3. An der Quelle

[35] Ich werfe nieder mich am Bach,

Mir wird so jung zu Sinne.

In seine Wellen schau' ich – ach!

Was werd' ich Armer inne?[35]

Es blickt mir statt dem Lockenkopf

Entgegen ein fast grauer Schopf,

Die Augen überbauen

Mir weißbebuschte Brauen.


Sink' immerhin veraltet ein,

Du halb schon trockne Hülle!

Kann nur mein Geist noch Jüngling sein,

Hat er nur Saft und Fülle!

Es wandeln viel, gelockt und glatt,

Um mich herum, und sind schon matt

Mit meinen halben Jahren,

Sind Greise trotz den Haaren.


Werd' mir nicht mürrisch, alt Gesicht!

Nicht wolkicht, kahle Stirne!

Das ist die einz'ge Jugend nicht,

Nach welcher schielt die Dirne.

Jung bleibt, wem in der argen Welt

Gemeines nie den Mut vergällt,

Wer noch für's Höchste Sehnen,

Für edles Leid hat Thränen.


Noch schwillt, du halbgeschlossner Mund,

Das Lied auf deinen Lippen,

Auch leerst du Becher noch zu Grund

Und weißest nichts vom Nippen.

Du, Brust, auch bist noch weit und warm

Und du selbst bist nicht welk, mein Arm!

Ich bin ein Mann und strebe,

Ich fühl's mit Lust: ich lebe!


Und wenn die bessre Zeit noch tagt,

So lang ich wandl' auf Erden,

Die Zeit, von der man singt und sagt,

Mit Angst- und Lustgeberden:

Sie findet mich im Silberhaar,

Doch nicht der Dichterjugend baar;

Dann wird mein Sang verkünden,

Was Jüngste soll entzünden.
[36]

O Plätscherbach! verspotte nicht

Mich und mein Lied verwegen;

O frischer Rasen, grünes Licht!

Schiel' mir nicht so entgegen.

Ach freilich, wenn der goldne Tag

Anbricht nach Sturm und Donnerschlag,

Ist diese Sängerkehle

Zerstäubt, und fern die Seele.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 35-37.
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