Der Vortheil

[293] Musik ist der Schlüssel zum weiblichen Herzen:

Da schleicht sich melodisch mit Kosen und Scherzen

Freund Amor unmerkbar mit leiser Magie

In Seelen, als wär' es zur Urharmonie.


Die Weisheit der Weisen, nur kalt und besonnen,

Ist schnell mit der göttlichsten Lehre zerronnen:

Der Thracier klaget im mystischen Hain,

Und alles wird Nachhall zum Geisterverein.


Der Zauberer spielet in Tonlabyrinthen,

Wie Mädchen im Lenze mit Blumengewinden,

Mit Herzen, und führet in lieblichem Lauf

Sie unbedingt herrschend hinab und hinauf.[294]


Jüngst sann und sann Mozart, der schöpf'rische Meister,

Der Orpheus-Amphion der liebenden Geister,

Bis seine geflügelte magische Hand

Den Zauber der Doppelsonaten erfand.


Da wandeln in künstlich verschlungnem Gewühle

Aus Seelen in Seelen verwandte Gefühle;

Da träufeln die Töne, gebunden und frey,

Erquickend und lieblich wie Regen im May.


Da ruhet und bebet und sinket und steiget

Die Seele, bis sanft sie dem Rausche sich neiget,

Und erdevergessend das Auge bewegt,

Herüber hinüber den Himmel sich trägt.


Oft schließet nach Paphiens heimlichem Rathe

Dann Seelenentzückung die Doppelsonate,

Wo man mit den Göttern vermessen sich mißt,

Und Himmel und Erd' und sich selber vergißt.


Dankt Mozart, ihr Schüler, dem schöpf'rischen Meister,

Dem Orpheus-Amphion der lieben Geister,

Ihm, dessen geflügelte Hand

Den unüberwindlichen Zauber erfand.[295]


Und höret, ihr unmusikalischen Seelen,

Hört auf, euch mit Qualen der Liebe zu quälen:

Die Götterbeglückung in uns'rer Natur

Gehöret den göttlichen Lieblingen nur.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Gedichte. Wien und Prag 31810, S. 293-296.
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