3.

[90] Felices ter et amplius,

Quos irrupta tenet copula, nec malis

Divulsus querimoniis

Suprema citius solvet Amor die.

Horat.


Fort mit der Ehe hartem Sklavenband!

Ein Thor nur kann sich eigne Fesseln winden:

Uns soll kein Schwur, nur Liebe soll uns binden,

Und ehe noch die flücht'ge Laune schwand,

Mag auch das Joch der ernsten Treue schwinden;

Kennt der die Lust, wer ihre Flucht gekannt?

Das rasche Glück hat keinen sichern Stand,

Es küßt und flieht, gleich leichten Frühlingswinden;

Kaum haschen wir's mit leiser, schlauer Hand,

Kaum suchen wir ein Hüttchen ihm zu gründen,

So wird es schnell sich unserm Arm entwinden,

Es flieht und läßt uns oft nur sein Gewand;

O eilt ihm nach! wo wir es wiederfinden,

Da sey für jetzt auch unser Vaterland.

Heut wird das stille Veilchen uns erquicken

Und morgen uns der Rose Duft erfreun;

Mag auch der Fuß den zarten Halm zerknicken,

Wenn wir bald hier, bald dort uns Blumen pflücken,

Im neuen Lenz wird neues Grün gedeihn.

Wer wollte nur mit einem Kranz sich schmücken,

Wenn tausend uns durch Reiz und Duft entzücken?

Verändrung nur kann wahres Glück verleihn.
[91]

So denkt der Schwarm und wähnt sich schlau und weise

Und schmeichelt sich, er sey beglückt und frei,

Und dreht sich wild im ew'gen Taumelkreise

Des falschen Glücks, der eitlen Tändelei,

Hält das Gefühl für luft'ge Schwärmerei,

Und schwört, daß auf des Lebens bunter Reise

Die Ruh' ein Traum, der Zweck Verändrung sey.

Doch sprich, was ist das Ziel des irren Strebens,

Der ew'gen Jagd nach schnell verrauchter Lust?

Ein Sklavensinn im Sturm des wilden Lebens,

Ein kaltes Herz und eine leere Brust!


O könnt ihr so das wahre Glück verkennen?

Dies Schattenbild, das ewig vor euch flieht,

Dies bunte Nichts, könnt ihr es Freude nennen

Und willig euch von jenem Zauber trennen,

Der um das Herz den zarten Schleier zieht,

Den nicht der Wahn mit seinen luft'gen Träumen,

Nicht der Verändrung eitle Gier durchdringt,

Worin der Geist sich selber nur umschlingt,

Wo leis' und rein des Glückes Knospen keimen

Und jede Lust nur schön're Früchte bringt?

O laßt den Wahn, der das Gefühl ermattet,

Und senkt euch still in euer eignes Herz;

Wenn zarter Sinn mit Muth und Kraft sich gattet,

Ist süß die Lust und süßer oft der Schmerz.

Es giebt ein Glück, das sich nur tief empfindet,

Das rein und zart, nicht durch die äußre Welt,

Das nur durch's Herz dem Herzen sich verkündet,

Mit keiner Form den ew'gen Reiz verbindet

Und durch's Gefühl, nicht durch Genuß gefällt.

Die Seele sey wie jene Zauberspiegel,

Worin das Bild sich zur Idee erhebt,[92]

Worin verklärt um Hain und Thal und Hügel

Ein zart'rer Glanz mit hellem Fittig schwebt.

Mit Seligkeit muß jede Lust euch füllen,

Und milder soll mit nassem Blick der Schmerz

Sich in's Gewand der süßen Wehmuth hüllen;

Gefühl beglückt schon durch sich selbst das Herz.


Auch ich, mein Freund, durchtaumelte das Leben,

Und hielt, vom Schein des Aeußeren bethört,

Nur das für Glück, was uns mit raschem Schweben

Die flücht'ge Gunst des Augenblicks gewährt,

Und was der Hauch des folgenden zerstört.

Nur Eitelkeit ließ mich nach Liebe streben,

Genuß allein schien mir des Wunsches werth,

Und stets vom Durst nach neuem Reiz verzehrt,

Hätt' ich mich gern den Schmerzen hingegeben,

Wenn ich den Kelch der Freuden ausgeleert.

Ich danke dir; du hast mich überwunden;

Der irre Geist, der nie am eignen Heerd

Sich glücklich fand, er ward von dir gebunden;

Das Zartgefühl, dem, wenn das Glück entschwunden,

Erinnerung ein neues Glück beschert,

Den reinen Sinn, der in den heil'gen Stunden,

Worin er groß gehandelt und empfunden,

Den Morgenglanz des schönern Daseyns ehrt,

Den Wunsch nach Ruh' hab' ich durch dich gefunden,

Dein Glück hat mich das eigne Glück gelehrt.


Aus jenem Reich, wo den verklärten Chören

Stets neu und hold die Ewigkeit erscheint,

Wo sich im Tanz der wandellosen Sphären

Genuß mit Treu' und Glück mit Ruh vereint,[93]

Sah ich den Geist des Friedens niedersinken,

Dir liebevoll mit seinen Palmen winken,

Mit zartem Arm dich Seligen umfahn

Und mild mit dir der stillen Heimath nahn.

Den Genius umfloß die schönste Hülle,

Womit sich je der freie Geist umwand,

Wenn ihn herab aus seinem Vaterland

Des Herzens Wahl und des Geschickes Wille

In's Erdenthal zu jenem Geist gesandt,

Den er schon einst im reinern Licht gekannt.

Ein Wesen war's, das in den Zauberblicken

Dem Herzen Glück, dem Geiste Lust verhieß,

Das gern des Glanzes bunten Pfad verließ,

Mit der Empfindung Blüthe sich zu schmücken

In seiner Unschuld stillem Paradies;

Das stets gefiel, nie zu gefallen strebte,

Das tief empfand, doch nie Empfindung log,

Dem Scherz und Lust und Geist im Lächeln schwebte,

Doch das den Scherz auf zarter Wage wog,

Das um die Lust den Grazienschleier webte

Und nimmer Gift aus seinem Geiste sog;

Das Liebe nur dem Liebenswerthen weihte,

Nach Achtung nur und nicht nach Siegen rang,

Das eignen mehr als fremden Tadel scheute

Und fremden mehr als seinen eignen Dank.

Das rein und treu, gleich klaren Wiesenbächen,

Worin ihr Bild die Blumen gaukeln sehn,

Nicht schüchtern war, um Liebe zu versprechen,

Und nicht verzagt, um Liebe zu verschmähn.

Allein du staunst, daß ich so treu beschrieben,

Was einmal kaum sich meinem Blick gezeigt?

Du bist mein Freund; vom süßen Drang getrieben

Hat sich mein Geist zu deinem Geist geneigt,[94]

Ich kenne dich, und jeder Zweifel schweigt,

Nie konntest du ein andres Wesen lieben.


Gern eil' ich jetzt dem stillen Hafen zu,

Worein auch du das irre Schiff gezogen;

Mich graust im Sturm der ungestümen Wogen;

Die Kühnheit reizt, doch süßer ist die Ruh.

O möcht' auch ich die holde Heimath finden,

O möcht' ich bald den oft umstürmten Kahn

Zum frohen Schmuck mit jungem Grün umwinden,

Den morschen Bord an feste Säulen binden

Und hoffnungsvoll dem sichern Lande nahn!

Wo weilst du jetzt, du Bild der Sehnsuchtsträume,

Das schmeichlerisch mir dann entgegeneilt,

Das liebend dann den Schatten seiner Bäume,

Den engen Raum der Hütte mit mir theilt?

O Glück, wenn dann die Seelen sich erkennen,

Die feindlich einst des Schicksals Strenge schied,

Sich dann verwandt und längst verbunden nennen,

Und von der Geister heiligem Gebiet

Die Liebe dann den trüben Schleier zieht!

Dann wird es klar, was wir schon längst empfunden,

Süß lispelt dann der Ahnung leises Wehn,

Die Liebe sey für eine Welt zu schön

Und Ewiges nicht an den Staub gebunden.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 90-95.
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