'ges Schweigen,

Und naht sich scheu dem wundervollen Hain.

Wie glücklich scheint der Vogel auf den Zweigen,

Wie glücklich dort das Bienchen ihm zu seyn.

Sie dürfen frei durch jene Hecke fliegen

Und sich im Laub der theuren Blume wiegen.


17.

Und wie uns oft, wenn ferne Töne schallen,

Vergangenheit ihr dämmernd Reich erschließt,

Und freundlich uns mit ihren Träumen allen,

Mit jedem Wort verblühter Liebe grüßt,

So scheint der Duft um seine Brust zu wallen,

Der um den Hain auf lauen Lüften fließt,

Und hold entblühn in ahnungsvoller Ferne

Das alte Glück, die längst erloschnen Sterne.
[299]

18.

Doch wie die Stern' am Abend uns begleiten,

Und Morgens früh als Führer vor uns ziehn,

So scheint auch das, was sonst in dunkeln Weiten

Ein schwindend Licht der Heimath ihm erschien,

Ihn freundlich jetzt zum künft'gen Glück zu leiten

Und wie ein Kranz am schönen Ziel zu blühn.

Der ist beglückt, wem ewig unveraltet

Erinnrung stets zur Hoffnung sich gestaltet.


19.

Wie mancher Wahn, wie manche Wünsche steigen

In ihm empor, wie wechseln Wang' und Blick!

Die Hecke nur sie trennt mit schwachen Zweigen

Den Nahen jetzt von seinem ganzen Glück.

Was hindert ihn, sie muthig zu ersteigen?

Er steht, er naht, er bebt, er tritt zurück.

Der einst gezagt, den Bach zu überspringen,

Wie dürft er jetzt durch jene Hecken dringen?


20.

O holde Scham, du deckst mit sichrer Hülle

Den süßen Reiz, der zart und wehrlos blüht,

Und friedlich weicht des Mannes Wunsch und Wille

Der Jungfrau arglos waltendem Gemüth!

O freundliche, o vielwillkommne Stille!

Die Sehnsucht schläft, und fühlt nicht, daß sie glüht.

Wohlthätig kühlt aus einem fremden Herzen

Der keusche Hauch auch unsre wilden Schmerzen.
[300]

21.

Indeß umschwamm des Berges grüne Höhen

Entfernter schon der Sonne goldner Schein,

Das Abendroth ließ seine Schleier wehen,

Und hüllte rings das Thal in Rosen ein,

Und spielend floß der Kühle lindes Wehen

Von Blatt zu Blatt hold lispelnd durch den Hain.

Der reife Tag begann beim späten Scheiden

Sich in des Herbstes bunten Glanz zu kleiden.

22.

Da scholl vom Schloß aus silbernen Trompeten

Durchs weite Thal ein feierlicher Klang,

Der fern umher, wohin die Lüft' ihn wehten,

Durch Berg und Thal, durch Hain' und Grotten drang.

Rings schwiegen jetzt die Cymbeln und die Flöten,

Der laute Tanz, der fröhliche Gesang,

Und jeder Gast, vom hellen Ton getroffen,

Schien schweigend jetzt ein schönres Fest zu hoffen.


23.

Doch bald erhob sich aus den seidnen Zelten

Ein bunt Gewühl, ein freudiges Getön.

Man sah, wie dort sich blanke Schaaren stellten,

Um schön gereiht durchs Thal heranzugehn.

Weit flog der Glanz, und leichte Lüfte schwellten

Die Fahnen hoch mit feierlichem Wehn,

Die Harfe schien mit zarten Liebesliedern

Den ernsten Ruf vom Schlosse zu erwiedern.
[301]

24.

Und angeführt von holden Sängerchören

Begann die Schaar durchs grüne Feld zu ziehn,

Man sah den Strahl der Sonn' auf blanken Speeren,

Auf Schilden rings und goldnen Helmen glühn,

Und lieblich, wie umhegt von reifen Aehren

Cyanen oft und Mohn und Winden blühn,

So ließen sich mit leichtem Schmuck die Frauen

Im Waffenkreis der kühnen Ritter schauen.


25.

Wie hoch voran drei stolze Fahnen flogen,

War dreifach auch die Kriegerschaar gereiht,

Vor jeder kam ein mächt'ger Fürst gezogen

In bunter Pracht, mit glänzendem Geleit.

Dicht wälzte sich das Volk in breiten Wogen,

Hier drang es zu, dort wich es schnell zerstreut;

Wie jene den, wie diese jenen priesen,

So wählten sie zum Sieg bald den, bald diesen.


26.

Schon nahten sie des Gartens hohen Pforten,

Die Menge stand, es schwieg das Sängerchor,

Doch wie gesprengt von starken Zauberworten,

Sprang klirrend jetzt das goldne Gitterthor,

Und lieblich scholl aus jenen stillen Orten

Mit langem Hall ein süßer Klang hervor,

Wie Memnons Bild, dem Osten zugewendet,

Die Mutter grüßt, die neues Licht ihm sendet.
[302]

27.

Wohl dachte jetzt ein jeder stolze Freier:

Mir gilt der Gruß, mich ruft der holde Laut,

Bald heb' ich froh den zarten Rosenschleier,

Und mild erwarmt in meinem Arm die Braut.

Alpino nur ward trauriger und scheuer,

Der Wahn entschwand, worauf er still getraut;

Er fühlte tief bei jenem süßen Klingen:

Dich grüßt sie nicht, du hast ihr nichts zu bringen!


28.

Hold schimmerten des Haines höchste Kronen

Vom späten Strahl des Abends matt und mild:

Doch tiefer schien die Ruhe schon zu wohnen,

In süße Träum', in grüne Nacht gehüllt.

Wie reizend wird hier bald die Liebe lohnen,

Wenn erst der Mond den Hain mit Silber füllt,

Und durch's Gebüsch ein Lispeln leis' und lose

Von Seufzern rauscht und traulichem Gekose!


29.

O süßer Kelch voll Lieb' und Lust und Bangen,

Den einmal nur das arme Glück uns schenkt,

Wenn Brust an Brust, umfangend und umfangen,

Und Mund an Mund und Seel' an Seele hängt,

Und Gegenwart, Erinnrung und Verlangen

In einen Kuß, in einen Hauch sich drängt!

Vorbei, vorbei, du Bild voll bittrer Schmerzen,

Du süßes Bild, du Fremdling meinem Herzen![303]

30.

Ich hab' umsonst gestritten und gerungen,

Ich hab' umsonst so lang und treu gedient!

Nie hält mein Arm den theuren Leib umschlungen,

Die alte Schuld bleibt ewig unversühnt!

Der Harfe frohe Saiten sind gesprungen,

Der Kranz ist welk, der einst mein Haupt umgrünt,

Nur einen Kuß für ein verlornes Leben,

Den armen Lohn, du wirst ihn nimmer geben!


31.

Sieht jetzt Alpin auch jede Hoffnung fliehen,

Gern tauscht' ich doch mit seinem mein Geschick;

Er sah doch einst die sel'ge Stunde blühen,

War glücklich doch den kurzen Augenblick.

Dies Flammenbild wird ewig in ihm glühen,

Und weint er auch, so weint er um ein Glück.

Wohl mag den Schmerz dies Wort ihm freundlich lösen:

Auch du bist in Arkadien gewesen.


32.

Indeß ergoß mit festlichem Gepränge

Die helle Schaar in dichtgeschloßnen Reihn

Im süßen Duft der kühlen Laubengänge

Auf weichem Pfad sich wogend durch den Hain.

Stets näher kam das Wehn der holden Klänge,

Stets höher stieg der Sonne später Schein,

Da zeigte sich als Ziel der irren Wege

Ein grün Gefild mit waldigem Gehege.
[304]

33.

Allein wie süß auch hier die Vögel girrten,

Wie weich der Fuß ins duft'ge Grün auch sank,

Wie friedlich auch aus Rosen und aus Myrthen

Manch Laubendach sich blühend hier verschlang.

Die Augen, die den weiten Raum durchirrten,

Verweilten doch auf dieser Flur nicht lang.

Ein schönres Bild da drüben in den Wogen

Hat jeden Blick magnetisch angezogen.


34.

Denn wallend schmückt mit silberhellem Spiegel

Die Wies' ein See, vom grünen Rand umwebt,

Aus dessen Fluth ein duft'ger Blumenhügel,

Von Schatten kühl, die sel'gen Ufer hebt.

Und wie geneigt mit weitgeschlagnem Flügel

Durch blaue Luft die bunte Iris schwebt,

So fügen sich gewölbt vom Strand zum Strande

Mit leichtem Schwung der Brücke goldne Bande.


35.

Wie nach und nach von einem zarten Liede

Der leise Klang verdämmert, bebt und ruht,

So brach sie sanft, des bunten Spieles müde,

Am weichen Strand halb träumend schon die Fluth,

Und drüben schwamm am Hain der heitre Friede

Im Abendroth, in später Sonnengluth;

Schon schloß die Nacht die fernen, grünen Tiefen,

Wo weich im Moos die zarten Blumen schliefen.
[305]

36.

Und alles, was in seinen schönsten Träumen

Das junge Herz geahnet und gesehn,

Das scheint ihm dort zu blühen und zu keimen,

Und leis' im Duft zu ihm heranzuwehn,

Und jeder sieht fern unter jenen Bäumen

Das erste Bild der frühsten Liebe gehn,

In jener Buchten Grün, in jenen Hecken

Scheint jedem dort sein Glück sich zu verstecken.


37.

Und wo die Zweig' am schönsten sich gesellen,

Und Licht und Schatten spielt im zarten Grün,

Wo duftiger die weichen Kräuter schwellen,

Und farbiger die hellen Blumen blühn,

Wo flüchtiger des Baches frische Wellen

Durchs irre Gras mit süßerm Rieseln fliehn.

Da sieht man leis' auf bunten goldnen Gittern

Den letzten Strahl der Sonne glühn und zittern.


38.

Dort steht umhegt im reinlich glatten Raume

Im Zauberschlaf der Rose blühend Bild.

Nie sinkt der Thau von ihrer Blätter Saume,

Stets säuseln dort die Lüfte lau und mild;

Und wie sich oft im friedlich leisen Traume

Des Kindes Mund mit süßem Lächeln füllt,

So sieht man sanft das schlummernd wache Leben

Mit leichtem Glanz um ihre Blätter schweben.
[306]

39.

Und wie sie einst, so reich an keuscher Sitte,

So still, so zart, und doch so leicht und klar,

Für einen Thron, für eine Schäferhütte

Zu schüchtern nicht und nicht zu prangend war,

So beut auch jetzt in grüner Blätter Mitte

Das holde Bild sich unbefangen dar,

Und scheint sich, sanft gewiegt auf schlanken Zweigen,

Von Keinem ab, zu Keinem hinzuneigen.


40.

Und wie sich einst Gedanken und Gefühle

In zarter Brust aus tiefem Quell erregt,

Geahnet kaum, nach einem fernen Ziele

Verlangend oft und schüchtern doch bewegt,

So wallt auch jetzt ihr Duft im leichten Spiele,

Und weiß es nicht, wohin der West ihn trägt;

Doch läßt auch nie sein Walten sich erspähen,

Es ist des Geistes tiefstes, innres Wehen.


41.

Und wenn auch rings die zartgewebte Hülle

Sich leise nur und schüchtern erst getrennt,

So kündet doch des Duftes reiche Fülle,

Das helle Roth, wovon die Wang' ihr brennt,

Schon trag ihr Herz in jungfräulicher Stille

Ein süßes Bild, das sie allein nur kennt;

Doch zögernd nur, mit keuschem Widerstreben

Gestalte sie den holden Traum zum Leben.
[307]

42.

Doch außerhalb dem goldnen Gitterrande

Stand schön geschmückt ein hoher Thron bereit;

Dort saß mit Kron' und purpurnem Gewande

Der alte Fürst in ernster Herrlichkeit,

Und rings umher nach Jahren, Würd' und Stande

Viel Weis' im Rath, viel Helden kühn im Streit,

Die Perlen, die sein fürstlich Scepter zieren,

Zum Warnen klug, und tapfer zum Vollführen.


43.

Und tiefer saß, wo auf den bunten Auen

Manch weicher Sitz aus Rasen sich geschwellt,

Ein holder Kreis von Mädchen und von Frauen,

Gleich einem Netz, das Amor aufgestellt.

Und wie wir gern die bunten Kränze schauen,

Worin die Frucht den Blüthen sich gesellt;

So mischten dort mit edler Mien' und Sitte

Viel Jünglinge sich in der Schönen Mitte.


44.

Und froh vereint das zarte Fest zu krönen

Begannen sie bei hellem Harfenklang

Den Liederstreit, der lind in leichten Tönen

Weit übern See durch Wies' und Haine drang.

Erst lockte süß das leise Lied der Schönen,

Dann schallte laut der Jünglinge Gesang,

Bis nach und nach des Liedes Doppelflammen

Im holden Chor zu einem Glanz verschwammen.
[308]

45.

Indessen reihn sich drüben schon die Mohren,

Schon haben stolz und froher Hoffnung voll

Durchs heil'ge Loos die Fürsten den erkohren,

Der jetzt zuerst die Gabe bieten soll.

Noch einmal wird der Bundeseid geschworen,

Sich ohne List zu nahn und ohne Groll,

Und, wem den Sieg die Götter auch gewähren,

Des Siegers Recht zu schützen und zu ehren.


46.

Dann trennte sich der reiche Zug vom Lande;

Ihn führte stolz mit seinem Dienertroß

Der Inderfürst im purpurnen Gewande,

Das weit herab in weiten Falten floß.

Dann kam der Mohr von Taprobana's Strande,

Den wellengrün der Panzerrock umschloß;

Doch leicht umspielt von feuergelber Seide

Ging Saba's Herr im hochgeschürzten Kleide.


47.

Wohl schien's, als ob ihr Schmuck schon jetzt verriethe,

Auf welchen Rath ein jeder still vertraut,

Denn während den die goldne Kron' umglühte,

Schien jenes Stirn von Perlen überthaut,

Der dritte trug im Haar die duft'ge Blüthe,

Woraus sein Nest der edle Phönix baut.

So gingen sie mit zuversicht'gem Blicke

Den goldnen Pfad der weit gewölbten Brücke.
[309]

48.

Dann folgte stolz, wie mit erborgten Strahlen

Der Mond sich schmückt, mit feierlichem Gang

Die Dienerschaar, und trug die goldnen Schaalen,

Die jeder Blick neugierig längst verschlang.

Alpino auch, der jetzt mit allen Qualen

Der Eifersucht, der Furcht, der Hoffnung rang,

Hat listig sich in ihren Kreis gestohlen,

Als wär auch ihm ein Theil der Last befohlen.


49.

O wie sein Herz unbändig schlug und bebte,

Als jetzt der Zug am goldnen Gitter stand!

Wie jeder Puls zu ihr, zu ihr nur strebte,

Nur sie allein sein ganzes Herz empfand!

Wie jedes Glück so nah' ihn jetzt umschwebte!

Wie jedes Glück in ew'ger Fern' ihm schwand!

Wohl scheint dies Gitter ihm die dunkle Schwelle,

Nicht weiß er, ob des Himmels, ob der Hölle.


50.

Doch mag sein Loos, wohin es will, ihn führen,

Sie steht doch jetzt vor seinen Augen da,

Fast kann sein Arm, sein Athem sie berühren,

Die heimlich sonst sein Blick von fern nur sah.

Unmöglich ist's, er kann sie nicht verlieren!

Sie scheint zu hold, zu eigen ihm, zu nah!

O rasche Lieb', o täuschendes Vertrauen,

Du wirst ein Schloß auf einem Sandkorn bauen!
[310]

51.

Als nun gemach mit zitternd leisem Halle

Das süße Lied der Sänger sich verlor,

Da schritt, umtönt von lautem Paukenschalle,

Mit stolzem Blick, der Inder Fürst hervor.

Rings reihten sich die bunten Diener alle,

Und jeder hob die Schleier jetzt empor,

Die feierlich der Gabe lichtes Prangen

Mit seidnem Schmuck verhüllend noch umfangen.


52.

Und sieh, das Gold, das tief mit breitem Wallen

Vom Felsengrund der alte Ganges streift,

Und das der Greif mit scharfen Löwenkrallen

Dem Jäger wehrt, der durch die Berge schweift,

Und jenes, das, wenn sie die tiefen Hallen

Des Hauses wölbt, die Aems' im Sande häuft,

Dies alles schoß aus hundert schweren Schaalen

Auf einmal jetzt die tausendfachen Strahlen.


53.

Doch köstlicher an Reinheit, Farb' und Helle,

Als jenes, das der harte Stein gezollt,

Erzitterte mit schwer gediegner Welle

Im weiten Kelch das trinkbar feuchte Gold,

Das einmal nur im Jahr aus heil'gem Quelle

Mit hellem Klang die Zauberwellen rollt.

Als diesen Kelch der mächt'ge Fürst erhoben,

Begann er so der Gabe Werth zu loben:
[311]

54.

Das Licht nur weckt die ersten zarten Blüthen,

Im Licht nur kann die späte Frucht gedeihn;

Die Strahlen, die dem heil'gen Licht entsprühten,

Sog tief der Schooß der dunkeln Erde ein.

Sie komm' ich jetzt, o Schönste, dir zu bieten,

Der Sonne Bild ist ja das Gold allein,

Drum krönt es auch der Fürsten Stirn, zum Zeichen,

Daß sie an Huld und Macht den Göttern gleichen.


55.

So spricht der Fürst. Und wie der Wirth beim Mahle

Das Köstlichste den gnäd'gen Göttern bringt,

So gießt er jetzt aus glänzendem Pokale

Den edlen Trank, der schwer hernieder sinkt.

Hold zittert rings das Grün im hellen Strahle

Des goldnen Thaus, der süß im Fallen klingt:

Doch tief versteckt in ihrem weichen Moose

Steht unbewegt und unenthüllt die Rose.


56.

Und zürnend tritt in seinem Wahn betrogen

Der Fürst zurück mit halb ersticktem Fluch.

Da naht der Mohr von Taprobana's Wogen,

Dem jetzt das Herz von kühner Hoffnung schlug,

Und mit ihm kam der Diener Schaar gezogen,

Die in der Hand krystallne Muscheln trug,

Von deren Rand mit zartverwebten Schlingen

Zur Erd' hinab goldhelle Netze hingen.
[312]

57.

Und als er jetzt die Hüllen weggenommen,

Da wähnt man fast bei jenem lichten Schein,

Der Meeresgott sey selbst emporgekommen,

Mit reicher Gab' um seine Braut zu frein.

So herrlich ist der Perlen Glanz entglommen,

Die groß und dicht sich in den Muscheln reihn.

Noch staunen rings die Männer und die Frauen,

Da spricht er so mit kühnerem Vertrauen:


58.

Die Sonn' erquickt, doch kann sie auch verzehren:

Doch friedlich schafft der nächtlich stille Thau.

Ihm gnügt es nicht zu tränken und zu nähren,

Er breitet hold den Himmel auf die Au;

Die Rose muß zur Sonne sich verklären,

Das Veilchen sich zum luft'gen Sternenblau.

Doch nur zu bald zerrinnt sein zarter Schimmer

Und nur sein Bild, die Perle, leuchtet immer.


59.

So spricht der Mohr, und streut mit stolzen Blicken

Die reiche Saat umher ins weiche Grün,

Daß tief vom Wurf die schlanken Blumen nicken.

Und hell im Kelch die lichten Tropfen glühn.

Schon wähnt er jetzt den holden Lohn zu pflücken,

Und sieht getäuscht die Rose schon entblühn:

Doch tief versteckt in ihrem weichen Moose

Steht unbewegt und unenthüllt die Rose.
[313]

60.

Als so der Stolz des reichen Mohren schwindet,

Hebt Saba's Herr sein heimlich lächelnd Haupt,

Sein leichter Schritt, sein freier Blick verkündet,

Daß er allein den Spruch zu deuten glaubt.

In Körbchen, nur aus zartem Bast gegründet,

Ruht sein Geschenk, von Blättern überlaubt,

Doch läßt der Duft, der süß mit leiser Schwinge

Die Körb' umspielt, schon ahnen, was er bringe.


61.

Denn jeden Strauch, worin auf Saba's Auen

Der heißre Strahl die süßern Düfte pflegt,

Die Blüthen dort, die stets zur Sonne schauen,

Die Aehren, die der reiche Nardus trägt,

Den goldnen Saft, den Myrrh' und Weihrauch thauen,

Den edlen Zimmt, den man nach Golde wägt,

Was köstlich nur im Süden blüht und theuer,

Das beut mit diesem Wort der mächt'ge Freier:


62.

Was kann der Thau, was kann die Sonne geben,

Da Beider Licht sich wandelt und verglimmt,

Wenn ewig nicht des Geistes frisches Leben

Mit lauem Hauch durch Höhn und Tiefen schwimmt?

Mag drum der Mensch nach Gold und Perlen streben:

Der Weihrauch ist den Göttern nur bestimmt;

Er kann allein auf unsichtbaren Schwingen,

Des Geistes Bild, zum hohen Himmel dringen.
[314]

63.

So spricht der Fürst, und in krystallnem Spiegel

Versammelt er der Sonne letzten Schein,

Und leicht entflammt zerstreut mit buntem Flügel

Der süße Duft sich durch den dunkeln Hain.

Ein zart Gewölk umwallt den Blumenhügel,

Ein sel'ger Rausch nimmt aller Herzen ein:

Doch tief versteckt in ihrem weichen Moose

Steht unbewegt und unenthüllt die Rose.


64.

Als nun beschämt die stolzen Freier stehen,

Als traurig nun auf jenes Zauberbild

Die holden Fraun, die edlen Ritter sehen,

Und selbst Astolf die Thränen nicht verhüllt,

Da hörte man ein Säuseln und ein Wehen,

Wie wenn die Fluth von leisen Wogen schwillt.

Auf Lüften schien und Wellen wie vom weiten

Mit süßem Klang dies Wort heranzugleiten:


65.

Tief ruht das Gold in unterird'schen Hallen

Und schlummert träg und glanzlos im Gestein,

Und soll das Licht der Perle dir gefallen,

Muß hell auf sie der Strahl die Funken streun.

Der Lüfte nur und nur der Flamme Wallen

Vermag dem Duft die Schwingen zu verleihn.

Wer dürftig nur sein scheinbar eignes Leben

Von Andern borgt, kann der es Andern geben?
[315]

66.

Nie wird dem Stoff des Geistes Werk gelingen,

Der heiter sich am leichten Schaffen freut.

Nein, liebend muß sich gleiche Kraft durchdringen,

Und Seel' und Seel' im süßen Wechselstreit,

Und Form und Form anmuthig spielend ringen,

Bis athmend sich das zarte Kind befreit,

Und reich begabt im Duften und im Blühen

Zurückgibt, was der Meister ihm verliehen.


67.

So sprach die Stimm', und durch des Haines Schweigen

Verhallte sie mit lispelnd' leichtem Laut.

Und schon begann der Mond emporzusteigen,

Die Erde lag gleich einer blüh'nden Braut,

Die, leis' entschlüpft dem hochzeitlichen Reigen,

Süß ahnend jetzt dem Freund entgegenschaut.

Schon waren jetzt unmuthig und betrogen

Zu ihrem Heer die Freier heimgezogen.


68.

Da naht' Alpin, bewegt von Furcht und Sehnen,

Dem Kreise sich mit sittig stillem Gang,

Indeß durchspielt von träumerischen Tönen

In leichter Hand die goldne Harfe klang.

Er neigte sich dem König und dem Schönen

Mit zücht'gem Blick, dann stand er zart und schlank,

Und auf das Bild des schönen Jünglings schauen

Verwundert jetzt die Mädchen und die Frauen.
[316]

69.

Dann spricht er so: Nicht wird es mir gelingen,

Wonach umsonst die Fürsten sich bemüht,

Doch möcht' auch ich die arme Gabe bringen,

Die heimlich mir im stillen Herzen blüht;

Und kann Alpin auch nur ein Lied euch singen,

Man hört ja gern ein sanftes Schlummerlied,

Wenn leis' empor aus tiefem Waldesschweigen

Im Mondenglanz die bunten Träume steigen.


70.

So spricht Alpin, der Sänger zarter Lieder,

Ihm neigt Astolf den Scepter fürstlich mild;

Und jener läßt ins weiche Grün sich nieder,

Das schon der Thau mit neuen Düften füllt.

Erst flattert leicht mit zitterndem Gefieder

Im irren Klang des künft'gen Liedes Bild,

Bis nach und nach mit immer kühnerm Schwellen

Gesang und Wort den Saiten sich gesellen.


71.

Und horch, er singt, wie leis' aus tiefen Keimen

In sichrer Nacht der Rose Kelch sich webt,

Und dicht umhegt von grünen Blättersäumen

Vom frischen Quell der künft'gen Düfte lebt,

Und wenn auch schon in ihren engen Räumen

Die reiche Form sich üppig drängt und hebt,

Doch still der Geist, von Lust und Leid geschieden,

Noch schlummernd ruht in unbewußtem Frieden.
[317]

72.

Doch wenn der Lenz mit seinem Wehn und Wallen,

Mit seiner Lust durch Erd' und Himmel dringt,

Wenn weit umher das Lied der Nachtigallen,

Der Biene Flug, der Quelle Rieseln klingt,

Wenn Blüthen rings entkeimen, blühn und fallen,

Und jede Nacht den reichen Schmuck verjüngt,

Dann fühlt auch sie in ihrer dichten Hülle

Der Hoffnung Lust, des Lebens sel'ge Fülle.


73.

Doch nicht wie rings beim ersten lauen Beben

Der Maienluft aus ihrer Knospe Grün

Voll Ungeduld die andern Blumen streben,

Und früher zwar, doch kurz und dürftig blühn,

Verschwendet sie in rascher Lust das Leben,

Und knospet lang, um herrlicher zu glühn.

Still ruht, genährt von Hoffnung und Verlangen,

Der reiche Schatz in ihrer Brust gefangen.


74.

Doch wenn gemach die Hüllen sich entfalten,

Und sich mit Gold des Busens Tiefe füllt,

Blickt heller stets durch seines Kerkers Spalten

Mit frischer Lust das holdverschämte Bild,

Und freut sich still der wechselnden Gestalten,

Die bunt umher die neue Welt enthüllt,

Ihr frühster Duft, des Athems erstes Weben

Ist Liebe schon, und wähnt, er sey nur Leben.
[318]

75.

Ja herrlich ist's, wenn nicht mit Blitzesschnelle

Ein fremder Geist von wilder Lust bewegt,

Der heil'ge Strahl im tiefen Lebensquelle

Bewußtlos schon die leisen Schwingen regt,

Und unerschöpft die gleiche Gluth und Helle

Durch jeden Puls des reichen Herzens trägt,

Wenn jede Kraft, stets wirkend, nie verschwendet,

Aus Lieb' entspringt, in Liebe lebt und endet.


76.

Doch Alles harrt schon lang in süßem Schweigen,

Wenn nach und nach die letzte Hülle bricht;

Kaum regt das zarte Laub sich auf den Zweigen,

Die Welle zieht die leisen Kreise nicht,

Die Blumen schaun empor, die Blüthen neigen

Aus grüner Wieg' ihr helles Angesicht,

Der Thau verzieht zur Flur hinabzufließen,

Das Lüftchen weilt, um sie zuerst zu grüßen.


77.

Und wenn nun früh der Gott in heil'ger Stille

Aus goldnem Thor den ersten Strahl gesandt,

Dann lös't auch sie der Hoffnung grüne Hülle,

Und zeigt verschämt das bräutliche Gewand.

Entfesselt strömt des Duftes sel'ge Fülle,

Sie schaut empor, erkennend und erkannt;

Er, der sie früh erzogen und gestaltet,

Er ist's, dem sich ihr reiner Kelch entfaltet.
[319]

78.

Und wie, geschmückt mit nie gehoffter Krone,

Die Schäferin, des Königs junge Braut,

Die arglos einst dem fremden Fürstensohne

Im stillen Thal ihr freies Herz vertraut,

Bescheiden jetzt vom purpurhellen Throne

Aufs freud'ge Volk und staunend niederschaut,

So blickt auch sie beschämt herab von oben,

Und weiß es nicht, wer sie so hoch erhoben.


79.

Doch alles singt und blüht und lacht in Helle,

Liebkosend grüßt der Lenz sein schönstes Kind,

Der Schmetterling, die gaukelnde Libelle,

Das Bienchen naht, der laue Morgenwind,

Und alles trinkt aus ihrem duft'gen Quelle,

Der jugendlich aus tausend Adern rinnt;

Denn ob ihr Strom auch nur für Einen walle,

Die sel'ge Lieb' ist reich genug für Alle.


80.

Und freier jetzt vom hellen Licht umwaltet,

Und inniger durchströmt vom lauen Wehn,

Läßt reicher stets und üppiger entfaltet

Der volle Kelch die irren Tiefen sehn.

So scheint, weil stets ihr Glanz sich neu gestaltet,

Uns aus der Lieb' erst Liebe zu entstehn;

Denn wandelbar mit ewig bunter Welle

Rinnt unversiegt des Lebens heil'ge Quelle.
[320]

81.

Wie hängt sie jetzt mit schmachtendem Verlangen

An ihm allein, den sie zuerst geliebt!

Nicht will sie minder geben als empfangen,

Und reicher wird sie stets, je mehr sie gibt.

Selbst wenn er spät ins Meer hinabgegangen,

Und schwere Nacht den bleichen Himmel trübt,

Wohl mögen dann sich andre Blumen schließen:

Sie duftet fort, den Fernen noch zu grüßen.


82.

Und wenn, geführt vom drohend dumpfen Schweigen,

Mit schwerem Saum an schwülen Himmelshöhn

Zum Kampf empor die Wetterwolken steigen,

Und um den Gott in finsterm Trotze stehn,

Dann läßt sie bang, der Sorge süße Zeugen,

Aus heißer Brust die vollern Düfte wehn,

Denn schöner oft als in des Glückes Tagen

Bewährt sich Lieb' in Schmerzen und in Zagen.


83.

Doch wenn er dann den harten Kampf vollendet,

Und freundlich jetzt den leichten Morgenwind,

Den kühlen Thau als Siegesboten sendet,

Dann freut sich still das zarte Frühlingskind,

Und steht verschämt vom Himmel abgewendet,

Und athmet kaum und duftet leis' und lind.

O reines Herz, wie ist im drohnden Leide

Dein Muth so stark, wie schüchtern in der Freude!
[321]

84.

So blüh' empor zum reichen, keuschen Leben,

Du schlummernder, verhüllter Liebesstern,

Und sieh' entzückt, wenn sich die Schleier heben,

Das neue Licht, und dufte nah' und fern!

Dies Lied nur kann der arme Sänger geben,

Sein letztes ist's, er giebt sein letztes gern,

Und wirst du einst, wer es gesungen, fragen,

Wer weiß dir dann auch nur sein Grab zu sagen?


85.

So sang Alpin; und als er ausgesungen,

Und weit umher noch Welle, Luft und Grün

Im glatten See und in den Dämmerungen

Des stillen Hains entzückt zu lauschen schien,

Beginnt der Ton, noch eh' er ganz verklungen,

Zum sichtbar holden Leben aufzublühn.

Nicht weiß man mehr, ob noch das leise Schallen

Der Klänge bebt, ob zarter Düfte Wallen.


86.

Und bunter stets verschweben und zerrinnen,

Wie Welle sich an Welle spielend bricht,

Die Klänge jetzt, und lieblich zittert's drinnen,

Wie heller Thau, wie Duft und Morgenlicht.

Gestalt und Form strebt alles zu gewinnen,

Und blühend tritt ins Leben das Gedicht.

Denn was das Herz einst tief und wahr empfunden,

Das lebt, und bleibt dem großen All verbunden.
[322]

87.

Und wie der Mond, von Wolken leis' umflogen,

Obgleich er selbst dem Auge sich verhüllt,

Hold dämmernd noch den blauen Himmelsbogen,

Die Wolken selbst mit zartem Lichte füllt,

So färben hell sich jene flücht'gen Wogen

Vom Purpurglanz, der aus der Rose quillt,

Doch läßt ihr Kelch wie Träum' im stillen Wehen

Der Dämmerung von ferne nur sich sehen.


88.

Und sieh, es schwillt aus ihrem weichen Moose

Stets blühender die reiche Knosp' empor,

Und lieblich schaut jetzt aus der offnen Rose

Mit goldner Kron' ein holdes Haupt hervor,

Und rings umher verwebt sich leis' und lose

Der Blätter Grün zum weichen, seidnen Flor;

Schon scheint der Thau, der hell am Kelch gehangen,

Als Perlenschnur am weißen Hals zu prangen.


89.

Und als gemach der bunte Zauberreigen

Von Duft und Klang verdämmert und verhallt,

Steht zart und schlank, in ahnungsvollem Schweigen,

Mit irrem Blick die blühende Gestalt.

Man sieht die zarte Brust tief athmend steigen,

Vom ersten Hauch des Lebens neu durchwallt;

Bang regen sich die kaum gelös'ten Glieder,

Sie hebt den Fuß und senkt ihn schüchtern wieder.
[323]

90.

Und wie, gelockt von hellen Frühlingstagen,

Die Vögelein verzagt zum ersten Mal

Aus weichem Nest von Zweig zu Zweig sich wagen,

Von Busch zu Busch mit zweifelhafter Wahl,

So lenkt auch sie im Staunen und im Zagen

Bald hier bald dort der Blicke lichten Strahl,

Und sieht entzückt bei zarter Mondenhelle

Wald, Wies' und Flur, Laub, Blüthen, Wolk' und Welle.


91.

Doch als sie jetzt mit ungewissen Blicken

Alpin erkennt, der schweigend vor ihr kniet,

Welch Zauberband mag da ihr Haupt umstricken,

Daß sie auf ihn, auf ihn allein nur sieht?

O wie von Scham, von Liebe, von Entzücken

Ihr Busen wallt, ihr holdes Antlitz glüht!

Und sucht auch oft ihr Auge sich zu wenden,

Stets muß es nur noch süßre Strahlen senden.


92.

Und als sie jetzt dem lieblichen Verlangen

Der vollen Brust nicht länger widerstrebt,

Und süß verschämt, mit rosenhellen Wangen,

Mit Blicken, die ein trunkner Glanz belebt,

Sich zitternd neigt, ihn freundlich zu umfangen,

Und süß ihr Hauch auf seinen Lippen schwebt,

Und, von der Gluth des Kusses tief entzündet,

In ein Gefühl sein ganzes Leben schwindet:
[324]

93.

Wer dürfte da mit kaltem Herzen sagen,

Es zieme nur dem thörichten Gemüth,

Sein ganzes Glück für eine Gunst zu wagen,

Die plötzlich naht, und kaum genossen flieht?

Nein, Flammen sind's, die aus dem Busen schlagen,

Das Leben ist's, das hell're Funken sprüht;

Zum neuen Seyn schmilzt Geist und Geist zusammen,

Und glänzend steigt ein Phönix, aus den Flammen!


94.

Indessen scheint, da rings in freud'gem Schweigen

Noch alles staunt, vom Himmel hell und hold

Im Mondenlicht sich ein Gestirn zu neigen,

Das leicht herab auf Silberwolken rollt.

Schon zittert bunt in Blüthen und auf Zweigen

Der ferne Glanz, die Welle schwimmt wie Gold,

Doch sieht man bald, es sey ein heller Wagen,

Den durch die Luft zwei rasche Greifen tragen.


95.

So nahten sie, und jedes Aug' erkannte

An ihres Sternenschleiers leichtem Wehn

Und an dem Strahl, der um die Stirn ihr brannte,

Mit banger Lust die Königin der Feen;

Und neben ihr zur Rechten ließ Janthe,

Leontes sich zu ihrer Linken sehn,

Sie, schlank und zart, im ew'gen Jugendlichte,

Er, männlich ernst, mit würd'gem Angesichte.
[325]

96

Als nun zur Erd' herabgeneigt im Grünen

Mit hellem Licht der goldne Wagen stand,

Da nahte sich Klotilden und Alpinen

Die Königin im glänzenden Gewand.

Hold grüßte sie das Paar mit gnäd'gen Mienen,

Und bot ihm sanft die wunderkräft'ge Hand;

Dann führte sie mit ernster Huld zu jenen

Die Liebenden, und sprach mit milden Tönen:


97.

Empfangt den Sohn, den ihr so lang verloren,

Er hat versöhnt, was eure Schuld gefehlt;

Schon ist das Bild, das seine Lieb' erkohren,

Durch seine Lieb' entfaltet und beseelt.

Sein Zauber hat den regen Geist beschworen,

Und lieblich ihn der zarten Form vermählt.

Nur todten Glanz kann Macht und Reichthum zeigen;

Das Leben ist allein dem Sänger eigen.


98.

So sprach die Fee. Doch rasch und freudetrunken

Sind jene zwei, noch eh die Wort' entfliehn,

Schon in den Arm der Aeltern hingesunken,

Hier weint Klotild', und drüben jauchzt Alpin.

Und wie im Sturm die längst begrabnen Funken

Erloschner Gluth zur frischen Flamm entsprühn,

So muß auch hier jetzt Alt und Jung sich freuen,

Am alten Glücke der, und der am neuen.
[326]

99.

Welch Wiedersehn! welch reizendes Erkennen!

Hand stehn in Hand die Freunde hier vereint,

Dort kann vom Sohn die Mutter sich nicht trennen,

Da hier das Kind im Arm des Vaters weint.

Wie hört man jetzt viel süße Namen nennen:

Sohn, Tochter, Vater, Mutter, Gatte, Freund!

Nur die am liebsten hier die Hand sich böten,

Sie stehn getrennt mit reizendem Erröthen.


100.

Doch führen bald mit ihrem besten Segen

Die Aeltern jetzt an zitternd froher Hand

Die holde Braut dem Bräutigam entgegen,

Und weihen gern das längst geknüpfte Band.

Und rasch beginnt sich Alles jetzt zu regen,

Gesang und Tanz umtönt den duft'gen Strand,

Bis nach und nach beim späten Hochzeitsreigen

Die Fackeln sinken und die Sterne steigen.


101.

Da scheidet still die Königin der Feen,

Und heimlich schleicht die andre Schaar ihr nach.

Nur Wellen ziehn, und leise Lüfte wehen

Mit süßem Duft um's holde Brautgemach.

Zwar läßt sich rings kein weiches Lager sehen,

Kein seidnes Zelt, kein still verhehlend Dach,

Doch fühlt man schon verstohlne Geister gleiten,

Den schönsten Sitz der Liebe zu bereiten.[327]

102.

Denn kaum verläßt mit lächelnd schlauem Blicke

Der letzte Gast den schönen Inselhain,

Da lös't sich auch das Band der goldnen Brücke,

Und senkt im Nu sich in den See hinein.

Jetzt sind die Zwei allein mit ihrem Glücke,

Mit ihrer Lieb', und mit sich selbst allein;

Kein Lauscher wird ihr zärtlich Flüstern hören,

Ihr Lächeln sehn und ihre Küsse stören.


103.

Die Well' umfängt im Sinken und im Steigen

Mit leisem Klang das selige Gebiet;

Hold wiegt der Mond sich auf den grünen Zweigen

Und auf der Flur, die selbst im Schlummer blüht,

Und süß beginnt im nächtlich stillen Schweigen

Die Nachtigall ihr langverhallend Lied.

Das Lüftchen spielt in dunkler Waldeskühle

Mit Quell und Laub lind flüsternd leise Spiele.


104.

Und wo die Zwei verschämt, mit feuchten Blicken,

Vom süßen Rausch der ersten Küsse glühn,

Beginnt der Hain sich enger zu verstricken,

Und farbiger die weiche Flur zu blühn.

Rings glänzt der Thau, und tausend Blumen nicken

Mit schwerem Kelch hernieder aus dem Grün;

Der Efeu schlingt in zierlichen Geweben

Durch Blüth' und Laub sein ewig junges Leben.
[328]

105.

Wie Amors Pfeil im jungfräulichen Herzen

Schmückt hell das Gold der Lilie keusches Bild;

Die Rose weint und lacht in süßen Schmerzen,

Da Duft und Thau bis an den Saum sie füllt.

Doch leicht nur will die blüh'nde Ranke scherzen,

Und neckt den Quell, der ihr vorüberquillt;

Halb träumend schaun aus tiefem Grün, verstohlen,

Maiblümchen auf, Narcissen und Violen.


106.

Kaum kann der Mond durch jene Laube dringen,

Wo Amor jetzt sich seinen Thron gebaut;

Man hört nur fern die süßen Vögel singen,

Nur ferne rauscht der See mit leisem Laut.

Wie innig Ros' und Lorbeer sich verschlingen,

Umschlingen jetzt sich Bräutigam und Braut. –

Stumm war die Nacht; dem Dichter nur verriethen,

Was sie gesehn, Laub, Lüfte, Duft und Blüthen.


107.

Dies sang ich dir, als mit der ersten Rose

Auch mir ein Lenz der neuen Freud' erschien;

Doch tückisch mischt das Schicksal seine Loose,

Ein weißes zeigt's, wenn wir ein schwarzes ziehn.

So ruht auch jetzt schon unter kühlem Moose,

Die freundlich mir die kurze Lust verliehn.

Und mir ist nichts aus jener Zeit geblieben,

Als nur dies Lied, mein Leiden und mein Lieben.[329]

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 293-330.
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