12.

[25] Laulich schlüpfte der West durch des Harzwalds schauriges Dunkel,

Ueber den felsigen Höhn spielte das Abendgewölk;

Sehnsucht rieselt' im Quell, und im Berghain säuselte Sehnsucht,

Sehnsucht wiegte sich her auf dem entfernten Geläut;

Bräutlich entschlüpfte mit zagendem Fuß dem Himmel die Dämmrung,

Ihren frühesten Kuß feyerte lispelnd der Hain.

Siehe, da wandelten wir durch des Thalgrunds buschichte Krümmung,

Unter dem säuselnden Dach dunkeler Buchen dahin.

Um den entragenden Fels wand aufwärts-strebend der Pfad sich,

Und wild rauschte der Bach durch das zerrißne Gestein.

Ach, wir wagten es kaum uns anzublicken; denn Mißgunst

Schlich sich und Eifersucht hinter uns leise daher.

Lauernde Hyder, du wähnst, es sinke, von deines Mundes

Giftigem Hauche berührt, welkend die Liebe dahin!

Aber es ist umsonst der Triumph! Hoch flattert der Phönix

Ueber der Asche; der Schmerz nähret die Liebe wie Thau.

Blumen pflückte die Reizende sich, der dürftigen Felshöhn

Einfach blühenden Schmuck, suchte die Blüthe des Klees,

Brach Stiefmütterchen sich, und, des unscheinbaren Geschenks froh,

Schmückte sie Busen und Haar, ach, mit dem glücklichen Raub.

Siehe, da kränzten die Quelle Vergißmeinnicht, und behende

Stieg ich hinab und brach froh das bedeutende Blau.[26]

Wirf, so sprach ich mit flüsterndem Laut und nahte behutsam,

Wirf die Blumen hinweg, schönere blühten für dich,

Schönere blühten für mich; o nimm sie; kennst du sie, Freundin?

Holde, vergiß mein nicht! Laß sie am Herzen dir blühn!

Und sie nahte mit dankendem Blick und winkte Gewährung,

Drauf, abweichend vom Pfad, nahte dem Haine sie sich,

Daß unmerklich ein Zweig von der Brust abstreifte den Feldstrauß,

Und den zertretenen Schmuck, klagte die Heuchlerin jetzt.

Mit nachlässiger Hand nun barg mein zartes Geschenk sie,

Doch mit bedeutendem Wink, an der erbebenden Brust,

Und stolz thronte der Strauß und blühete üppiger: doch bald

Sanken, von heimlicher Gluth welkend, die Blätter dahin.

Fort nun wandelten wir in dem Graun des kühleren Nachthauchs,

Und mir stärkten des Hains dichtere Schatten den Muth.

Gieb, so flüstert' ich jetzt, o gieb ein einziges Blümchen

Nur, und die Bitte, die ich flehete, gieb sie zurück!

Ach, nie flieht die Erinnerung mich des seligen Abends,

Doch viel schöner noch ist's, hab' ich ein bindendes Pfand.

Sieh, schon welkten die Blumen dahin, so hört ich es lispeln,

Und der Erinnerung frommt nimmer ein welkes Geschenk;

Schönere pflück' ich und frische dir einst; stets blühet der Kranz dann,

Wenn mitleidig ein Gott heimliche Wünsche gewährt.

Also sprach sie und nahete leis' und drückte mit Beben

Sanft die gebotene Hand an die erglühende Brust.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 25-27.
Lizenz:
Kategorien: