4.

[95] Utrumque nostrum incredibili modo

Consentit astrum.

Horat.


Ich muß hinweg! vielleicht auf ewig scheiden

Aus diesem Kreis, der traulich mich umfing,

Das Altarbild des Herzens muß ich meiden

Und ach, den Freund, an dem ich innig hing.

Zwar Liebe läßt durch keine Macht sich binden,

Sie triumphirt hoch über Zeit und Raum;

Ihr süßer Kuß, ihr Lächeln mag entschwinden:

Sie lächelt fort und küßt im sel'gen Traum;

Allein den Freund, dich werd' ich stets vermissen,

Der an mich selbst den Glauben mir verliehn,

Dich, der den Flor vor meinem Geist zerrissen,

Wodurch das Glück mir Spiel des Zufalls schien.

O staune nicht es jetzt erst zu erfahren,

Wie nahe stets sich unsre Geister waren,

Wie eng mit dir mein Wesen sich verflicht.

Ich fühlt' es stets, doch sagen durft' ich's nicht,

Um ihr Verdienst der Freundschaft nicht zu rauben;

Wer laut und oft vom Schwur der Treue spricht,

Der weiß, man dürf' ihm ohne Schwur nicht glauben.


O wähne nicht, es sey ein eitler Trug,

Daß man sich hier nur im Erinnern übe,

Und daß für dich, für Alle, die ich liebe,

Mein Herz schon einst in schönern Welten schlug.[96]

Du weißt es selbst, als du sie einst gefunden,

Die jetzt dein Herz in süßen Banden hält,

Die jetzt für dich rings um die ganze Welt

Mit Liebessinn den zarten Flor gewunden,

Der größern Reiz dem Reize noch gesellt,

Und hinter dem, was sonst, vom Licht erhellt,

Bedeutungslos dem Geist vorbeigeschwunden,

Durch die Magie der Dämmerung gefällt,

Du weißt es selbst, wie dir's im Busen tagte,

Wie, eh dein Herz so bang und sehnsuchtsvoll

Der Reizenden sich zu entdecken wagte,

Dir jeder Zug in ihrem Antlitz sagte:

Sie ist's die einst dich selig machen soll!

Und als du jetzt mit festerem Vertrauen

Dem Zauberkreis der Freundlichen genaht,

Schien dir nicht da, zu fühlen und zu schauen,

Was sie empfand und redete und that,

Ein Seherblick in jene Frühlingsauen,

Wo einst ihr Bild auf einem lichtern Pfad

Vor deinen Geist im Aetherglanze trat?

Die zarte Lust, die deine Seele fühlte,

Die süße Pein, der Hoffnung Morgenstrahl,

Der um der Sehnsucht bange Dämmrung spielte,

Der reine Hauch, der deine Flammen kühlte,

Das Zagen, das in deine Brust sich stahl;

Nichts war dir neu; von freundlichen Gewalten

Fand sich dein Herz umwunden und gehalten;

Still fühltest du, daß du schon einst geliebt,

Daß nur der Hauch der irdischen Gestalten

Den reinen Glanz der himmlischen getrübt.

So staunen wir, wenn je im bunten Leben

Der Zufall uns die Bilder wiederbringt,

Die uns schon einst im luft'gen Traum umringt.[97]

Vor unserm Blick sehn wir es dämmernd schweben,

Wie Mondenglanz durch trübe Wolken blinkt:

Doch welche Macht die leisen Ketten schlingt,

Die uns so fest an die Erscheinung binden,

Das sucht der Geist vergebens zu ergründen

Und wähnet oft ein Luftgebild zu finden,

Wo freundlich die Vergangenheit ihm winkt.


So hab' auch ich auf jenen sel'gen Höhen,

Wo aus der Form empor die Seele strebt,

Wo sich, den Wink des Herzens zu gestehen,

Nicht Arm und Arm, nein Geist und Geist verwebt,

Dort hab' auch ich schon früher dich gesehen,

Dort hab' auch ich in mild'rer Lüfte Wehen

Jahrhunderte des Glücks mit dir gelebt.

O laß uns nie den ew'gen Strahl verkennen,

Woraus für uns der heil'ge Funke sprang!

O mag der Flor, der trübe niedersank

Vor jener Welt, die wir nur ahnen können,

Uns nicht zugleich von jenem Glauben trennen,

Von jenem Stern, den durch den Pilgergang

Zum Führer uns die Himmlischen vergönnen,

Wenn öde Nacht das hell're Licht verschlang!

Damit nicht dort, wenn einst die Nebel schwinden,

Und wir den Glanz der Heimath leuchten sehn,

Die Geister sich entfremdet wiederfinden,

Und das Geschenk der ew'gen Liebe schmähn.


Schau' ich hinaus in's weite Reich der Stille,

Wenn Dämmrung rings auf bunten Wolken schwebt,

Und fern die Nacht in ihre dunkle Hülle

Das irre Gold der schönern Welten webt,

Dann blick' ich bang und sehnend in die Ferne,[98]

Wie im Orkan zum Strande der Pilot,

Und schwänge gern mich auf zu jenem Sterne,

Wo bräutlich uns der Schöpfung Morgenroth

Die erste Lust, die erste Liebe bot.

Dort wohnt die Ruh' im Hain an kühlen Quellen,

Umflattert von der Weste leisem Tanz,

Und schaukelt sich auf nie empörten Wellen

Und flicht zum Schmuck sich manchen bunten Kranz.

Was wilden Kampf in unsrer Brust erregte,

Flieht ihr vorbei, wie luft'ger Träume Spiel,

Was hier bei uns die Sinne nur bewegte,

Das tönt bei ihr nachhallend im Gefühl.

Fern sind von ihr Begier und wildes Sehnen,

Sie kennt den Wunsch, den Trug der Hoffnung nicht,

Dem innern Glück nur gelten ihre Thränen,

Dem feuchten Blick entstrahlt ein göttlich Licht.

Betrachtung ist ihr einziger Gedanke,

Unschuld'ge Lust ihr einziges Gefühl,

Und Ewigkeit ist ihres Geistes Schranke,

Und Ewigkeit ist ihrer Freuden Ziel.

O dürft ich mich noch einmal an sie schmiegen!

Dürft' ich mit dir in ihrem weichen Schooß

Noch einmal mich in süße Träume wiegen,

Gern sagt' ich mich von allen Ritterzügen

Nach Ruhm und Glanz und Abenteuern los.

O dürft' ich frei aus dem Gedräng entschwinden!

Könnt' ich mit dir, mit Jener, die dich liebt,

Mit Jener, die auch mir sich einst ergiebt,

Könnt' ich mit euch ein blüh'ndes Eiland finden,

Fern von der Welt, im weiten Ocean,

Dem Weste frei, verschlossen dem Orkan;

O könnt' ich dort ein stilles Hüttchen gründen,

Den regen Geist an süße Pflichten binden,[99]

Mich ohne Müh dem Ziel des Lebens nahn

Und ohne Kampf den Siegeskranz empfahn!

Dann lachten wir der trügerischen Geister,

Für die der Mensch Altäre rings erhebt,

Die er verehrt als seines Schicksals Meister,

Und die er doch zu unterjochen strebt.

Dann fühlten wir, daß Gold ein Häufchen Erde,

Der Kampf um Ruhm ein Kampf um Sorgen sey,

Daß nur durch sich der Mensch zum Menschen werde,

Nicht durch den Spott erkaufter Schmeichelei.

Dann schien' uns Lust, was jetzt wir Tugend nennen,

Nicht wäre Lieb' uns bloß ein Sinnenspiel,

Nie würden wir die Pflicht vom Willen trennen

Und nie vom Geist das leise Zartgefühl.

Dann würde mild mit ausgespannten Flügeln

Bei uns die Ruh noch einmal heimisch seyn,

Den ew'gen Bund mit unserm Glück besiegeln

Und ew'gen Thau der Gluth des Lebens leihn.


Doch ich muß fort, hinaus in's wilde Leben,

Muß selber mir das Loos des Schicksals ziehn,

Muß Rechenschaft den ew'gen Mächten geben,

Die mir Gefühl und Geist und Kraft verliehn.

Wo sich im Kampf die dichtern Wolken heben,

Wo zweifelhaft des Sieges Schalen schweben,

Seht ihr nicht dort die schön're Palme blühn?

Wenn auch den Sieg die Götter uns entziehn,

Groß bleibt es stets getrost zu widerstreben

Und rühmlich stets am spätesten zu fliehn.

Süß ruht es sich auf dem bewahrten Schilde,

Wenn Wunden auch die tapfre Brust durchbohrt,

Süß ist der Schlaf auf blutigem Gefilde,[100]

Wenn lange Müh den matten Blick umflort.

Wer weibisch zagt noch eh der Streit begonnen,

Der macht zum Gott den kurzen Augenblick,

Nur Muth und Kraft besiegen das Geschick;

Noch keine Schlacht ward ohne Blut gewonnen,

Fort in den Kampf, dem Kühnen lacht das Glück!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 95-101.
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