Erste Szene

[978] Straße in Westminster.


Zwei Edelleute, die einander begegnen.


ERSTER.

Seid abermal willkommen!

ZWEITER.

So auch Ihr!

ERSTER.

Ihr stellt Euch wohl, um Lady Annen hier

Zu schaun, wie sie vom Krönungsfeste kommt?

ZWEITER.

Ja, eben das. Als wir uns jüngst hier trafen,

Kam Herzog Buckingham aus dem Verhör.

ERSTER.

Jawohl! Doch jene Zeit war trüb und bang,

Heut allgemeines Fest! –

ZWEITER.

Mit Recht Die Bürger

Sind alle treu und königlich gesinnt;

Und, wahr zu sprechen, immerdar bereit

Zur Feier solches Tags, mit manchem Schauspiel,

Aufzug und Ehrenbogen.

ERSTER.

Doch nie prächt'ger

Und nie, versichr' ich, besser eingerichtet.

ZWEITER.

Wenn Ihr's vergönnt, wüßt' ich den Inhalt gern

Von jenem Blatt in Eurer Hand.

ERSTER.

Seht hier:

's ist das Verzeichnis aller hohen Würden,

Die heut am Krönungsfest ihr Amt versehn.

Der Herzog Suffolk geht voran, er nimmt

Den Rang als Oberhofmeister; dann als Marschall

Herzog von Norfolk; lest die andern selber!

ZWEITER.

Ich dank' Euch, Herr; kennt' ich den Brauch nicht schon,

Wär' ich für dieses Blatt Euch sehr verpflichtet.

Doch sagt mir noch, was ward aus Katharinen?

Der Fürstin Witwe? Wie steht deren Sache?[978]

ERSTER.

Das sollt Ihr gleichfalls hören. Der Erzbischof

Von Canterbury, in Begleitung andrer

Gelahrter, würd'ger Väter hohen Rangs,

Hielt einen Tag zu Dunstable, sechs Meilen

Von Ampthill, wo die Fürstin wohnt; wohin

Sie oft geladen, nimmer doch erschien:

Und wegen Nichterscheinens und des Königs

Gewissensskrupel hat einmütig Urteil

Der weisen Väter Scheidung hier erkannt,

Und wird die ganze Eh' für null erklärt.

Seitdem ist sie nach Kimbolton entfernt,

Wo Krankheit sie befallen.

ZWEITER.

Arme Fürstin! –

Hört die Musik; steht still; die Königin naht.


Ordnung des Krönungszuges.

1. Ein lebhafter Trompetenstoß.

2. Zwei Richter.

3. Der Lord Kanzler mit Tasche und Stab vor ihm her.

4. Singende Chorknaben.

5. Der Mayor von London, der den Stab trägt; darauf der erste Herold in seinem Wappenrock, auf dem Haupt eine kupferne vergoldete Krone.

6. Der Marquis Dorset mit einem goldnen Szepter, auf dem Kopf eine goldne Halbkrone. Neben ihm der Graf von Surrey, der den silbernen Stab mit der Taube und auf dem Haupt eine Grafenkrone trägt; um den Hals ritterliche Ketten.

7. Der Herzog von Suffolk in seiner Staatskleidung, seine kleine Krone auf dem Haupt, in der Hand einen langen weißen Stecken, als Oberhofmeister. Neben ihm der Herzog von Norfolk mit dem Marschallsstabe, eine kleine Krone auf dem Haupt. Beide mit ritterlichen Ketten um den Hals.

8. Der Thronhimmel, von vieren der Barone von den fünf Häfen getragen: unter demselben die Königin im Krönungsgewande. Sie ist in bloßen Haaren, reich mit Perlen geschmückt und gekrönt. Zu ihren beiden Seiten die Bischöfe von London und Winchester.

9. Die alte Herzogin von Norfolk, mit einer kleinen, goldnen, mit Blumen durchflochtnen Krone; sie trägt die Schleppe der Königin.

10. Verschiedne Edelfrauen und Gräfinnen, mit schlichten goldnen Reifen um den Kopf, ohne Blumen.


Sie ziehn in feierlicher Ordnung über die Bühne.[979]


ZWEITER.

Ein stolzer Zug, fürwahr! Sieh! Diese kenn' ich:

Wer aber trägt den Szepter?

ERSTER.

Marquis Dorset,

Und dort der Graf von Surrey mit dem Stab.

ZWEITER.

Ein edler, wackrer Herr! Dort, mein' ich, folgt

Der Herzog Suffolk?

ERSTER.

Ja, der Oberhofmeister.

ZWEITER.

Dann Mylord Norfolk.

ERSTER.

Ja.

ZWEITER indem, er die Königin erblickt.

Gott sei mit dir!

Solch süß Gesicht als deins erblickt' ich nie!

Bei meinem Leben, Herr, sie ist ein Engel.

Der König hält ganz Indien in den Armen

Und viel, viel mehr, wenn er die Frau umfängt:

Ich tadle sein Gewissen nicht.

ERSTER.

Die Träger

Des Ehrenbaldachins sind vier Barone

Von den fünf Häfen.

ZWEITER.

Glücklich sind die Herrn,

Und so sind alle, die ihr nahen dürfen.

Dann war wohl jene, so die Schleppe trug,

Die alte, hohe Herzogin von Norfolk?

ERSTER.

Ja, und die andern alle Gräfinnen.

ZWEITER.

Das deuten ihre Krönchen. Sterne sind's,

Und die mitunter fallen.

ERSTER.

Still davon! –


Die Prozession geht vorüber unter Trompetenschall.


Ein dritter Edelmann kommt hinzu.


Gott grüß' Euch, Freund! Aus welchem Feuer kommt Ihr?

DRITTER.

Vom dicksten Drängen der Abtei, wo kaum

Ein Finger einzuzwängen ist. Fast bin ich

Erstickt vor lauter Freud' und Lust.

ZWEITER.

Ihr saht

Die Zeremonie?

DRITTER.

Ja,

ZWEITER.

Wie war's damit? –

DRITTER.

Wohl wert, gesehn zu werden.

ZWEITER.

Oh, erzählt uns![980]

DRITTER.

Soviel ich kann. Nachdem der reiche Strom

Der Lords und Edelfrau'n die Königin

Zu ihrem Sitz geleitet auf das Chor,

Trat er zurück: indessen Ihre Hoheit

Sich niederließ, ein Weilchen auszuruhn,

Auf einem prächt'gen Sessel, frei dem Volk

Entgegenstellend ihrer Schönheit Glanz.

Glaubt mir, sie ist das herrlichste Geschöpf,

Die je an Mannes Seite lag. Als nun dem Volk

Ihr Anblick ward gegönnt, entstand ein Rauschen,

Wie man's zur See im Sturm vom Tauwerk hört,

So laut und mannigfalt. Die Hüt' und Mäntel,

Ja selbst die Wämser flogen in die Höh',

Und wären die Gesichter los gewesen,

Heut gingen sie verloren. Solchen Jubel

Erblickt' ich nie zuvor. Hochschwangre Weiber,

Acht Tage kaum vom Ziele, drängten vorwärts,

Gleich Widdern aus der alten Kriegeszeit,

Und machten Breschen vor sich: keiner konnte

Wohl sagen: »Dies ist meine Frau«; so seltsam

War alles hier verwebt in eins.

ZWEITER.

Nun, weiter?

DRITTER.

Dann trat sie vor und ging, bescheidnen Schritts,

Zum Altar, kniet' und hub gleich einer Heil'gen

Den schönen Blick empor, andächtig betend;

Erhob sich dann und neigte sich dem Volk,

Weil ihr der Erzbischof von Canterbury

Die königlichen Zeichen all erteilte,

Das heil'ge Öl, die Krone König Eduards,

Den Stab, die Friedenstaub' und allen Krönungs-

Ornat: worauf in Einklang, hoch vom Chor,

Von den gewählt'sten Stimmen unsers Landes

Der Lobgesang erscholl. Drauf wandte sich

Der Zug im vollen, ernsten Prunk zurück

Nach York-Palast, wo Tafel wird gehalten.

ERSTER.

Sagt York-Palast nicht mehr, das ist vorbei,

Denn seit des Wolsey Sturz erlosch der Name:

Dem König fiel er heim und heißt Whitehall.[981]

DRITTER.

Ich weiß; doch ist's so neu, daß mir geläuf'ger

Der alte Name blieb.

ZWEITER.

Wer waren, sagt,

Die zween Bischöfe zu der Fürstin Seiten?

DRITTER.

Stocksley und Gardiner; der von Winchester,

Und kurz vorher noch Schreiber unsers Königs,

Jener von London.

ZWEITER.

Der von Winchester

Ist wohl kein Herzensfreund des Erzbischofs,

Des frommen Cranmer.

DRITTER.

Das ist weltbekannt.

Doch ist die Spaltung noch nicht groß, und wird sie's,

So hat der Cranmer einen wackren Freund.

ZWEITER.

Wen meint Ihr, sagt, ich bitt' Euch?

DRITTER.

Thomas Cromwell,

Ein Mann, höchst wert dem König und in Wahrheit

Getreuer Freund. Der König hat ihn schon

Zum Reichswardein ernannt und einen Platz

Im Staatsrat ihm verliehn.

ZWEITER.

So steigt er wohl

Noch höher.

DRITTER.

Ohne Zweifel tut er das.

Jetzt, liebe Herrn, geht meinen Weg; ich führ' euch

An Hof, dort sollt ihr meine Gäste sein;

Etwas vermag ich schon. Auf unserm Gang

Erzähl' ich mehr.

BEIDE.

Wir sind zu Eurem Dienst.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 978-982.
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König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

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