Vierte Szene

[622] Ebendaselbst. Eine Straße.


Gloster tritt auf, von Bedienten begleitet; sämtlich in Trauermänteln.


GLOSTER.

So hat der hellste Tag manchmal Gewölk,

Dem Sommer folgt der kahle Winter stets

Mit seinem grimm'gen, bitterlichen Frost:

So strömet Freud' und Leid, wie Zeiten wandeln. –

Was ist die Glocke, Leute?

BEDIENTER.

Zehn, Mylord.

GLOSTER.

Zehn ist die Stunde, die man mir bestimmt,

Zu warten auf mein büßendes Gemahl.

Fast schwer mag sie die stein'gen Straßen dulden,

Mit zartgefühl'gem Fuß sie zu betreten.

Herz-Lene! Schlecht erträgt dein edler Mut[622]

Verworfnes Volk, das ins Gesicht dir gafft,

Mit häm'schen Blicken lachend deiner Schmach,

Das sonst den stolzen Wagenrädern folgte,

Wenn im Triumph du durch die Straßen fuhrst.

Doch still! Da kommt sie, denk' ich, und nun soll

Mein tränbeschwemmtes Aug' ihr Elend sehn.


Die Herzogin von Gloster kommt in einem weißen Hemde, Papiere auf dem Rücken geheftet, barfuß, und mit einer brennenden Kerze in der Hand; Sir John Stanley, ein Sheriff und Beamte.


BEDIENTER.

Geruhn Eu'r Gnaden, und wir machen sie

Von Sheriffs Händen los.

GLOSTER.

Nein, rührt euch nicht,

Bei Leib und Leben, laßt vorbei sie ziehn.

HERZOGIN.

Kommt Ihr, Gemahl, um meine Schmach zu sehn?

Nun tust du Buße mit. Sieh, wie sie gaffen!

Sieh, wie die trunkne Schar mit Fingern weist,

Mit Köpfen nickt und Augen auf dich wirft!

Ach, Gloster, birg dich den gehäss'gen Blicken,

Klag', eingesperrt im Zimmer, meine Schmach

Und fluch' auf deine Feinde, mein' und deine!

GLOSTER.

Geduldig, liebe Lene! Vergiß dies Leid!

HERZOGIN.

Ah, Gloster, lehre mir, mich selbst vergessen!

Denn, weil ich denk', ich bin dein eh'lich Weib

Und du ein Prinz, Protektor dieses Lands,

Dünkt mich, ich sollte so geführt nicht werden,

In Schmach gesteckt, mit Zetteln auf dem Rücken,

Ein Pöbel hinter mir, der meiner Tränen

Und tief geholten Seufzer sich erfreut.

Der grimm'ge Kiesel ritzt die zarten Füße,

Und fahr' ich auf, so lacht das häm'sche Volk

Und heißt mich Achtung geben, wie ich trete.

Ah, Humphrey, kann ich's tragen, dieses Joch?

Meinst du, ich werde je die Welt anschaun

Und glücklich achten, wem die Sonne scheint?

Nein, Dunkel sei mein Licht, und Nacht mein Tag,

Und Denken meines Pomps sei meine Hölle.

Dann sag ich: Ich bin Herzog Humphreys Weib,

Und er ein Prinz und ein Regent des Lands;[623]

Doch so regiert' er und war solch ein Prinz,

Daß er dabei stand, während ich Hülflose

Zum Wunder ward gemacht und zum Gespött

Von jedem müß'gen Buben aus dem Troß.

Sei du nur mild, erröte nicht für mich,

Kehr' dich an nichts, bis über dir das Beil

Des Todes hängt, wie sicher bald geschieht.

Denn Suffolk, er, der alles ist in allem

Bei ihr, die dich haßt und uns alle haßt,

Und York, und Beaufort, der ruchlose Pfaff',

Sie alle stellten Vogelruten dir;

Und flieg' du, wie du kannst, sie fangen dich.

Doch fürchte nichts, bis sich dein Fuß verstrickt,

Und such' nie deinen Feinden vorzukommen!

GLOSTER.

Ach, Lene, halt! Du zielest gänzlich fehl.

Eh' muß ich schuldig sein als überwiesen;

Und hätt' ich zwanzigmal so viele Feinde,

Und jeder hätte zwanzigmal mehr Macht,

Die alle könnten keine Not mir schaffen,

Solang' ich redlich bin, getreu und schuldlos.

Wollt'st du, ich sollte von dem Schimpf dich retten?

Die Schande wär' ja dennoch nicht verwischt,

Doch ich gefährdet durch Gesetzes Bruch.

Die beste Hülf ist Ruhe, liebe Lene;

Ich bitt' dich, füge zur Geduld dein Herz.

Das Aufsehn wen'ger Tage legt sich bald.


Ein Herold tritt auf.


HEROLD. Ich lade Euer Gnaden zu Seiner Majestät Parlament, das zu Bury am Ersten nächstkommenden Monats gehalten werden soll.

GLOSTER.

Und nicht erst meine Beistimmung gefragt!

Das nenn' ich heimlich. – Gut, ich komme hin.


Herold ab.


Ich scheide, liebe Lene, – und, Meister Sheriff,

Laßt nach des Königs Auftrag nur sie büßen.

SHERIFF.

Mein Auftrag ist hier aus, beliebt's Eu'r Gnaden;[624]

Und Sir John Stanley ist nunmehr bestallt,

Sie mitzunehmen nach der Insel Man.

GLOSTER.

Habt Ihr, Sir John, in Aufsicht mein Gemahl?

STANLEY.

Ja, gnäd'ger Herr, dies Amt ist mir erteilt.

GLOSTER.

Verfahrt mit ihr nicht härter, weil ich bitte,

Daß Ihr sie schont. Die Welt mag wieder lächeln,

Und ich noch Gutes Euch erweisen, wenn

Ihr's ihr getan. Und so, Sir John, lebt wohl!

HERZOGIN.

Geht mein Gemahl und sagt mir kein Lebwohl?

GLOSTER.

Die Tränen zeugen, daß ich's nicht vermag.


Gloster und Bediente ab.


HERZOGIN.

Auch du bist fort? Geh' aller Trost mit dir!

Denn keiner bleibt bei mir: mich freut nur Tod,

Tod, dessen Namen sonst mich oft geschreckt,

Weil Ewigkeit in dieser Welt ich wünschte. –

Stanley, ich bitt' dich, geh, nimm mich von hinnen;

Gleichviel wohin, ich bitte nicht um Gunst,

Geleit' mich nur, wo dir's befohlen ward.

STANLEY.

Ei, gnäd'ge Frau, das ist zur Insel Man.

Nach Eurem Stand gehalten dort zu werden.

HERZOGIN.

Das wäre schlimm genug: ich bin nur Schimpf,

Und soll ich schimpflich denn gehalten werden?

STANLEY.

Wie eine Herzogin, Humphreys Gemahl:

Nach diesem Stand sollt Ihr gehalten werden.

HERZOGIN.

Sheriff, leb wohl, und besser, als ich lebe,

Wiewohl du Führer meiner Schande warst.

SHERIFF.

Es ist mein Amt, verzeiht mir, gnäd'ge Frau.

HERZOGIN.

Ja, ja, leb wohl! Dein Amt ist nun versehn.

Komm, Stanley, soll'n wir gehn?

STANLEY.

Werft ab dies Hemde, nach getaner Buße,

Und gehn wir, um zur Reis' Euch anzukleiden.

HERZOGIN.

Die Schande wechsl' ich mit dem Hemde nicht,

Nein, sie wird an den reichsten Kleidern hängen,

Sich zeigen, wie ich auch mich schmücken mag.

Geh, führe! Mich verlangt in mein Gefängnis.


Ab.[625]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 622-626.
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