Erster Aufzug

Erste Szene

[497] Sizilien. Ein Zimmer in Leontes' Palast.


Camillo und Archidamus treten auf.


ARCHIDAMUS. Wenn es sich einmal treffen sollte, Camillo, daß Ihr Böhmen besuchtet, bei einer ähnlichen Veranlassung, als mich jetzt in meinem Dienst hieher geführt, so werdet Ihr, wie ich schon gesagt habe, einen großen Unterschied zwischen unserm Böhmen und Euerm Sizilien finden.

CAMILLO. Ich glaube, den nächsten Sommer gedenkt der König von Sizilien dem König von Böhmen den Besuch zu erwidern, den er ihm schuldig ist.

ARCHIDAMUS. Worin unsre Bewirtung uns beschämen sollte, das wird unsre Liebe entschuldigen; denn, in der Tat –

CAMILLO. Ich bitte Euch –

ARCHIDAMUS. In der Tat, ich spreche aus der Vollmacht meiner Überzeugung: wir können nicht mit dieser Pracht – in so ausgesuchter –, ich weiß nicht, was ich sagen soll. – Wir werden euch einen Schlaftrunk geben, damit eure Sinne, unsre Unzulänglichkeit nicht empfindend, uns, wenn sie uns auch nicht loben können, doch ebenso wenig anklagen mögen.

CAMILLO. Ihr bezahlt viel zu teuer, was gern gegeben wird.

ARCHIDAMUS. Glaubt mir, ich sage, was meine Einsicht mich lehrt und meine Redlichkeit mich nötigt auszusprechen.

CAMILLO. Sizilien kann Böhmen nie zu viel Huld erweisen. Sie wurden in der Kindheit mit einander auferzogen, und da wurzelte eine solche Liebe zwischen ihnen, daß sie jetzt wohl Zweige treiben muß. Seit ihre reifere Würde und ihre königlichen Pflichten ihr Beisammensein trennten, waren ihre[497] Begegnungen, obwohl nicht persönlich, doch königlich bevollmachtet, und tauschten Gaben, Briefe, liebevolle Botschaften, so daß sie, obwohl getrennt, doch vereint schienen, wie über einen Abgrund einander die Hände reichten, und sich gleichsam von den Enden entgegengesetzter Winde umarmten. Der Himmel erhalte ihre Freundschaft!

ARCHIDAMUS. Ich glaube, es gibt in der Welt keine Bosheit oder Veranlassung, die sie erschüttern könnte. Ihr habt einen unaussprechlichen Trost an Euerm jungen Prinzen Mamillius: er ist ein Wesen, das die größten Erwartungen erregt; ich sah nie seines Gleichen.

CAMILLO. Gern stimme ich Euch in den Hoffnungen auf ihn bei: er ist ein herrliches Kind, und wahrlich, ein Heilmittel für den Untertan, und eine Erfrischung alter Herzen; die, welche auf Krücken gingen, ehe er geboren ward, wünschen noch zu leben, um ihn als Mann zu sehn.

ARCHIDAMUS. Würden sie denn sonst gern sterben?

CAMILLO. Ja, wenn sie keinen andern Vorwand hätten, sich ein längeres Leben zu wünschen.

ARCHIDAMUS. Wenn der König keinen Sohn hätte, so würden sie wünschen auf Krücken zu gehen, bis er einen bekäme.


Es treten auf Leontes, Polyxenes, Hermione, Mamillius und Gefolge.


POLYXENES.

Schon neunmal gab des feuchten Sternes Wechsel

Dem Schäfer Kunde, seit der Bürd' entledigt

Wir ließen unsern Thron; so viele Monde

Sollt' unser Dank, geliebter Bruder, füllen;

Und dennoch gingen wir für ew'ge Zeit

Als Euer Schuldner fort; drum, gleich der Null

An reichen Platz gestellt, laßt mich dies eine

»Wir danken Euch« zu tausenden vermehren,

Die ihm vorangehn.

LEONTES.

Spart noch Euern Dank,

Und zahlt ihn, wenn Ihr reist!

POLYXENES.

Herr, das ist morgen.

Mich mahnt die Furcht, was wohl geschehn sein mag,

Was unser Fernsein zeugte; bläst nur nicht

Ein scharfer Wind daheim und macht uns sagen,[498]

»Zu sehr nur traf es ein!« Auch weilt' ich schon

Euch zur Beschwer.

LEONTES.

Wir sind zu zäh', mein Bruder,

Damit setzt Ihr's nicht durch.

POLYXENES.

Ich kann nicht bleiben.

LEONTES.

Nur eine Woche noch.

POLYXENES.

Nein, wahrlich, morgen.

LEONTES.

So laß die Zeit uns teilen, und dann will ich

Nicht widersprechen.

POLYXENES.

Bitt' Euch, drängt mich nicht;

Kein Mund, nein, keiner in der Welt, gewinnt mich

So leicht als Eurer; und er würd' es jetzt,

Trieb' Zwang Euch zum Gesuch, wenn auch mich Zwang

Zum Weigern nötigte. Des Staats Geschäfte

Ziehn mich gewaltsam heimwärts; Eure Liebe,

Dies hindernd, würde Geißel mir; mein Bleiben

Euch Last und Unruh'; beides zu vermeiden,

Lebt wohl, mein Bruder!

LEONTES.

Ist unsre Königin verstummt? Sprich du!

HERMIONE.

Ich dachte, Herr, zu schweigen, bis Ihr Eide

Ihm abgezwungen, nicht zu bleiben. Kalt nur

Bestürmt Ihr ihn; sagt ihm. Ihr wißt, es stehe

In Böhmen alles gut; die frohe Botschaft

Sei gestern angekommen; sagt ihm dies,

So schlagt Ihr ihn aus seiner besten Schanze.

LEONTES.

Recht so, Hermione.

HERMIONE.

Sagt er, er sehnt sich nach dem Sohn, das gilt;

Doch laßt's ihn sagen, und dann laßt ihn gehn;

Laßt's ihn beschwören, und er soll nicht bleiben,

Wir treiben ihn mit unsern Spindeln fort.

Doch wag' ich's, Eurer hohen Gegenwart

'ne Woche abzuborgen. Wenn in Böhmen

Euch mein Gemahl besucht, geb' ich ihm Vollmacht

Für einen Monat länger, als die Zeit

Bestimmt zur Reis': und doch fürwahr, Leontes,

Kein Haar breit wen'ger lieb' ich dich, als je

Ein Weib den Mann geliebt. – Ihr bleibt?

POLYXENES.

Nein, Fürstin.[499]

HERMIONE.

O ja. Ihr tut's.

POLYXENES.

Ich kann nicht, wahrlich!

HERMIONE.

Wahrlich!

Ihr weist mich ab mit leichtem Schwur; doch ich,

Wollt Ihr die Stern' auch aus den Sphären schwören,

Ich sagte doch: Herr, nichts von Reisen! Wahrlich,

Ihr bleibt; das »Wahrlich« einer Frau ist gültig,

Wie immer das des Manns. Wollt Ihr noch fort?

Ihr zwingt mich, als Gefangnen Euch zu halten,

Und nicht als Gast; dann zahlt Ihr, wenn Ihr scheidet,

Für Eure Kost, und spart den Dank. Was sagt Ihr?

Gefangner oder Gast? Bei jenem »Wahrlich«:

Eins müßt Ihr sein.

POLYXENES.

Eu'r Gast denn, Königin;

Gefangner setzt Beleidigung voraus,

Die zu begehn mir schwerer fallen würde,

Als Euch zu strafen.

HERMIONE.

Dann nicht Kerkermeister,

Nein, liebevolle Wirtin. Kommt, erzählt mir

Von meines Herrn und Euren Knabenstreichen;

Ihr wart wohl muntre Herrchen?

POLYXENES.

Schöne Fürstin,

Zwei Buben, die nicht weiter vorwärts dachten,

Als, solch ein Tag wie heut sei morgen auch,

Und daß wir ewig Knaben bleiben würden.

HERMIONE.

War nicht mein Herr der ärgste Schalk von beiden?

POLYXENES.

Wir waren Zwillingslämmern gleich, die blökend

Im Sonnenscheine mit einander spielten;

Nur Unschuld tauschten wir für Unschuld; kannten

Des Unrechts Lehre nicht, noch träumten wir,

Man täte Böses; lebten wir so weiter,

Und stieg nie höher unser schwacher Geist

Durch heißres Blut, wir könnten kühn dem Himmel

Einst sagen: Frei von Schuld, – die abgerechnet,

Die unser Erbteil.

HERMIONE.

Daraus muß man schließen,

Ihr straucheltet seitdem.

POLYXENES.

O heil'ge Fürstin,[500]

Versuchung ward seitdem uns; denn in jenen

Unflüggen Tagen war mein Weib ein Kind;

Und Eure Schönheit war noch nicht dem Blick

Des Spielgenoß begegnet.

HERMIONE.

Gnad' uns Gott!

Zieht daraus keinen Schluß, sonst nennt Ihr mich

Und Eure Kön'gin Teufel; doch fahrt fort,

Was Ihr durch uns gefehlt, vertreten wir:

Wenn Ihr mit uns zuerst gesündigt habt

Und nur mit uns die Sünde fortgesetzt

Und nie mit andern als mit uns gestrauchelt.

LEONTES.

Gewannst du ihn?

HERMIONE.

Er bleibt.

LEONTES.

Und wollt' es nicht auf meine Bitte.

Hermione, Geliebte, niemals sprachst du

So gut zum Zweck.

HERMIONE.

Niemals?

LEONTES.

Niemals, nur einmal noch.

HERMIONE.

Wie? sprach ich zweimal gut? Wann war es früher?

Ich bitte, sag es mir; füttr' uns mit Lob,

Wie zahme Vögelchen!

Die gute Tat, die ungepriesen stirbt,

Würgt tausend andre, die sie zeugen könnte.

Eu'r Lob ist unser Lohn; eh' treibt Ihr uns

Mit einem sanften Kusse tausend Meilen,

Als mit dem Sporn zehn Schritt nur. Doch zum Ziel:

Die letzte gute Tat war, ihn erbitten;

Was war die erste? wenn ich recht verstand,

Hat sie 'ne ältre Schwester: Oh, sei Gnad' ihr Name!

Zum Zweck sprach ich schon einmal. Wann? Oh, laßt

Mich hören, mich verlangt's.

LEONTES.

Nun, das war damals:

Drei bittre Monde starben langsam hin,

Eh' ich's erlangt, daß du die weiße Hand

Mir als Geliebte reichtest, und da sprachst du:

»Ich bin auf ewig dein.«

HERMIONE.

Ja, das war Gnade.

Ei seht, so sprach ich zweimal denn zum Zweck:[501]

Eins warb auf immer mir den edlen Gatten,

Das andre mir den Freund auf wen'ge Tage.


Sie reicht Polyxenes die Hand.


LEONTES für sich.

Zu heiß, zu heiß!

So heftig Freundschaft einen, eint das Blut.

Die Brust ist mir beklemmt, es tanzt mein Herz,

Doch nicht aus Freude, Freude nicht. – Solch traulich Wesen

Nimmt heitern Schein, erklärt die Freiheit nur

Für Freundschaft, Herzlichkeit und Seelengüte,

Und zierlich mag's dem Spieler stehn, es mag;

Doch mit den Händen tätscheln, Finger drücken,

Wie jetzt sie tun, dabei bedeutend lächeln,

Wie in den Spiegel, seufzen dann, so tief,

Wie ein verendend Wild, – solch traulich Wesen

Gefällt nicht meinem Herzen, nicht der Stirn. –

Mamillius,

Bist du mein Jung'?

MAMILLIUS.

Ja, Väterchen

LEONTES.

Mein' Seel'?

Ja, bist mein Bengel. Wie, die Nase schmutzig? –

Sie sagen, daß sie meiner gleicht. Komm, Kerl,

Wir müssen schmuck sein; schmuck nicht, sondern rein;

Denn geht nicht Stier und Kalb und Kuh, ein jedes

Im Schmuck des Haupts einher? Noch immer spielend

Auf seiner Hand? Wie geht's, mein muntres Kalb?

Bist du mein Kalb?

MAMILLIUS.

Ja, Vater, wie du willst.

LEONTES.

Dir fehlt ein rauher Kopf und meine Sprossen,

Um ganz mir gleich zu sein; – doch, sagt man, gleichen

Wir uns wie Wassertropfen; Weiber sagen's,

Die sagen alles: doch wären sie so falsch

Wie aufgefärbtes Schwarz, wie Wind und Wasser;

Falsch, wie sich der die Würfel wünscht, der Mein

Und Dein nicht trennen will; doch ist es Wahrheit,

Zu sagen, daß dies Kind mir gleicht. – Komm, Page,

Blick' mit dem Himmelsaug' mich an, du Schelm!

Mein Herz! mein Schatz! – Kann deine Mutter? – kann sie? –

Affekt! dein Ahnen bohrt zum Mittelpunkt;

Das machst du möglich, was unmöglich schien,[502]

Verkehrst mit Träumen? – (Wie kann dies geschehn?) –

Mit Schatten, du einbildungsfäh'ge Kunst,

Und bist dem Nichts verbrüdert; nun, wie glaublich,

Daß du auch Wesen dich gesellst; so ist's

(Und das jenseit des Wahnes, und ich fühl' es);

Und das bis zur Vergiftung meines Hirns

Und meiner Stirn Verhärtung.

POLYXENES.

Was ist dem König?

HERMIONE.

Es scheint, als quäl' ihn was.

POLYXENES.

Wie steht's, mein Fürst?

LEONTES.

Was gibt's? wie geht es Euch, mein bester Bruder?

HERMIONE.

Ihr habt ein Ansehn,

Als wär' die Stirn Euch von Gedanken schwer.

Herr, fehlt Euch etwas?

LEONTES.

Nein, in vollem Ernst. –

Wie oft verrät Natur die eigne Torheit

Und Zärtlichkeit, und macht sich zum Gespött

Für härtre Seelen! Hier, des Knaben Antlitz

Betrachtend, war es mir, als ging' ich rückwärts

Um dreiundzwanzig Jahr; so sah ich mich

Im grünen Kinderröckchen, in der Scheide

Fest meinen Dolch, daß er den Herrn nicht stoße,

Und so, wie Putzwerk oft, gefährlich werde.

Wie ähnlich, dünkt mich, war ich da der Knospe,

Dem Sproß da, diesem Herrchen; – starker Mann,

Nimmst du statt Silberstüber Nasenstüber?

MAMILLIUS.

O nein, ich schlage los.

LEONTES.

So? wer's trifft, hat den Preis! – Mein teurer Bruder,

Seid Ihr in Euern Prinzen so verliebt,

Wie wir in unsern sind?

POLYXENES.

Bin ich daheim,

Ist er mein Ziel für Scherz und Ernst, mein Spielwerk,

Jetzt mein geschworner Freund, und dann mein Feind,

Mein Höfling, mein Minister, mein Soldat:

Er kürzt mir Juli zu Dezembertagen,

Und heilt durch tausend Kinderei'n Gedanken,

Die sonst mein Blut verdickten.

LEONTES.

Ganz das Amt[503]

Hat dieser Herr bei mir; ich geh' mit ihm,

Ihr geht wohl ernstern Weg. – Hermione,

Wie du mich liebst, zeig' unsers Gasts Bewirtung;

Was kostbar in Sizilien, werde wohlfeil;

Mit dir und meinem kleinen Schelm ist er

Der Nächste meinem Herzen.

HERMIONE.

Sucht Ihr uns,

So trefft Ihr uns im Garten; kommt Ihr bald?

LEONTES.

Geht Eurer Neigung nach, ich find' Euch schon,

Bleibt Ihr am Tageslicht; –


beiseit


ich angle jetzt,

Wenn Ihr auch nicht die Schnur mich werfen seht.

Schon gut, schon gut!


Er beobachtet Polyxenes und Hermione.


Wie sie nach ihm den Mund, den Schnabel reckt!

Und sich mit eines Weibes Frechheit rüstet,

Des Mannes Schwachsinn trauend! Ha, schon fort!


Polyxenes und Hermione gehn mit Gefolge ab.


Zolldick, knietief, über Kopf und Ohr gehörnt! –

Geh, spiel', Kind, deine Mutter spielt, auch ich;

Doch meine Roll' ist schmachvoll, und der Schluß

Wird in mein Grab mich zischen; Hohngeschrei

Mir Sterbeglocke sein. – Geh, Kind, und spiel'! –

Auch sonst gab's, irr' ich nicht, betrogne Männer;

Und manchen gibt's noch jetzt im Augenblick,

Der, grad' indem ich sprech', umarmt sein Weib; –

Er träumt nicht, daß sie ihm ward abgeleitet,

Sein Teich vom nächsten Nachbar ausgefischt,

Ja, vom Herrn Nachbar Lächler: das ist Trost;

Auch andre haben Tor', und offne Tore,

Wie ich, sehr wider Willen. Soll verzweifeln,

Wem sich sein Weib empört, so hängte sich

Der Menschheit Zehntel. Dafür hilft kein Arzt.

Es ist ein kupplerisch Gestirn, das trifft,

Wo es regiert, und mächtig muß es sein

In Ost, West, Nord und Süd; drum steht es fest,

Für eine Frau ist keine Grenzensperre;

O glaubt's! Sie läßt den Feind herein, hinaus,

Mit Sack und Pack. Viel tausend unter uns,[504]

Die diese Krankheit haben, fühlen's nicht. –

Nun, Knabe?

MAMILLIUS.

Man sagt, ich gleich' Euch.

LEONTES.

Ja, das ist noch Trost.

Wie, ist Camillo hier?

CAMILLO.

Ja, teurer Herr.

LEONTES.

Geh spielen, Kind; du bist ein ehrlich Blut. –


Mamillius geht ab.


Der große König bleibt noch hier, Camillo.

CAMILLO.

Viel Mühe macht's Euch, eh' sein Anker hielt:

So oft Ihr auswarft, wich er.

LEONTES.

Merktest du's?

CAMILLO.

Auf Eure Bitten blieb er nicht; ihm schien

Zu wichtig sein Geschäft.

LEONTES.

Hast du's beachtet?

Sie passen mir schon auf; sie flüstern, murmeln:

Sizilien ist ein solcher: das geht weit,

Fällt mir's zuletzt ins Aug'. – Wie kam's, Camillo,

Daß er noch bleibt?

CAMILLO.

Die gute Kön'gin bat ihn.

LEONTES.

Die Kön'gin, ja; »gut« wäre angemessen;

Doch so ist's, daß es nicht so ist. Griff dies

Nur ein so kluger Kopf wie deiner auf?

Denn dein Verstand saugt ein, nimmt in sich auf

Mehr als gemeiner Dummkopf; – dies ward nur

Von schärferm Sinn beachtet? und von wen'gen,

Durchdringend im Verstand? Die gröbre Masse

Ist wohl stockblind für diesen Handel? Sprich!

CAMILLO.

Für diesen Handel? Jeder, denk' ich, sieht,

Daß Böhmen länger bleibt.

LEONTES.

Wie?

CAMILLO.

Länger bleibt.

LEONTES.

Ja, doch weshalb?

CAMILLO.

Um Eurer Hoheit Bitte zu befried'gen,

Und unsrer gnäd'gen Fürstin.

LEONTES.

Zu befried'gen?

Die Bitten Eurer Fürstin zu befried'gen? –[505]

Das ist genug. Camillo, dir vertraut' ich,

Was mir zunächst am Herzen lag, wie auch

Mein Staatsgeheimnis; priesterlich entludest

Du mir die Brust; und stets gebessert schied ich

Von dir, wie von dem Beicht'ger; doch wir wurden

Getäuscht in deiner Redlichkeit, getäuscht

In dem, was so uns schien.

CAMILLO.

Verhüt' es Gott!

LEONTES.

So starr zu sein! – Du bist nicht ehrlich, oder

Willst du es sein, bist du 'ne Memme doch,

Die Ehrlichkeit von rückwärts lähmt und hemmt

Im festen Lauf; oder du bist ein Diener,

Zum edelsten Vertrauen eingeweiht,

Und hierin lässig; oder sonst ein Tor,

Der falsches Spiel, den Satz verloren sieht,

Und alles nimmt für Scherz.

CAMILLO.

Mein gnäd'ger Herr,

Wohl mag ich lässig, töricht, furchtsam sein;

Kein Mensch ist frei von allen diesen Fehlern,

Daß seine Torheit, Lässigkeit und Furcht

Nicht in des Lebens mannigfachem Treiben

Sich öfter zeigt. In Euren Sachen, Herr,

Wenn jemals ich mit Willen lässig war,

So war es Torheit; wenn ich wissentlich

Den Toren spielte, war es Lässigkeit,

Die nicht das End' erwog; und war ich furchtsam,

Zu handeln, wo der Ausgang mißlich schien

Und der Erfolg nachher wohl schelten durfte

Die Unterlassung, – war es eine Furcht nur,

An der auch oft der Weise krankt; dies, König,

Sind so bekannte Fehl', daß Ehrlichkeit

Stets daran leidet. Doch, mein hoher König,

Sprecht frei heraus, und zeigt mir mein Vergehn

Mit eignem Antlitz; wenn ich dann es leugne,

So ist's nicht mein.

LEONTES.

Camillo, sahst du nicht

(Doch ja, du mußtest, ist dein Augenfenster

Nicht dicker als ein Hahnreihorn); hört'st du[506]

(Denn wo der Augenschein so klar, da kann

Gerücht nicht schweigen), dacht'st du (denn Gedanke

Lebt in dem Menschen nicht, der das nicht denkt),

Mein Weib sei ungetreu? Bekenn' es gleich

(Sonst mußt mit frecher Stirn du auch verleugnen

Gedank' und Aug' und Ohr): dann sprich, es sei

Mein Weib ein Steckenpferd, und schmählicher

Zu nennen als die Viehmagd, die sich hingibt

Vor der Verlobung. Gesteh's und sage ja!

CAMILLO.

Nie ständ' ich wohl dabei und hörte so

Beschimpfen meine höchste Fürstin; nein,

Zur Rache schritt' ich schnell. Bei meinem Leben,

Nie spracht Ihr etwas, das Euch wen'ger ziemte;

Es wiederholen wäre Sünde, greulich

Wie jene, wär' sie wahr.

LEONTES.

Ist Flüstern nichts?

Und Wang' an Wange lehnen? Nas' an Nase?

Mit innern Lippen küssen? durch 'nen Seufzer

Den Lauf des Lachens hemmen? (Sichres Zeichen

Gebrochner Ehre!) – Setzen Fuß auf Fuß?

In Winkel kriechen? Uhren schneller wünschen?

Die Stunde zur Minut' und Tag zur Nacht?

Und aller Augen blind, stockblind, nur ihre

Nicht, ihre nicht,

Um ungesehn zu freveln? Ist das nichts?

Dann ist die Welt und was darin ist nichts,

Des Himmels Wölbung nichts, und Böhmen nichts,

Mein Weib ist nichts, und nichts in all dem Nichts,

Wenn dies nichts ist.

CAMILLO.

Oh, laßt Euch heilen, Herr,

Von diesem Fieberwahn, und das bei Zeiten,

Denn er ist tödlich.

LEONTES.

Sprich, sag: ja, es ist.

CAMILLO.

Nein! Nein! mein Fürst.

LEONTES.

Es ist; du lügst, du lügst;

Ich sag', du lügst, und hasse dich, Camillo;

Nenn' dich 'nen Tropf und sinnberaubten Sklaven,

Wo nicht, zweizüng'gen Achselträger, der[507]

Zugleich dasselb' als gut und böse sieht

Und beides lobt. Wär' meines Weibes Leber

Vergiftet, wie ihr Leben, stürbe sie

Mit dieser Stunde.

CAMILLO.

Wer vergiftet sie?

LEONTES.

Nun, er, dem wie ein Ehrenschmuck sie um

Den Nacken hängt, der Böhme; der – hätt' ich

Noch treue Diener, die mit gleichen Augen

Auf meine Ehr' und ihren Vorteil schauten,

Auf ihren eignen Nutzen, – sie wohltäten,

Was hemmte jenes Tun; jawohl, und du,

Sein Mundschenk, – den aus niederm Stand ich hob

Zu Rang und Würden, der so klar es sieht,

Wie Himmel Erde sieht und Erde Himmel,

Wie ich gekränkt bin, – kannst den Becher würzen,

Der meinem Feind ein ew'ger Schlaftrunk würde,

Mir stärkend Heilungsmittel.

CAMILLO.

Herr, mein Fürst,

Tun könnt' ich's wohl, und nicht durch rasche Mittel,

Nein, durch ein langsam zehrendes, das scharf

Nicht wirkt, wie Gift; doch kann ich nimmer glauben,

Daß solch ein Makel meine Fürstin traf,

Die auf der Ehre höchstem Gipfel steht.

Ich liebt' Euch –

LEONTES.

Sei verdammt, wenn du noch zweifelst!

Denkst, ich sei so verschlammt, so ganz verwahrlost,

Mir selbst zu schaffen diese Qual? die Weiße

Und Reinheit meines Lagers zu besudeln,

Das ungekränkt mir Schlaf ist, doch befleckt

Mich sticht wie Nesseln, Dornen, gift'gé Wespen?

Das Blut des Prinzen, meines Sohns, zu schmähen,

Der, glaub' ich, mein ist, den ich lieb' als mein, –

Ohn' überlegten Antrieb? Tät' ich dies?

Ist wohl ein Mensch so toll?

CAMILLO.

Ich muß Euch glauben;

Ich tu's, und schaff Euch Böhmen auf die Seite,

Vorausgesetzt, Eure Hoheit schenkt der Kön'gin,

Ist jener fort, die vor'ge Liebe wieder;[508]

Schon Euers Sohnes halb, wie auch, zu fesseln

Die Lästerzungen all der Reich' und Höfe,

Die Euch befreundet und verwandt.

LEONTES.

Du rätst mir,

Wie ich den eignen Weg mir schon erwählt:

Ich will die Ehr' ihr nicht beflecken, nein.

CAMILLO.

Mein König,

So geht; und heitern Angesichts, wie nur

Die Freundschaft zeigt bei Festen, sprecht mit Böhmen

Und Eurer Königin; ich bin sein Mundschenk:

Wenn er von mir gesunden Trank erhält,

So zählt mich zu den Euren nicht.

LEONTES.

Genug;

Tu's, so ist dein die Hälfte meines Herzens,

Tu's nicht, so spalt'st du deins.

CAMILLO.

Ich tu's, mein Fürst.

LEONTES.

So will ich freundlich scheinen, wie du rietest.


Er geht ab.


CAMILLO.

O unglücksel'ge Frau! – Doch, weh, wie steht es

Nun um mich selbst? Ich soll der Mörder werden

Des gütigen Polyxenes; kein Antrieb,

Als meines Herrn Gebot; und eines Herrn,

Der in Empörung mit sich selbst verlangt,

Daß mit ihm rast, wer ihm gehört. – Es tun,

Befördert mich; wenn ich ein Beispiel fände

Von Tausenden, die Mord gesalbter Kön'ge

Zum Glück erhob, so tät' ich's nicht; doch so,

Da Erz, Stein, Pergament nicht eins bewahrt,

Verschwör' es selbst die Schändlichkeit. Verlassen

Muß ich den Hof; Tun, Nichttun, beides bricht

Den Hals mir sicher. Glücksstern, geh mir auf!

Hier kommt Polyxenes.


Polyxenes tritt auf.

POLYXENES.

Seltsam! mich dünkt,

Im Sinken hier sei meine Gunst. Nicht sprechen?

Camillo, guten Tag!

CAMILLO.

Heil, teurer König![509]

POLYXENES.

Was gibt's am Hofe Neues?

CAMILLO.

Nichts Besondres.

POLYXENES.

Der König blickt so ernst, als ging verloren

Ihm eine der Provinzen, ein Gebiet,

Das wie sich selbst er liebt; ich traf ihn eben

Und grüßt' ihn auf gewohnte Art; doch er,

Den Blick zur Seite werfend und verächtlich

Die Lippe beißend, eilt vorüber, läßt

Mich sinnend stehn, was sich wohl zugetragen,

Das seine Sitten so verwandelt.

CAMILLO.

Herr,

Nicht wag' ich, es zu wissen.

POLYXENES.

Wie! wagst du's nicht! Du weißt's, und wagst es nicht

Mir mitzuteilen? Ja, so ist's gemeint;

Denn was du weißt, das mußt du dir doch sagen,

»Nicht wag' ich's«, paßt da nicht. Du guter Mann,

Dein Blick ist, so verwandelt, mir ein Spiegel,

Der mir den meinen auch verwandelt zeigt;

Mich muß der Wechsel angehn, da ich selbst

Auch mit verwechselt bin.

CAMILLO.

Es gibt ein Übel,

Das manchen aufreibt, doch die Krankheit nennen,

Das kann ich nicht; auch kam die Ansteckung

Von Euch, der Ihr gesund.

POLYXENES.

Wie das? von mir?

Nein, gib mir nicht des Basilisken Auge,

Ich sah auf Tausend, die nur mehr gediehn

Durch meinen Blick; Tod bracht' er nie. – Camillo, –

So wie ein Edelmann du bist und auch

Gelehrt, erfahren (was nicht wen'ger ziert

Den Adel, als der Väter edle Namen,

Durch die wir adlig sind), – beschwör' ich dich,

Weißt etwas du, das meinem Wissen frommt, –


Werd' ich davon belehrt, so sperr' es nicht

In den Verschluß des Schweigens!

CAMILLO.

Ich kann nichts sagen.

POLYXENES.

Krankheit, die ich gebracht, und ich gesund!

Du mußt es sagen. – Hörst du wohl, Camillo,[510]

Bei jeder Pflicht des Manns beschwör' ich dich,

Die heilig ist der Ehr' – und diese Bitte

Ist wahrlich nicht verächtlich –, gib mir Aufschluß,

Was du von einem nah'nden Übel weißt,

Das auf mich zuschleicht, ob es fern, ob nah;

Wie (wenn dies möglich ist) ihm vorzubeugen;

Wo nicht, wie sich's am besten trägt.

CAMILLO.

So hört:

Ihr selbst, höchst ehrenvoll, beschwört mich bei

Der Ehre; darum merket meinen Rat,

Den Ihr befolgen müßt, so schnell als ich

Ihn geben kann, sonst haben beide wir

Das Spiel verloren, und zu Ende ist's.

POLYXENES.

Fahr' fort, Camillo!

CAMILLO.

Ich bin von ihm bestellt, Euch zu ermorden.

POLYXENES.

Von wem?

CAMILLO.

Von meinem König.

POLYXENES.

Und weshalb?

CAMILLO.

Er denkt, ja schwört mit vollster Zuversicht,

Als ob er's sah und selbst ein Werkzeug war,

Euch anzuketten, – daß auf frevle Weise

Die Kön'gin Ihr berührt.

POLYXENES.

Zu Gift dann eitre

Mein reinstes Blut, geschmiedet sei mein Name

An jenen, der den Heiligsten verriet!

Mein unbefleckter Ruf werd' eine Fäulnis,

Durch die mein Nahn dem stumpfsten Sinn ein Ekel;

Und meine Gegenwart sei scheu vermieden,

Ja, und gehaßt, mehr als die schlimmste Pest,

Die das Gerücht und Bücher je geschildert!

CAMILLO.

Schwört Ihr auch gegen seinen Wahn bei jedem

Besondern Stern und seinem Himmelseinfluß,

Könnt Ihr doch leichter wohl der See verbieten,

Dem Monde zu gehorchen, als durch Schwur

Ihr wegschiebt oder durch Vernunft erschüttert

Das Bauwerk seiner Torheit, dessen Grund

Auf seinem Glauben ruht und dauern wird,

Solang' sein Leib besteht.[511]

POLYXENES.

Woher entsprang dies?

CAMILLO.

Ich weiß nicht; doch gewiß, zu fliehn ist sichrer

Das, was uns droht, als fragen, wie's entsprang.

Deshalb, vertraut Ihr meiner Redlichkeit,

Die dieser Leib verschließt, den Ihr als Pfand

Sollt mit Euch nehmen, – macht Euch auf zu Nacht!

Die Euren will ich in geheim belehren,

Und durch verschiedne Pförtchen schaff' ich sie

Zu zwei'n, zu drei'n zur Stadt hinaus; ich selbst,

In Euerm Dienst such' ich mein Glück, das hier

Durch die Entdeckung stirbt. Bedenkt Euch nicht,

Denn ich, bei meiner Eltern Ehre, sprach

Die reinste Wahrheit: wollt Ihr dies erprüfen,

So weil' ich nicht, und Ihr seid hier nicht sichrer

Als einer, den des Königs eigner Mund

Verurteilt und die Hinrichtung geschworen.

POLYXENES.

Ich glaube dir: ich sah in seinem Antlitz

Sein Herz. Gib mir die Hand, sei mein Pilot,

Und du sollst immer mir der Nächste bleiben.

Die Schiffe sind bereit, und meine Leute

Erwarten schon die Abfahrt seit zwei Tagen.

Die Eifersucht verfolgt ein kostbar Wesen,

Und wird so groß, wie jenes einzig ist;

Er, im Besitz der Macht, wird furchtbar toben,

Und da er glaubt, er sei durch einen Mann

Entehrt, der immer ihm der Nächste war,

So muß dies seine Rache bittrer schärfen.

Mich überschattet Furcht:

Beglückter Ausgang sei mein Freund, und tröste

Die holde Kön'gin, die dies Unglück teilt,

Doch unverdient den bösen Argwohn! Komm,

Wie einen Vater ehr' ich dich, wenn du

Mich ungekränkt von hier bringst; laß uns fliehn!

CAMILLO.

Es stehn mir durch mein Ansehn alle Schlüssel

Der Tore zu Gebot; gefällt's Eu'r Hoheit,

Dem Drang des Augenblicks zu folgen: kommt!


Sie gehn ab.[512]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 497-513.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Wintermärchen
Das Wintermärchen
The Winter's Tale/ Das Wintermärchen. [Zweisprachig]
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Das Wintermärchen: Zweisprachige Ausgabe
Das Wintermärchen

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon