Achter Auftritt.

[83] Gaveston, Georg zu seiner Linken.


GAVESTON spricht im Eintreten. Mein Herr, der Tag bricht an!

GEORG. Schon?

GAVESTON. Ich hab' Euch wohl aus einem süßen Traum geweckt?

GEORG. O ja – aber es war mehr als ein Traum.

GAVESTON. Nun, wie habt Ihr diese Nacht zugebracht?

GEORG. Recht gut, nur ein wenig unruhig, denn die Wahrheit zu gestehen, ich hatte gar keine Zeit zum Schlafen.

GAVESTON. Natürlich! Die Gedanken an die weiße Frau haben Euch nicht ruhen lassen.

GEORG. Gedanken? Mehr als das!

GAVESTON. Ihr hättet sie wohl gar gesehen?

GEORG. Gesehen? Nein, das eben nicht! Aber mich die ganze Nacht mit ihr unterhalten und bin von ihrer holden Stimme jetzt noch ganz entzückt!

GAVESTON. Was wollt Ihr damit sagen?

GEORG. Indessen, mein werter Herr, muß ich Euch sagen, daß Ihr nicht sonderlich bei ihr in Gunst steht.

GAVESTON. So!

GEORG. Ja. Sie behauptet – verzeiht mir, es sind ihre eigenen Worte – Ihr wäret ein geiziger, ungerechter, habsüchtiger Mann. Ihr wolltet diese Herrschaft an Euch bringen und Eure ehemaligen Herren so berauben.

GAVESTON schnell einfallend. Wer darf es wagen, so etwas zu vermuten?

GEORG achselzuckend. Es sind ihre eigenen Worte! Sie sagte weiter, daß Eure Hoffnung zu Schanden werden solle, daß sie das Erbe der Grafen von Avenel niemals in Eure Hände kommen lassen würde.

GAVESTON mit heimlichem Ingrimm. Und das alles sagte Euch die weiße Dame?

GEORG. Ja, ungefähr mit denselben Worten.

GAVESTON indem er an Georg vorüber nach links tritt. Nun wohlan, der Erfolg wird ja lehren, wer von uns beiden am meisten vermag. Er sieht durch das Fenster links. Da tritt der[83] Friedensrichter Mac- Irton in den Hof, mit allen aus der Umgegend, welche der Versteigerung beiwohnen wollen. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr Euch gleich selbst überzeugen. Habt Ihr einer Versteigerung schon beigewohnt?

GEORG. Nein.

GAVESTON. Warum?

GEORG mit der Gebärde des Geldzählens. Aus sehr triftigen Gründen.

GAVESTON für sich. Ah, ich verstehe! ein Unterlieutenant! Laut. Nun, so bleibt und nehmt einen der ersten Plätze ein.

Der Haupteingang wird geöffnet.

Schottische Pächter, Pächterinnen, Bauern und Bäuerinnen treten durch denselben ein.

Vier Diener folgen, schließen die Thür, setzen den grünbedeckten Tisch von links hinten nach der Mitte hin vor, öffnen den Haupteingang wieder und halten dann die fünf Stühle bereit.

Gaveston geht durch den Haupteingang ab und Mac-Irton entgegen.

Margarethe kommt nach einer kleinen Weile durch den Haupteingang und tritt auf die rechte Ecke vor.


Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 83-84.
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