Am 8ten Januar 1814

[44] Die Blume.


O Quell, was strömst du rasch und wild,

Und wühlst in deinem Silbersande,

Und drängst, von weißem Schaum verhüllt,

Dich schwellend auf am grünen Rande?

O riesle, Quell,

Doch glatt und hell,

Daß ich, verklärt von zartem Thaue,

Mein zitternd Bild in dir erschaue.


Der Quell.


O Blume, kann ich ruhig seyn,

Wenn sich dein Bild in mir bespiegelt,

Und wunderbare Liebespein

Mich bald zurückhält, bald beflügelt?

Drum streb' ich auf

Mit irrem Lauf

Und will mit schmachtendem Verlangen,

Du Zarte, deinen Kelch umfangen.


[45] Die Blume.


O Quell, ich stehe viel zu fern,

Du kannst dich nie zu mir erheben;

Doch freundlich soll mein Blüthenstern

Auf deiner heitern Fläche beben.

Drum riesle hin

Mit stillem Sinn;

Süß ist's, im Busen ohne Klagen

Der Liebsten keusches Bild zu tragen.


Der Quell.


O Blume, Rath und Trost ist leicht,

Doch schwer ist's, hoffnungslos zu glühen;

Wenn auch mein Kuß dich nie erreicht,

So muß ich ewig doch mich mühen.

Ein Blatt allein

Laß du hinein

In meine wilde Tiefe fallen,

Dann will ich still vorüberwallen.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 44-46.
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