Siebenter Auftritt.

[78] Georg, Anna zu seiner Linken.


GEORG gefaßt, die Erscheinung anschauend, für sich, spricht. Nein, es ist keine Täuschung. Sie ist es! Ich unterscheide trotz der Dunkelheit der Nacht ihren leichten Gang und ihre weiße Kleidung.

ANNA für sich. Er ist es! Ob er mir aber folgen wird? O gewiß! Wenn auch nicht aus Dankbarkeit für die weiße Frau, so doch gewiß aus Furcht vor ihr. Sie tritt näher.

GEORG. Sie naht!

ANNA halblaut. Dikson! Dikson! – Bist du es?

GEORG. Nein, er ist es nicht! Ich bin es und komme statt seiner.

ANNA für sich mit leisem Ausruf. O Himmel! Laut im vorigen Ton. Und wer seid Ihr?

GEORG. Wie, allwissende Zauberin, du weißt nicht, wer ich bin?

ANNA für sich. Gott, welche Stimme?

GEORG. Muß ich dir erst sagen, daß ich mich Georg Brown nenne?

ANNA beiseite. Georg an diesem Ort? Ist es kein Traum? Ach, wenn ich –Sie geht ihm einen Schritt entgegen. Nein, ich darf selbst gegen ihn meines Schwurs nicht vergessen! Laut. Du thatest wohl daran, mir nichts verbergen zu wollen, denn ich, die Alles weiß, kenne dich sehr wohl. Du dientest in der englischen Armee und wurdest an der Seite[78] deines Obersten verwundet. Eine dir unbekannte Hand rief dich ins Leben zurück und pflegte dich mit Sorgfalt.

GEORG. Das ist zuviel! Wer bist du, geheimnisvolles Wesen? Er geht auf sie zu.

ANNA streckt abwehrend die Hand aus. Zurück – oder ich entschwinde deinen Blicken und du siehst mich niemals wieder!

GEORG zieht sich zurück. Ich gehorche. Doch bemitleide die Verwirrung, in der ich mich befinde. Sprich, wo ist die schützende Gottheit, der ich das Leben danke? Seit drei Monaten suche ich sie vergebens; überall wähne ich sie zu hören, zu sehen – selbst jetzt glaube ich ihre Stimme zu erkennen.

ANNA. Könnte ich sie nicht angenommen haben, um dich zu gewinnen?

GEORG. Wenn du es nicht selbst bist, so beschwöre ich dich, gieb mir die Mittel an die Hand, sie wiederzusehen!

ANNA. Das wird von dir abhängen!

GEORG. Was soll ich thun?

ANNA. Mir gehorchen! Beiseite. Nein, ich darf es nicht wagen, ich muß meinen Plan ändern! Laut. Morgen wirst du meine Befehle empfangen – und welche es auch sein mögen –

GEORG. Ich schwöre, sie zu vollziehen! Ich gehorche!

ANNA. So höre mich an!

Nr. 12. Duett.

Es donnert leise ab und zu.


ANNA.

Dieses Gut gehört den Grafen Avenel mit Recht.

Der es bisher verwaltet, ist falsch, grausam und schlecht;

Er – will es ihnen rauben. –

Mir ward durch Gott die Macht,

Der Waise Schutz zu leih'n;

Laster sei schnell bestraft!

O sprich, willigst du ein,

Hier Beistand mir zu sein?

Täusch' die Hoffende nicht.[79]

GEORG.

Dem Unglück Rächer sein,

Ist meine heiligste Pflicht.

ANNA.

Stets mein Gebot treu zu erfüllen,

Ford're ich von dir!

GEORG.

Wie, ich?

ANNA.

Das schwöre mir!

GEORG.

Soll schwören dir?

ANNA.

Das schwöre mir!

GEORG.

Den Schwur –

ANNA.

Ford'r ich von dir, ja mein Gebot,

Stets zu erfüllen, schwöre,

Das schwöre, schwöre mir!

GEORG.

Ja, ich gelobe, stets deinen Willen

Mit frohem Herzen gern zu erfüllen,

Wenn auch Gefahr mir drohet hier,

Ich scheue nichts, das schwör' ich dir.

ANNA.

Du schwörest mir –

GEORG.

Ja, ja!

ANNA.

Daß meinen Willen –

GEORG.

Ja, dein Gebot stets zu erfüllen,

Das schwöre, das schwör' ich dir!

ANNA.

Von deinem Schwur, von deinem Mute

Giebst du mir wohl ein sichres Pfand?

GEORG.

Rede!

ANNA.

So wag' es kühn, reiche mir nun deine Hand,

Ja, wag' es kühn, reiche mir die Hand!

GEORG.

Die Hand? Nimm sie, da! –


Er reicht ihr beherzt die Hand, wendet aber das Gesicht von ihr ab.

Für sich.


Diese Hand, diese Hand, so weich, ach, so zart,

Sie erfüllt mich mit Lust und mit Schmerz!

Ach, welch' ein süßer Traum,

Nein, mein Glück findet hier nicht Raum.

Diese Hand, diese Hand, so weich, ach, so zart,

Sie erfüllt mich mit Lust und mit Schmerz!

[80] ANNA für sich.

Ach, ich fühls, vor der Liebe Zauber,

Bewahrt keine Macht ein zärtliches Herz!

Ach, mein Glück verberg' ich kaum,

Nein, ich stör' nicht den süßen Traum.

Ja, ich fühls, vor der Liebe Zauber

Bewahrt keine Macht ein zärtliches Herz!

Schnell fort!

GEORG.

Ach, bleibe!

ANNA.

O Gott, welche Angst mich durchbebet!

Was forderst du?

GEORG.

Hast du nicht gelobt, daß mir bald

Die Heißgeliebte erscheinen werde?

Wo find' ich sie?

ANNA.

An diesem Ort.

GEORG.

Doch wie?

ANNA.

Merk' auf! Meine Befehle soll morgen sie dir bringen;

Doch meine Gunst dir zu erringen,

Sei bereit, sobald sie dir erscheint, mir zu gehorchen.

GEORG.

Ich werd' gehorchen.

Doch du gelobst, daß sie erscheint?

ANNA.

Ja, ich gelob', daß sie erscheint.

GEORG.

Ich trau' dem Schwur, der dich bindet;

Doch giebst du mir wohl noch ein Pfand?

Ja, du giebst mir noch ein Pfand,

Jeder Zweifel dann verschwindet.

ANNA.

So sprich!

GEORG.

Reiche mir die Hand!

ANNA.

Die Hand?

GEORG.

Die Hand!

ANNA.

Die Hand? – Nimm sie, da!


Sie reicht ihm die Hand.


GEORG für sich.

Diese Hand, so weich, ach, so zart,

Sie erfüllt mich mit Lust und mit Schmerz!

Ach, welch' ein süßer Traum,[81]

Nein, mein Glück findet hier nicht Raum.

Diese Hand, so weich, ach, so zart,

Sie erfüllt mich mit Lust und mit Schmerz!

Das wär' ein Geist? Ach, ich glaub' es kaum!

Ach, welch ein Traum! mein Glück find't hier nicht Raum!

Ach, welch ein Traum! o welch ein süßer Traum!

ANNA für sich.

Ach, ich fühl's, vor der Liebe Zauber

Bewahrt keine Macht ein gefühlvolles Herz!

Ach, mein Glück verberg ich kaum,

Nein, ich stör nicht den süßen Traum.

Ja, ich fühl's, vor der Liebe Zauber

Bewahrt keine Macht ein gefühlvolles Herz!

Ach, welch ein süßer schöner Traum, welch ein Traum!

Ach, mein Glück verberge ich kaum,

Nichts stör den süßen Traum!

GEORG.

Fliehe nicht!

ANNA.

Schnell fort!

GEORG.

Fliehe nicht!

ANNA.

Schnell fort!

GEORG.

Fliehe nicht!

Für sich.


Ach, welch ein süßer Traum!

Ach, mein Glück findet hier nicht Raum!

ANNA für sich.

Welch ein süßer Traum!

Mein Glück verberg' ich kaum!

Ach, welch ein süßer Traum!

Anna entfernt sich leise durch die geheime Thür (Drehbild) ohne daß Georg es bemerkt.


GEORG spricht. Sie entfernt sich, sie ist verschwunden und ich wagt es nicht, ihr zu folgen.

Es wird allmählich Tag.

Man hört an den Haupteingang klopfen, ihn aufriegeln und aufschließen.

Gaveston tritt durch denselben ein.
[82]


Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 78-83.
Lizenz:

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