Erste Szene

[543] Böhmen, im Palast.


Polyxenes und Camillo treten auf.


POLYXENES. Ich bitte dich, guter Camillo, dringe nicht mehr in mich; es macht mich krank, dir irgend etwas abzuschlagen; aber dir dies zu bewilligen, wäre mein Tod.

CAMILLO. Es sind fünfzehn Jahre, seit ich mein Vaterland nicht sah; obwohl ich die meiste Zeit auswärts zubringen mußte, wünsche ich doch meine Gebeine dort zur Ruhe zu legen. Auch hat der reuevolle König, mein Herr, nach mir gesendet, dessen tiefem Kummer ich zum Trost gereichen möchte, oder mir wenigstens einbilde, daß ich es könnte; und dies ist ein zweiter Antrieb zu meiner Abreise.

POLYXENES. Wenn du mich liebst, Camillo, so lösche nicht alle deine guten Dienste dadurch aus, daß du mich jetzt verlässest; daß ich dich nicht mehr entbehren kann, daran ist deine eigne Trefflichkeit schuld; besser, ich hätte dich nie besessen, als dich jetzt verlieren. Da du mir Geschäfte eingeleitet hast, die niemand außer dir genügend handhaben kann, so mußt du entweder bleiben und sie selbst zu Ende führen, oder die Dienste, die du mir getan hast, mit dir fortnehmen; habe ich diese nicht genug vergolten – denn über Gebühr kann ich es nie –, so soll größere Dankbarkeit mein Streben sein, und mein Vorteil sei, dir mehr Liebe zu erweisen. Von dem unglückseligen Lande Sizilien, bitte, sprich nicht mehr: dieser Name schon martert mich, indem er mich an jenen reuigen König, wie du ihn nennst, meinen versöhnten Bruder, erinnert; der Verlust seiner unschätzbaren Königin und seiner Kinder muß noch jetzt, wie neu geschehen, beklagt werden. – Sage mir, wann sahest du den Prinzen[543] Florizel, meinen Sohn? Die Könige sind nicht minder unglücklich, deren Kinder nicht begabt sind, als jene, die solche verlieren, deren Vorzüge sich schon zeigten.

CAMILLO. Herr, es sind drei Tage, seit ich den Prinzen sah. Was seine glücklicheren Geschäfte sein mögen, ist mir unbekannt: aber ich habe gelegentlich bemerkt, daß er sich seit kurzem vom Hofe zurück zieht und seine fürstlichen Übungen nachlässiger treibt, als er es früher tat.

POLYXENES. Das bemerke ich auch, Camillo, und mit Sorge, so daß ich mir unter meinen Dienern Augen halte, die seine Zurückgezogenheit beobachten; von ihnen habe ich die Nachricht, daß er sich fast immer in dem Hause eines ganz gemeinen Schäfers aufhält, eines Mannes, der, wie sie sagen, aus dem Nichts, und auf eine seinen Nachbarn unbegreifliche Art zu außerordentlichem Wohlstande gelangt ist.

CAMILLO. Ich habe von einem solchen Manne gehört, Herr, und daß er eine Tochter habe von nie gesehener Schönheit; der Ruf von ihr ist so ausgebreitet, daß man kaum begreift, wie er aus so niederer Hütte entstehen konnte.

POLYXENES. So lautet auch zum Teil, was ich erfuhr. Ich fürchte, dies ist die Angel, die meinen Sohn dahin zieht. Du sollst mich nach dem Ort begleiten, wo wir, das nicht scheinend, was wir sind, uns mit dem Schäfer bekannt machen wollen; von seiner Einfalt, denke ich, wird es nicht schwer sein, die Ursache der häufigen Besuche meines Sohnes zu erfahren. Ich bitte dich, begleite mich alsbald zu diesem Geschäft, und verbanne alle Gedanken an Sizilien!

CAMILLO. Bereitwillig gehorche ich Eurem Befehl.

POLYXENES. Mein bester Camillo! – Wir müssen uns verkleiden.


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 543-544.
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