Sechster Auftritt.

[76] Georg allein.

Nr. 11. Ravatine.


GEORG untersucht das Gemach, sieht das Feuer im Kamin erlöschen, setzt sich, nimmt den Blasebalg und bläst das Feuer an; dann legt er den Blasebalg wieder zum Kamin, zieht zwei Pistolen aus der Tasche und legt sie auf den Tisch rechts, alles nach Vorschrift der Partitur.

Alles still – alles still – nun komm –

Die weiße Dame – wann sie will! – –

Komm, o holde Dame,

Sag' an, wie ist dein Name?

Ich bau' auf deinen Schwur! –

Treu deinen Willen werd' ich erfüllen;

Verlangend harr' ich dein![76]

Ach erschein! ach erschein!

Komm, o holde Dame,

Komm, ach erscheine!

Komm, o holde Dame

Komm, ach, verlangend harr ich dein!

Komm, ach, erschein!

Ja, dieses Ortes Stille,

Die rätselhafte Hülle

Haben Reize selbst für mich.

Ja, ich fühle, wie mein Herz

Deinem Anblick schlägt entgegen;

Doch niemals kannst du Furcht,

Nein – nein, niemals Furcht erregen!

Nein – nein – nein, nein, nein, nein, nein, nein!

Komm, o holde Dame,

Sag an, wie ist dein Name?

Ja, ich trau deinem Schwur! –

Treu deinen Willen werd' ich erfüllen;

Verlangend harr' ich dein!

Ach, erschein! ach, erschein! –

Schon deckt die Nacht uns mit dunklem Schleier,

Natur schon ruhet still in hehrer Feier;

Mich erfüllet süßes Regen,

O komm, wie lange willst du zögern,

Mein Herz schlägt dir entgegen.

Schon deckt die Nacht uns mit dunklem Schleier,

Natur schon ruhet still in hehrer Feier;

Mich erfüllt ein süßes Regen,

Mein Herz schlägt dir entgegen;

Ein süßes Regen füllt das Herz.

Holde, erscheine! Ja, dir entgegen

Schlägt das Herz, Holde, erschein'!

Mich erfüllt ein sanftes Regen,

Komm doch, Holde, zögre nicht!

Ja, mein Herz schlägt dir entgegen,[77]

O komm, o zögre nicht!

Ach, erschein! ach, erschein!

Ja, mit Lust harre ich dein! – –


Gesprochen.


Was hör ich? –


Er horcht aufmerksam.


Komm, o holde Dame! komm, o holde Dame!

Komm, o holde Dame! mit Lust harr' ich dein! –

Anna kommt, ganz weiß gekleidet und mit einem weißen langen Schleier verhüllt, bei den Harfentönen von links durch die geheime Thür (Drehbild); sie schließt die Thür schnell hinter sich.


Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 76-78.
Lizenz:

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