9.

[128] An Cäcilie.


Mitte singultus; bene ferre magnam

Disce fortunam. –

Horat.


O schau' empor! Erheb' ihn frei den Blick,

Um den der Schmerz den trüben Flor gewunden;

Den Genius, der deiner Brust entschwunden,

Den Freundlichen, o ruf' ihn dir zurück!

Wohl scheint es schwer dem Feind die Hand zu reichen

Und lächelnd sich dem Zürnenden zu nahn:

Doch oft umfängt den Geist ein schwarzer Wahn,

Und läßt uns dort mit bangem Sinn erbleichen,

Wo freundlich uns nur gute Geister nahn.

Die kalte Ruh' gebeut im Reich der Todten,

Der Seele Flug hemmt sie mit starrer Hand:

Doch Schmerz und Lust sind zarte Götterboten,

Die uns der Hauch des Lebens zugesandt.

Mild wird der Geist im Drange bittrer Schmerzen,

Wie edles Gold in Flammen sich verklärt;

Wer dem Gesetz des Staubes angehört,

Der bleibe kalt, denn nur geweihte Herzen

Sind großer Lust und großer Leiden werth.


Nie wird ein Gott unfühlbar dich umschweben;

Allmächt'ge Kraft haucht seiner Schwingen Wehn;

Still muß das Herz dem höhern Geist erbeben,[129]

Zum zartern Ton Empfindung sich erhöhn.

Vernahmst du nicht, wenn von des Westes Schwingen

Das reine Gold der Aeolsharfe klang,

Bald des Triumphs erhabne Lieder singen

Und bald des Grams wehmüthigen Gesang?

Der Quell der Lust ist auch der Schmerzen Quelle;

Die rege Gluth, das Bild der ew'gen Helle,

Verletzt zugleich, indem sie dich verschönt.

Durch leisen Schmerz beim Glanze lichter Stunden

Wird das Geschick, das uns dem Staub verbunden,

Mit dem Geschenk der ew'gen Huld versöhnt.

Ach, Alles, was aus diesen dunklen Räumen

Empor dich hebt zu einer schönern Welt,

Was wunderbar in räthselhaften Träumen

Dein reines Herz mit banger Ahnung schwellt,

Der Liebe Glanz, die heil'ge Lust am Schönen,

Der zarte Thau, den in dein weiches Herz

Das Mitleid träuft, der Andacht frommes Sehnen,

Die Freude selbst ist nur ein süßer Schmerz.


Wenn dir das Glück mit seinen Blüthenzweigen

Im raschen Flug die heitre Stirn umwebt,

Und, eingehüllt in seelenvolles Schweigen,

Um deinen Mund entzücktes Staunen schwebt,

Dann wird dein Blick von Thränen überfließen,

Und mit dem Thau, der sonst dem Schmerz entquillt,

Wird deine Brust den holden Geist begrüßen,

Der dein Gemüth mit heitrem Glanz erfüllt.

O sprich, wie kann aus zwei verschiednen Keimen

Mit gleichem Duft dieselbe Blum' entblühn?

Was hier sich trennt ist eins in jenen Räumen,

Wo vor dem Glanz der Sinne Nebel fliehn.

Empfindung ist des Lebens innre Seele,[130]

Empfindung ist des Lebens höchste Lust;

Ob sie dem Glück, dem Schmerze sich vermähle,

Das kümmert nur die nachtumfangne Brust.

Dort wird die Qual nicht mit der Freude streiten,

Kein dunkler Wahn wird das Gefühl entzwein,

Und jeder Ton auf der Empfindung Saiten

Wird Harmonie, und süßer Wohllaut seyn.


Sah ich nicht oft so selig dich entschwinden

In's holde Reich der süßen Phantasie

Und Ton und Ton mit leiser Hand verbinden

Zum vollen Kranz der reichen Harmonie?

Wenn dann dich kühn ein höh'rer Hauch belebte,

Dein zartes Herz von Klang zu Klang entschwebte,

Entzückung dir den trunknen Busen hob,

Wenn dann dein Geist die eigne Größe fühlte,

Ein göttlich Licht in deinem Auge spielte

Und Himmelsglanz um deine Stirn sich wob,

Dann fühltest du dein Herz gewaltig schwellen,

Und siegend drang der Schmerz dir in die Brust,

Und webte still der Dämmrung leise Wellen

Wehmüthig rings um's Sonnenlicht der Lust.

Und ach, doch hing mit immer tieferm Sehnen

Dein weiches Herz erschüttert an den Tönen,

Umfing das Weh mit zartem Liebessinn,

Und willig für des Schmerzes heiße Thränen

Gab es den Rausch der kältern Lust dahin.


Den Seelen fern, die mit Gefühlen scherzen,

Und fremd der Brust, die starres Eis umzieht,

Erwählet gern der weiche Gott der Schmerzen

Zur Wohnung sich das zartere Gemüth.

Dort haust er still, und mit wohlthät'ger Kühle

Umwaltet er den Frühling der Gefühle,[131]

Der in der Gluth des ew'gen Glücks verdorrt,

Und tilget sanft mit jungfräulichen Zähren

Die Flecken, die das Zartgefühl entehren,

Von dem Kristall der reinen Seele fort.

Den Geist, der sonst, vom Spiel der Welt umfangen,

Für helles Licht die ird'sche Dämmrung hielt,

Umleuchtet dann ein heiliges Verlangen

Nach jenen Höhn, wo er den Hauch empfangen,

Deß Wehn er jetzt begeisternd in sich fühlt.

Ach, durch den Schmerz, durch seine stillen Thränen

Glaubt er den Zorn des Richters zu versöhnen,

Der aus dem Licht zum Dunkel ihn verbannt;

Rein findet er und unentweiht sich wieder,

Der Flor entbebt, der dämmernd ihn umwand,

Und gläubig hebt mit freierem Gefieder

Er sich empor in's schön're Vaterland.


Wenn rauh und kalt des Winters Stürme wüthen,

Wenn auf die Flur des Todes Geist sich senkt,

Und jeden Halm und alle zarten Blüthen

Der sichre Schooß der Mutter still umfängt,

Dann hängt der Mensch mit wunderbarem Sehnen,

Mit süß'rer Lust am hingeschwundnen Schönen

Und senkt sich still in goldne Phantasien,

Und er, der sonst am duft'gen Blumenbeete

Oft Lilien und Rosen stolz verschmähte,

Ergötzt sich jetzt an jedem zarten Grün.

So wird das Herz, von bangem Leid umfangen,

Sich kindlicher an jeder Hoffnung freun,

An jeder Lust mit heiß'rer Liebe hangen

Und glücklicher in bittern Schmerzen seyn.

Ein mild'rer Glanz wird um den Geist sich winden,

Der Leidenschaft, des Wahnes luft'ges Reich[132]

Wird vor dem Schmerz wie Traumgebild entschwinden,

Und weinend wird der Herr dem Knecht verkünden:

In Thränen ist der Mensch dem Menschen gleich.

Der Starke wird des Schwachen sich erbarmen,

Dem Fremdling sich der Fremdling liebend nahn,

Was sich gehaßt wird friedlich sich umarmen

Und heißer sich, was sich geliebt, umfahn.


Hoch über's Reich des Niedern und Gemeinen

Erhebt der Schmerz den Geist, den er durchdringt,

Wer ihm erlag, den läßt er heilig scheinen

Und adelt den, der muthig mit ihm ringt.

Wen das Geschick zum Opfer sich erlesen,

Um welchen stets, gehüllt in finstre Nacht,

Geheimnißvoll ein düstres Schicksal wacht,

Dem nahn wir uns wie einem höhern Wesen,

Und huld'gen scheu in ihm der dunklen Macht.

Der niedre Halm, der, vom Gebüsch umwoben,

Sein kurzes Seyn in sich'rer Nacht verlebt

Und nie zum Licht verlangend sich erhebt,

Der ruht geschützt vor des Orkanes Toben,

Der Fels und Wald mit mächt'gem Flug umschwebt.

An Großen will der Große sich erproben,

Wo ihn der Sieg, wo ihn die Fessel schmückt;

Kühn schwebt der Aar, der niedern Welt enthoben,

Zur Sonn' empor, wenn auch der Gott von oben

Den Strahlenpfeil auf ihn herniederschickt.

O lerne stark daß große Loos ertragen,

Womit der Kampf des Schicksals dich geehrt;

Die düstre Nacht, bald wird sie herrlich tagen,

Und freudig wird, vom hellern Glanz verklärt,

Dein freies Herz mit kühnem Stolz dir sagen:

Du warst des Kampfs, du bist der Palme werth!
[133]

Schon naht der Lenz; auf milderwärmten Lüften

Schwebt im Triumph der heitre Gott heran;

Schon kündet er in zarten Veilchendüften,

Im mildern Strahl des reinern Lichts sich an.

Zwar hüllt noch oft in grauen Nebelschleier

Mit Feindessinn der wilde Sturm ihn ein,

Doch siegen wird der göttliche Befreier,

Vergebens kämpft mit dem lebend'gen Feuer

Die todte Nacht, der Schatten mit dem Seyn.

Bald wird er zart die holde Braut umschließen,

Um die er lang gekämpft in wilder Schlacht;

Schon kleidet sich die Flur in bunte Pracht,

Auf's holde Haupt ihm Blüthen hinzugießen,

Die Quelle wird mit Murmeln ihn begrüßen,

Mit Säuseln ihn des Haines grüne Nacht.

So wird auch dir die Sonne wiederkehren,

Die feindlich jetzt ein dunkler Geist umwand;

Die Freud' entblüht im Leiden und Entbehren;

Nur Jenem, der den größten Schmerz gekannt,

Wird das Geschick die größte Lust gewähren.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 128-134.
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