Dritte Szene

[120] London. Ein Zimmer im Palaste.


Die Königin, Bushy und Bagot treten auf.


BUSHY.

Allzu betrübt ist Eure Majestät.

Verspracht Ihr nicht dem König, als er schied,

Die härmende Betrübnis abzulegen

Und einen frohen Mut Euch zu erhalten?

KÖNIGIN.

Zu lieb dem König tat ich's; mir zu lieb

Kann ich's nicht tun; doch hab' ich keinen Grund,

Warum ich Gram als Gast willkommen hieße,

Als daß ich einem süßen Gast, wie Richard,

Das Lebewohl gesagt: dann denk' ich wieder,

Ein ungebornes Leiden, reif im Schoß

Fortunas, naht mir, und mein Innerstes

Erbebt vor nichts, und grämt sich über was,

Das mehr als Trennung ist von dem Gemahl.

BUSHY.

Das Wesen jedes Leids hat zwanzig Schatten,

Die aussehn wie das Leid, doch es nicht sind;

Das Aug' des Kummers, überglast von Tränen,

Zerteilt ein Ding in viele Gegenstände.

Wie ein gefurchtes Bild, grad' angesehn,

Nichts als Verwirrung zeigt, doch, schräg betrachtet,

Gestalt läßt unterscheiden: so entdeckt

Eu'r holde Majestät, da sie die Trennung

Von dem Gemahl schräg ansieht, auch Gestalten

Des Grams, mehr zu bejammern als er selbst,

Die, grade angesehn, nichts sind als Schatten

Des, was er nicht ist! Drum, Gebieterin!

Beweint die Trennung, seht nichts mehr darin,

Was nur des Grams verfälschtem Aug' erscheint,

Das Eingebildetes als wahr beweint!

KÖNIGIN.

Es mag so sein; doch überredet mich

Mein Innres, daß es anders ist; wie dem auch sei,

Ich muß betrübt sein, und so schwer betrübt,

Daß ich, denk' ich schon nichts, wenn ich's bedenke,

Um banges Nichts verzage und mich kränke.[120]

BUSHY.

Es sind nur Grillen, teure gnäd'ge Frau.

KÖNIGIN.

Nichts weniger; denn Grillen stammen immer

Von einem Vater Gram; nicht so bei mir:

Denn Nichts erzeugte meinen Gram mir, oder

Etwas das Nichts, worüber ich mich gräme.

Nur in der Anwartschaft gehört es mir;

Doch was es ist, kann ich nicht nennen, eh'

Als es erscheint: 's ist namenloses Weh.


Green kommt.


GREEN.

Heil Eurer Majestät! – und wohlgetroffen, Herrn!

Der König, hoff ich, ist nach Irland noch

Nicht eingeschifft?

KÖNIGIN.

Weswegen hoffst du das?

Es ist ja beßre Hoffnung, daß er's ist;

Denn Eile heischt sein Werk, die Eile Hoffnung.

Wie hoffst du denn, er sei nicht eingeschifft?

GREEN.

Damit er, unsre Hoffnung, seine Macht

Zurückzieh' und des Feindes Hoffnung schlage,

Der stark in diesem Lande Fuß gefaßt:

Zurück vom Bann ruft Bolingbroke sich selbst

Und ist mit droh'nden Waffen angelangt

Zu Ravenspurg.

KÖNIGIN.

Verhüt' es Gott im Himmel!

GREEN.

Oh, es ist allzuwahr! und, was noch schlimmer,

Der Lord Northumberland, Percy, sein junger Sohn,

Die Lords von Roß, Beaumond und Willoughby,

Samt mächt'gem Anhang, sind zu ihm geflohn.

BUSHY.

Warum erklärtet ihr Northumberland

Und der empörten Rotte ganzen Rest

Nicht für Verräter?

GREEN.

Wir taten es, worauf der Graf von Worcester

Den Stab gebrochen, sein Hofmeistertum

Hat aufgesagt und alles Hofgesinde

Mit ihm entwichen ist zum Bolingbroke.

KÖNIGIN.

So, Green! Du bist Wehmutter meines Wehs,

Und Bolingbroke ist meines Kummers Sohn.

Nun ist der Seele Mißgeburt erschienen,[121]

Mir keuchenden und kaum entbundnen Mutter

Ist Weh auf Weh und Leid auf Leid gehäuft.

BUSHY.

Fürstin, verzweifelt nicht!

KÖNIGIN.

Wer will mir's wehren?

Ich will verzweifeln und will Feindschaft halten

Mit falscher Hoffnung, dieser Schmeichlerin,

Schmarotzerin, Rückhalterin des Todes,

Der sanft des Lebens Bande lösen möchte,

Das Hoffnung hinhält in der höchsten Not.


York tritt auf.


GREEN.

Da kommt der Herzog York.

KÖNIGIN.

Mit Kriegeszeichen um den alten Nacken.

Oh, voll Geschäft' und Sorgen ist sein Blick! –

Oheim, um Gottes willen, sprecht Trostesworte!

YORK.

Tät' ich es, so belög' ich die Gedanken.

Trost wohnt im Himmel, und wir sind auf Erden,

Wo nichts als Kreuz, als Sorg' und Kummer lebt.

Eu'r Gatt' ist fort, zu retten in der Ferne,

Da andre ihn zu Haus zu Grunde richten.

Das Land zu stützen, blieb ich hier zurück,

Der ich, vor Alter schwach, mich selbst kaum halte.

Nun kommt nach dem Gelag' die kranke Stunde,

un mag er seine falschen Freund' erproben.


Ein Bedienter kommt.


BEDIENTER.

Herr, Euer Sohn war fort, schon eh' ich kam.

YORK.

War er? – Nun ja! – Geh' alles, wie es will!

Die Edlen, die sind fort, die Bürger, die sind kalt

Und werden, fürcht' ich, sich zu Hereford schlagen. –

He, Bursch!

Nach Plashy auf, zu meiner Schwester Gloster!

Heiß' sie unverzüglich tausend Pfund mir schicken:

Da hier, nimm meinen Ring!

BEDIENTER.

Herr, ich vergaß, Eu'r Gnaden es zu sagen:

Heut, als ich da vorbeikam, sprach ich vor, –

Allein ich kränk' Euch, wenn ich weiter melde.

YORK.

Was ist es, Bube?

BEDIENTER.

Die Herzogin war tot seit einer Stunde.[122]

YORK.

Gott sei uns gnädig! Welche Flut des Wehs

Bricht auf dies wehevolle Land herein!

Ich weiß nicht, was ich tun soll. – Wollte Gott

(Hätt' ich durch Untreu' nur ihn nicht gereizt),

Der König hätte mir, wie meinem Bruder,

Das Haupt abschlagen lassen! – Wie, sind noch

Eilboten nicht nach Irland abgeschickt? –

Wie schaffen wir zu diesen Kriegen Geld? –

Kommt, Schwester! – Nichte, mein ich, – o verzeiht!


Zu dem Bedienten.


Geh, Bursch! Mach' dich nach Haus, besorge Wagen

Und führ' die Waffen weg, die dort noch sind!

Bedienter ab.


Ihr Herrn, wollt ihr Leute mustern gehn? – Wenn ich weiß,

Wie, auf was Art ich diese Dinge ordne,

So wüst verwirrt in meine Hand geworfen,

So glaubt mir nie mehr! – Beide sind meine Vettern,

Der eine ist mein Fürst, den mich mein Eid

Und Pflicht verteid'gen heißt; der andre wieder

Mein Vetter, den der König hat gekränkt,

Den Freundschaft und Gewissen heißt vertreten.

Wohl! Etwas muß geschehn. – Kommt, Nichte! Ich

Will für Euch sorgen. – Ihr, Herrn, geht, mustert eure Leute

Und trefft mich dann sogleich auf Berkley-Schloß!

Nach Plashy sollt' ich auch: –

Die Zeit erlaubt es nicht; – an allem Mangel,

Und jedes Ding schwebt zwischen Tür und Angel.


York und die Königin ab.


BUSHY.

Der Wind befördert Zeitungen nach Irland,

Doch keine kommt zurück. Hier Truppen werben,

Verhältnismäßig mit dem Feinde, ist

Für uns durchaus unmöglich.

GREEN.

Außerdem

Ist unsre Nähe bei des Königs Liebe

Dem Hasse derer nah, die ihn nicht lieben.[123]

BAGOT.

Das ist das wandelbare Volk, des Liebe

In seinen Beuteln liegt; wer diese leert,

Erfüllt ihr Herz gleich sehr mit bitterm Haß.

BUSHY.

Weshalb der König allgemein verdammt wird.

BAGOT.

Und wenn sie Einsicht haben, wir mit ihm,

Weil wir dem König immer nahe waren.

GREEN.

Gut, ich will gleich nach Bristol-Schloß mich flüchten,

Der Graf von Wiltshire ist ja dort bereits.

BUSHY.

Dahin will ich mit Euch; denn wenig Dienst

Ist zu erwarten vom erbosten Volk,

Als daß sie uns, wie Hund', in Stücke reißen.

Wollt Ihr uns hin begleiten?

BAGOT.

Nein, lebt wohl!

Ich will zu Seiner Majestät in Irland.

Wenn Ahndungen des Herzens nicht mich äffen,

So scheiden drei hier, nie sich mehr zu treffen.

BUSHY.

Vielleicht, wenn York den Bolingbroke verjagt.

GREEN.

Der arme Herzog, der es unternimmt,

Den Sand zu zählen, trinken will die Meere!

Wenn einer für ihn ficht, fliehn ganze Heere.

BUSHY.

Lebt wohl mit eins! Für einmal und für immer!

GREEN.

Wir sehn uns wieder wohl.

BAGOT.

Ich fürchte, nimmer.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 120-124.
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