Zweite Szene

[982] Kimbolton.


Die verwitwete Königin Katharina, krank, von Griffith und Patienza geführt, tritt auf.


GRIFFITH.

Wie geht's Eur' Hoheit? –

KATHARINA.

Tödlich krank, o Griffith!

Es sinken mir, beschwerten Ästen gleich,[982]

Die Knie' zur Erd' und wichen gern der Last. –

Reich' einen Sessel, – so! – Jetzt wird mir's leichter.

Sagt'st du mir nicht, als du mich führtest, Griffith,

Das Riesenkind des Ruhms, der Kardinal,

Sei tot? –

GRIFFITH.

Ja, Fürstin, doch Eur' Hoheit, wie ich glaubte,

Vernahm mich kaum in Ihrem heft'gen Schmerz.

KATHARINA.

Sag, guter Griffith, bitt' dich, wie er starb;

Wenn fromm, so ging er mir vielleicht voran

Als Beispiel.

GRIFFITH.

Fromm, erzählt man mir, verschied er.

Denn als der mächt'ge Graf Northumberland

Zu York ihn festgesetzt und ungesäumt

Als einen Hartbeschuldigten verhört,

Erkrankt' er plötzlich schwer und konnte nicht

Auf seinem Maultier sitzen.

KATHARINA.

Armer Mann! –

GRIFFITH.

Endlich, nach häuf'ger Rast, erreicht' er Leister,

Wo ihn im Klosterhof der würd'ge Abt

Samt dem Konvent mit aller Ehr' empfing.

Dem sagt' er dieses Wort: »O Vater Abt!

Ein Greis, zerknickt im wilden Sturm des Staats,

Legt hier bei Euch sein müdes Haupt zur Ruh';

Gönnt aus Erbarmen ihm ein wenig Erde!« –

Man bracht' ihn gleich zu Bett; die Krankheit stieg

Anhaltend heft'ger, und am dritten Abend,

Just um die achte Stund', in der er selbst

Vorausgesagt sein Ende, – gab er reuig,

Versenkt in Tränen, Sorg' und tiefer Andacht,

Der ird'schen Welt den eitlen Ruhm zurück,

Sein geistlich Teil dem Herrn, und starb in Frieden.

KATHARINA.

So schlaf' er auch, leicht sei'n ihm seine Fehle! –

Das einz'ge, Griffith, sag' ich noch von ihm,

Und doch in aller Lieb' – er war ein Mann

Von ungezähmtem Stolz, der Fürsten stets

Sich gleich gezählt; ein Mann, des heimlich Trachten

Das Reich gefesselt; geistlich Recht war feil,

Gesetz sein Wille, Wahrheit widerrief er[983]

Am Hof, zweizüngig überall erscheinend

In Red' und Sinn: nie zeigt' er Mitleid je,

Als wenn er Untergang beschloß im Herzen.

Sein Wort, gleich seinem vor'gen Selbst, gewaltig,

Doch sein Erfüllen nichtig, gleich dem jetz'gen.

Er sündigte im Fleisch und gab dadurch

Dem Klerus schlechtes Beispiel.

GRIFFITH.

Edle Frau,

Der Menschen Tugend schreiben wir in Wasser,

Ihr böses Treiben lebt in Erz: vergönnt Ihr

Mir jetzt wohl auch sein Lob?

KATHARINA.

Ja, guter Griffith,

Sonst wär' ich boshaft.

GRIFFITH.

Dieser Kardinal,

Wenn schon von niederm Stand, war unbezweifelt

Für großen Ruhm geschaffen. Seit der Wiege

Erschien er leicht auffassend, reif und tüchtig,

Unendlich klug, beredsam, überzeugend,

Den Abgeneigten herb und schroff gesinnt,

Allein dem Freunde liebreich, wie der Sommer.

Und war er gleich im Nehmen unersättlich –

(Was sündlich ist), so zeigt' er, Fürstin, sich

Im Geben königlich: – Des zeugen ewig

Des Wissens Zwillinge, so er Euch schuf,

Ipswich und Oxford! – Jenes fiel mit ihm,

Nicht wollt' es seine Wohltat überleben;

Dies aber, zwar unfertig, doch so glänzend,

So trefflich in der Kunst, so stät im Wachsen,

Daß in Europa nie sein Ruhm vergehn wird.

Sein Sturz hat Heil gesammelt über ihm,

Denn nun, – und nicht bis dahin, – kannt' er sich

Und sah den Segen ein, gering zu sein;

Und daß erhöhern Ruhm dem Alter schüfe,

Als der von Menschen kommt, starb er, Gott fürchtend.

KATHARINA.

Nach meinem Tod wünsch' ich zum Herold mir,

Der meines Lebens Taten aufbewahre

Und meinen Leumund rette vor Verwesung,

So redlichen Chronisten als mein Griffith.[984]

Den ich zumeist gehaßt, den muß ich nun

Durch deine fromme Wahrheitslieb' und Demut

Im Grab noch ehren. Friede sei mit ihm! –

Patienza, geh nicht von mir; leg' mich tiefer,

Du hast nicht lang' mehr all die Mühe – Griffith,

Laß die Musik die trübe Weise spielen,

Die ich mein Grabgeläute hab' genannt,

Derweil ich sitz' und denk' an den Gesang

Der Himmel, dem ich bald entgegengehe.


Eine traurige und feierliche Musik.


GRIFFITH.

Sie schläft – setz' still dich nieder, liebes Mädchen,

Sonst wecken wir sie. Still, gute Patienza! –


Traumgesicht. Sechs Gestalten in weißen Gewändern, Lorbeerkränze auf dem Haupt, goldne Masken vor dem Gesicht und Palmenzweige in den Händen, schweben langsam auf die Bühne. Sie begrüßen Katharinen und tanzen darauf. Bei gewissen Wendungen halten die ersten zwei einen schmalen Blumenkranz über ihrem Haupt, während die vier übrigen sich ehrerbietig neigen. Dann wiederholt das nächstfolgende, und endlich das letzte Paar dieselbe Handlung. Die Fürstin gibt schlafend Zeichen der Freude, wie durch höhere Eingebung, und streckt beide Hände gen Himmel. Darauf verschwinden die Gestalten und nehmen den Kranz mit sich hinweg. Die Musik währt fort.


KATHARINA.

Wo seid ihr, sel'ge Geister? All' verschwunden?

Und laßt mich hier zurück in meinem Elend?

GRIFFITH.

Hier sind wir, gnäd'ge Frau.

KATHARINA.

Euch rief ich nicht;

Doch saht Ihr niemand, als ich schlief?

GRIFFITH.

Nein, Fürstin.

KATHARINA.

Nicht? Kam nicht eben jetzt ein Chor von Engeln,

Zum Festmahl mich zu laden, deren Glanz

Mich gleich der Sonn' in tausend Strahlen hüllte?

Die ew'ge Seligkeit verhießen sie

Und reichten Kränze mir, die ich zu tragen

Mich noch nicht würdig fühle; doch ich werd' es

Gewißlich einst.

GRIFFITH.

Mich freut, daß Euren Sinn so süße Träume

Erquicken.[985]

KATHARINA.

Laßt nun enden die Musik,

Sie dünkt mich rauh und lästig.


Die Musik hört auf.


PATIENZA.

Seht Ihr wohl,

Wie Ihre Hoheit plötzlich sich verändert?

Wie lang ihr Antlitz, ihre Züge bleich

Und kalt und erdig? Seht Ihr wohl die Augen?

GRIFFITH.

Sie stirbt, Kind: bete! bete! –

PATIENZA.

Herr, sei mit ihr!


Ein Bote tritt auf.


BOTE.

Eu'r Gnaden wird –

KATHARINA.

Geh, unverschämter Mensch!

Ist das die schuld'ge Ehrfurcht?

GRIFFITH.

Ihr tut Unrecht,

Da Ihr es wißt, sie will den Rang nicht lassen,

Daß Ihr so roh Euch zeigt! So kniet denn nieder!

BOTE.

Ich bitt' Eur' Hoheit demutsvoll um Nachsicht,

Die Eile ließ mich fehlen. Draußen harrt

Ein Herr, gesandt vom König, Euch zu sehen.

KATHARINA.

Gewährt ihm Zutritt, Griffith; doch diesen Menschen

Laßt nie mich wieder sehen.


Griffith und der Bote ab.


Griffith kommt zurück mit Capucius.


Irr' ich nicht,

Seid Ihr des Kaisers, meines edlen Neffen,

Botschafter, und Capucius ist Eu'r Name.

CAPUCIUS.

Derselbe, Fürstin, Euer Knecht.

KATHARINA.

Oh, Herr,

Titel und Zeiten, seit Ihr jüngst mich saht,

Sind sehr verändert. Sagt mir jetzt, ich bitt' Euch,

Was führt Euch her zu mir?

CAPUCIUS.

Erhabne Frau,

Vor allem eignes Pflichtgefühl; demnächst

Des Königs Auftrag, Euch hier zu besuchen.

Es grämt ihn Eure Krankheit sehr, er meldet[986]

Sein fürstliches Empfehlen Euch durch mich

Und wünscht von Herzen Euch den besten Trost.

KATHARINA.

O werter Herr, dies Trösten kommt zu spät,

's ist wie Begnad'gen nach der Hinrichtung.

Zur rechten Zeit war die Arznei mir Heilung,

Jetzt braucht's der Tröstung keine, als Gebet.

Wie geht es meinem Herrn? –

CAPUCIUS.

In bestem Wohlsein.

KATHARINA.

Das bleib' ihm immer! Blühe stets sein Glück,

Wenn ich bei Würmern wohne, wenn mein Name

Verbannt wird sein aus diesem Reich! Patienza,

Hast du mein Schreiben abgeschickt?

PATIENZA.

Nein, Fürstin.

KATHARINA.

Dann bitt' ich Euch in Demut, meinem Herrn

Dies einzuhänd'gen.

CAPUCIUS.

Fürstin, zählt darauf!

KATHARINA.

Empfohlen hab' ich seiner Gnad' und Milde

Sein Töchterlein, das Abbild unsrer Liebe;

In Fülle träuf' auf sie des Himmels Segen! –

Sie gläubig aufzuziehn ersuch' ich ihn;

Sie ist noch jung, von edler, sitt'ger Art,

Und übt die Tugend, hoff' ich. Dann, ein wenig

Sie auch zu lieben, ihrer Mutter wegen,

Die ihn geliebt, der Himmel weiß, wie teuer! –

Weiter bitt' ich demütig ihn um Mitleid

Für meine armen Frau'n, die mir so lang'

Treulich gefolgt in gut und bösem Glück,

Von denen wahrlich kein', – ich weiß es sicher

Und lüge jetzt gewiß nicht, – die durch Tugend,

Durch wahre Seelenschönheit, strenge Sitte

Und fein Betragen nicht den besten Mann

Verdient; und daß er ja von Adel sei!

Denn glücklich ist gewiß, wer sie erlangt.

Zuletzt nenn' ich die Diener (arm sind alle,

Doch Armut wandte keinen je von mir);

Man woll' auch ferner ihren Lohn nicht weigern,

Noch etwas drüber, mir zum Angedenken;

Dafern mir Gott gegönnt ein längres Leben[987]

Und reichern Schatz, wir schieden wohl nicht also.

Das ist der ganze Inhalt, teurer Herr;

Bei allem, was Euch wert ist in der Welt,

Und wie Ihr christlich Ruh' den Toten wünscht,

Seid dieser armen Leute Freund und mahnt

Den König an dies letzte Recht!

CAPUCIUS.

Das will ich,

So wahr mir Gott ein menschlich Herz verliehn! –

KATHARINA.

Ich dank' Euch, würd'ger Herr. Gedenkt auch meiner

In aller Ehrfurcht gegen Seine Hoheit,

Sagt, seine lange Sorge scheide jetzt

Von hinnen, sagt, ich segnet' ihn im Tode,

Denn also will ich's tun – mein Aug' wird dunkel –

Lebt wohl! – Griffith, lebt wohl! Nein, geh noch nicht,

Patienza, ruf' die andern Frau'n, ich muß

Zu Bett – Wenn ich erst tot bin, gutes Mädchen,

Setzt mich mit Ehren bei; bestreut mein Grab

Mit jungfräulichen Blumen, daß man sehe,

Ich war bis an den Tod ein keusches Weib.

Ihr sollt mich balsamieren, dann zur Schau

Ausstellen: zwar nicht Kön'gin, doch begrabt mich

Als Königin und eines Königs Tochter!

Ich kann nicht mehr! –


Die Königin wird hinweggeführt.[988]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 982-989.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon