Rückerinnerung an Münchhausen

[22] Göttinn, die du mit erhöhten Freuden

Jede gute That dem Thäter lohnst,

Und dem Dulder überstandner Leiden

In dem Nachbild als Erquickung wohnst;


Die du mit der Strafe Schlangenbissen

In dem Puls des Missethäters wachst,

Und der Wollust seidne Dunenküssen

Zu dem Block der Guillotine machst;


Komm, Erinnrung, glühe meine Bilder

Mit dem Morgenroth des Lenzes an,

Wenn die Sonne lieblicher und milder

Niederlächelt auf die Blumenbahn.[23]


Dankbar falt' ich bethend meine Hände,

Stehe gleich der Spott sarkastisch hier;

Wer sich des Gefühles schämet, wende

Zwey Secunden seinen Blick von mir.


Gut und groß und hehr sind Gottes Gaben,

Die er über unsre Erde gießt;

Alle sollen sich an ihnen laben;

Der ist ruchlos, der sie nicht genießt.


Ich, des Staubes Sohn, des Staubes Erde,

Über dem der Hauch des Todes schwebt,

Sterbe ruhig, wenn ich heute sterbe;

Manche Stunde hab' ich froh gelebt.


Wie des kleinen Baches Silberwellen

Floß mein Leben hin in stillem Lauf:

Wenn sie von Gewitterstürmen schwellen,

Hellt ein Sonnentag sie wieder auf.


Als ein Knabe sprang ich froh und munter,

Wenn der Schulmonarch die Stunde schloß,

Im Gefährtenschwarm bergauf bergunter,

Bis vom West die Abendröthe floß.[24]


Wenn wir um die alte Linde tanzten,

War kein Maskenball dem Reihen gleich;

Wenn wir unsre jungen Bäume pflanzten,

War der König Krösus nicht so reich.


Feiste Prasser bey dem Austernschmause

Waren nicht so froh beym Nectarglas,

Als ich in dem kleinen Gartenhause

Bey dem frischgebrochnen Obste saß.


Wenn ich nach der Ulme hohen Spitze

Kühn hinauf auf breiten Ästen stieg,

Sah ich von des Falken Wolkensitze

Stolz herab, wie Römer nach dem Sieg.


Und wenn dann der grämliche Präcepter

Für mein Bißchen hinkendes Latein

Lob mir winkte, galt sein Haselcepter

Mehr als Cäsars Stab von Elfenbein.


Statt Katheten und Hypotenusen

Und Parabeln, die der Alte sprach,

Nachzudenken, flog ich Hallers Musen

Auf der Andacht Feuerschwingen nach.[25]


Statt der großen zwölf Kathegorien,

In ein schweres Amulet gereiht,

Lernt' ich Höltys fromme Elegien,

Die er seines Vaters Grabe weiht.


Noch, noch seh' ich jene hohe Eiche,

Wo ich in dem kühlen Schatten saß,

Wo ich an dem schilfbewachsnen Teiche

Bürgers Lied von seiner Einzgen las.


Wo ich, wenn nur Philomele klagte

Und die ganze Gegend lauschend schwieg,

Kleist und Klopstock nachzustammeln wagte,

Daß mein Geist zu ihrem Geiste stieg.


Jetzt noch steht das jugendliche grüne

Seelenvolle Tempe vor mir da,

Wo ich, wie in Eden, Wilhelmine,

Dich zum ersten Mahle schweben sah;


Wo, wie vor der göttlichen Madonne,

Ich in Andacht hingeheftet stand,

Und vor dir zum ersten Mahl die Wonne

Jenes himmlischen Gefühls empfand.[26]


Wo ich an dem Zauber deiner Blicke,

Wie von Allmacht hingezogen, hing,

Und im Wirbel vorwärts und zurücke

Unwillkürlich, wie du walltest, ging.


Lieblich säuselt noch in meinen Ohren

Ihrer Stimme schöner Silberton,

Als ich vor ihr stand, wie neugeboren,

Glücklich, glücklich, wie ein Göttersohn.


Jetzt noch fühl' ich, wie zum ersten Mahle,

Ihren ersten sanften Druck der Hand,

Die sie, wie die opfernde Vestale,

Himmlisch rein um meine Schultern wand.


Jetzt noch bebt mir, wie der Zauberflöte

Süßer Hauch, ihr gottgeweihtes Lied,

Wenn sie, glühend wie die Abendröthe,

Dankend von dem Purpurabend schied.


Himmel gießt die selige Minute,

Als sie nach dem ersten Feuerkuß

Heiß verhüllt an meinem Nacken ruhte,

Oft mir noch in meinem Morgengruß.[27]


Fluch dem Wüstling, der die schöne Blume

Dann im hohen Sinnenrausche bricht,

Und von dem entweihten Heiligthume

Wie der Zecher von Pokalen spricht.


Unerbittlich rief des Schicksals Stimme

Weit sie fort ins fremde Brautgemach;

Und ich stand mit tief verbißnem Grimme,

Zähne knirschend, weint' und sah ihr nach.


Ach, vielleicht die Pöbelseelen haben,

Fern, wo kein Gefühl Gefühlen lohnt,

Dich und deinen Zauber schon begraben,

Der nur noch in meiner Seele wohnt.


Auf des Meeres Riesenwogen schwebte

Von mir hingehaucht dein holdes Bild;

An den schroffen Felsenschedeln bebte

Es in Luftgestalten, traurig mild.


Doch vergessen will ich sie, vergessen,

Welche Seligkeit sie mit sich nahm;

Bitter war der Kelch mir zugemessen,

Und ich trank ihn ohne langen Gram.[28]


Wer mit Stumpfsinn keine Leiden fühlet,

Gleicht dem Marmorblocke, kalt und schwer;

Aber wenn der Kummer niederwühlet,

Hat nicht Männerwerth für Männer mehr.


Schmerz und Freude liegt in einer Schale;

Ihre Mischung ist der Menschen Loos,

Von dem Strohdach bis zum Marmorsaale,

Bis zur Bahre von der Amme Schooß.


Ließ mein Vater mir bey seinem Grabe

Gleich nicht Säcke Gold und reiches Gut;

Erbte für das Leben doch der Knabe

Muth von ihm und Ruh und reines Blut.


Wenn im Sturm des Schiffes tiefste Fugen

Furchtbar dröhnten, und mit wilder Fluth

Aufwärts abwärts uns Orkane schlugen,

Hatt' ich noch für die Gefahren Muth.


Wenn ich unter unwirthbaren Leuten

Wie der Grieche mit der Leuchte stand,

Lockte mich ein Freund auf Silbersaiten

Hin zu sich mit brüderlicher Hand.[29]


Wenn ich mit der Galle schwarzem Zweifel

Unter jeder Blume Schlangen sah,

Und in jedem Menschen einen Teufel,

Stand doch oft ein Engel vor mir da.


Manche Stunde hab' ich froh genossen;

Ohne Tadel ist mir mancher Tag

Wie ein Opferfest vorbey geflossen,

Der mit Unglück schwanger vor mir lag.


Noch ist alles, was das Weib geboren,

Nicht so grundlos schlimm, nicht so verrucht;

Und die meisten Menschen sind nur Thoren,

Denen man als Bösewichtern flucht.


Nichts, nichts Endliches ist frey von Mängeln;

Nur der Urgeist denkt sich absolut;

Und Vollkommenheit ist nicht bey Engeln,

Wie sie auf dem Urbegriffe ruht.


Der Contrast nur schafft in den Geschöpfen

Schmerz und Freude, Qual und Seligkeit;

Und was Marter ist in diesen Köpfen,

Ist in jenen Wohlbehaglichkeit.[30]


Immer will ich also festes Muthes

In den Pflichten meines Lebens ruhn;

Oft, ja oft schon that ich etwas Gutes,

Und in Zukunft kann ich mehr noch thun.


Wer in seinem Herzen Menschenwürde,

Allgemeine Menschenliebe trägt,

Unterlieget nie der schweren Bürde,

Die den Schwächling tief zu Boden schlägt.


Gut, wenn ich mir Achtung kann verdienen;

Achtung ehret, die der Weise beut;

Aber wenn des Narren Aftermienen

Keck mich loben, gilt mirs keinen Deut.


Lächelt mir vielleicht noch eine Holde;

Gut, auch das: ich bin ein biedrer Mann,

Welcher von der Mode Flittergolde

Ächten Werth noch unterscheiden kann.


Süße zauberische Schäferstunden,

Schüfe sie auch selbst der Mahler Rost,

Selbst von Theokrit mir vorempfunden,

Sind für meine Seele kein Kost.[31]


Meines Lebens Wunsch ist stiller Friede,

Guter Bücher eine kleine Zahl,

Ein geprüfter Freund mit einem Liede,

Und der Sparsamkeit gesundes Mahl.


Aber wenn die Pflicht ihr Opfer fodert,

Wall' auch ich des Todes Ehrenbahn;

Und kein Jüngling, welcher Feuer lodert,

Geht in den Gefahren mir voran.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Gedichte. Wien und Prag 31810, S. 22-32.
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