[617] Eine andre Gegend der Insel.
Alonso, Sebastian, Antonio, Gonzalo, Adrian, Francisco und andre treten auf.
GONZALO.
Ich bitt' Euch, Herr, seid fröhlich: Ihr habt Grund
Zur Freude, wie wir alle. Unsre Rettung
Ist mehr als der Verlust; denn unser Fug
Zur Klage ist gemein: an jedem Tage
Hat ein Matrosenweib, der Schiffspatron
Von einem Kaufmann, und der Kaufmann selbst
Zu gleicher Klage Stoff; allein das Wunder,
Ich meine unsre Rettung, aus Millionen
Geschah's nur uns. Drum, lieber Herr, wägt weislich
Leid gegen Trost.
ALONSO.
Ich bitte dich, sei still!
SEBASTIAN. Der Trost geht ihm ein wie kalte Suppe.
ANTONIO. Der Krankenbesucher läßt ihn so noch nicht fahren.
SEBASTIAN. Seht, jetzt windet er die Uhr seines Witzes auf; gleich wird sie schlagen.
GONZALO. Herr –
SEBASTIAN. Eins – zählt doch!
GONZALO.
Wenn jeder Gram gepflegt wird, der uns vorkommt,
So wird dafür dem Pfleger –
SEBASTIAN. Die Zehrung.
GONZALO. Ganz recht, denn er zehrt sich ab; Ihr habt richtiger gesprochen, als Eure Absicht war.
SEBASTIAN. Und Ihr habt es gescheiter genommen, als ich dachte.
GONZALO. Also, gnädiger Herr –[617]
ANTONIO. Pfui doch! Welch ein Verschwender ist er mit seiner Zunge!
ALONSO. Ich bitte dich, laß.
GONZALO. Gut, ich bin fertig, aber doch –
SEBASTIAN. Muß er reden.
ANTONIO. Was gilt die Wette, ob er oder Adrian zuerst anfangen wird zu krähen?
SEBASTIAN. Ich sage, der alte Hahn.
ANTONIO. Nein, das Hähnlein.
SEBASTIAN. Gut: was wetten wir?
ANTONIO. Ein Gelächter.
SEBASTIAN. Topp!
ADRIAN. Scheint diese Insel gleich wüst –
SEBASTIAN. Ha ha ha!
ANTONIO. Nun, Ihr habt bezahlt.
ADRIAN. Unbewohnbar und beinah' unzugänglich –
SEBASTIAN. Dennoch –
ADRIAN. Dennoch –
ANTONIO. Es konnte nicht fehlen.
ADRIAN. Muß ihr Himmelsstrich von der sanftesten und angenehmsten Milde sein.
ANTONIO. Milde ist eine angenehme Dirne.
SEBASTIAN. Ja, und sanft obendrein, wie er sehr gelahrt zu vernehmen gegeben.
ADRIAN. Die Luft haucht uns hier recht lieblich an.
SEBASTIAN. Als hätte sie 'ne Lunge, und zwar 'ne verfaulte.
ANTONIO. Oder als wäre sie aus einem Sumpfe gewürzt.
GONZALO. Hier ist alles zum Leben Dienliche vorhanden.
ANTONIO. Richtig, ausgenommen Lebensmittel.
SEBASTIAN. Die gibt's hier wenig oder gar nicht.
GONZALO. Wie frisch und lustig das Gras aussieht! wie grün!
ANTONIO. Wirklich, der Boden ist fahl.
SEBASTIAN. Mit einer kleinen Schattierung von Grün darin.
ANTONIO. Er trifft nicht weit vom Ziel.
SEBASTIAN. Nein, er verfehlt das Rechte nur ganz und gar.
GONZALO. Aber die Seltenheit dabei ist – was in der Tat beinah' allen Glauben übersteigt –[618]
SEBASTIAN. Wie manche beteuerte Seltenheiten!
GONZALO. Daß unsre Kleider, so durchweicht in der See wie sie waren, dennoch ihre Frische und ihren Glanz behalten haben; so daß sie eher neu gefärbt, als von Seewasser befleckt sind.
ANTONIO. Wenn nur eine von seinen Taschen sprechen könnte, würde sie ihn nicht Lügen strafen?
SEBASTIAN. Ja, oder seine Aussage heuchlerischer Weise einstecken.
GONZALO. Mir deucht, unsre Kleider sind jetzt so frisch, als da wir sie zuerst in Afrika, bei der Heirat der schönen Tochter des Königs, Claribella, mit dem König von Tunis, anlegten.
SEBASTIAN. Es war eine schöne Heirat, und wir haben viel Segen bei unsrer Rückreise.
ADRIAN. Tunis war noch nie vorher mit solch einem Ausbunde von einer Königin beglückt.
GONZALO. Seit den Zeiten der Witwe Dido nicht.
ANTONIO. Witwe? Hol's der Henker! Was hat die Witwe hier zu tun? Witwe Dido?
SEBASTIAN. Wie, wenn er auch Witwer Äneas gesagt hätte? Lieber Himmel, wie Ihr gleich auffahrt!
ADRIAN. Witwe Dido, sagt Ihr ? Ihr gebt mir da was zu denken: sie war ja von Karthago, nicht von Tunis.
GONZALO. Dies Tunis, Herr, war Karthago.
ADRIAN. Karthago?
GONZALO. Ich versichre Euch, Karthago.
ANTONIO. Sein Wort vermag mehr als die wundertätige Harfe.
SEBASTIAN. Er hat die Mauer aufgebaut und Häuser dazu.
ANTONIO. Welch eine Unmöglichkeit wird er zunächst zustande bringen?
SEBASTIAN. Ich denke, er trägt die Insel in der Tasche nach Haus und bringt sie seinem Sohn als einen Apfel mit.
ANTONIO. Und säet die Kerne davon in die See, um mehr Inseln zu ziehn.
GONZALO. Wie?
ANTONIO. Nun, weiter nichts.[619]
GONZALO. Herr, wir sprachen davon, daß unsre Kleider jetzt noch so frisch aussehn, als da wir in Tunis bei der Vermählung Eurer Tochter waren, die nun Königin ist.
ANTONIO. Und zwar die herrlichste, die je dahin kam.
SEBASTIAN. Mit Erlaubnis, bis auf Witwe Dido.
ANTONIO. Oh, Witwe Dido! Ja, Witwe Dido.
GONZALO. Ist mein Wams nicht so frisch, Herr, als den ersten Tag, da ich es trug? Ich will sagen, auf gewisse Weise.
ANTONIO. Die Weise hat er zu rechter Zeit aufgefischt.
GONZALO. Da ich es bei der Vermählung Eurer Tochter trug?
ALONSO.
Ihr stopft mir diese Wort' ins Ohr, ganz wider
Die Neigung meines Sinns. Hätt' ich doch nie
Die Tochter dort vermählt! Denn auf der Heimkehr
Verlor ich meinen Sohn; in meinen Augen
Auch sie, die so entfernt ist, daß ich nie
Sie werde wieder sehn. O du, mein Erbe
Von Napel und von Mailand, welcher Meerfisch
Hat dich verschlungen?
FRANCISCO.
Herr, er lebt vielleicht.
Ich sah ihn unter sich die Wellen schlagen,
Auf ihrem Rücken reiten; er beschritt
Das Wasser, dessen Anfall von sich schleudernd,
Und bot die Brust der hochgeschwoll'nen Woge,
Die ihm entgegen kam. Das kühne Haupt
Hielt aus den streitbar'n Fluten er empor
Und ruderte sich selbst mit wackern Armen
In frischem Schlag ans Ufer, das zu ihm
Sich über seinen unterhöhlten Grund
Hinneigt', als wollt' es helfen: ohne Zweifel
Kam er gesund ans Land.
ALONSO.
Nein, er ist hin.
SEBASTIAN.
Herr, dankt Euch selber nur für den Verlust:
Ihr gönntet nicht Europa Eure Tochter,
Verlort sie an den Afrikaner lieber,
Wo sie verbannt doch lebt von Eurem Auge,
Das diesen Gram zu netzen Ursach' hat.
ALONSO.
O still doch!
SEBASTIAN.
Wir alle knieten und bestürmten Euch[620]
Vielfältig, und die holde Seele selbst
Wog, zwischen Abscheu und Gehorsam, wo
Die Schale sinken sollte. Euern Sohn
Verloren wir für immer, wie ich fürchte.
Mailand und Napel hat der Witwen mehr,
Die dieser Handel machte, als wir Männer,
Um sie zu trösten, bringen; und die Schuld
Ist Euer.
ALONSO.
Auch das Schwerste des Verlustes.
GONZALO.
Mein Prinz Sebastian,
Der Wahrheit, die Ihr sagt, fehlt etwas Milde
Und die gelegne Zeit: Ihr reibt den Schaden,
Statt Pflaster aufzulegen.
SEBASTIAN.
Gut gesagt!
ANTONIO.
Und sehr feldscherermäßig.
GONZALO.
Es ist schlecht Wetter bei uns allen, Herr,
Wenn Ihr betrübt seid.
SEBASTIAN.
Schlecht Wetter?
ANTONIO.
Sehr schlecht.
GONZALO.
Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel –
ANTONIO.
Er säte Nesseln drauf.
SEBASTIAN.
Oder Kletten, oder Malven.
GONZALO.
Und wäre König hier: was würd' ich tun?
SEBASTIAN.
Dem Trunk entgehn, weil er keinen Wein hätte.
GONZALO.
Ich wirkte im gemeinen Wesen alles
Durchs Gegenteil; denn keine Art von Handel
Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts;
Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichtum,
Dienst, Armut gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft,
Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts;
Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Öl, Metall,
Kein Handwerk; alle Männer müßig, alle;
Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos;
Kein Regiment –
SEBASTIAN.
Und doch wollte er König sein!
ANTONIO.
Das Ende seines gemeinen Wesens vergißt den Anfang.
GONZALO.
In der gemeinsamen Natur sollt' alles[621]
Frucht bringen ohne Müh' und Schweiß; Verrat, Betrug,
Schwert, Speer, Geschütz, Notwendigkeit der Waffen
Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur
Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle,
Mein schuldlos Volk zu nähren.
SEBASTIAN.
Keine Heiraten zwischen seinen Untertanen?
ANTONIO. Nichts dergleichen, Freund: alle los und ledig, Huren und Taugenichtse.
GONZALO.
So ungemein wollt' ich regieren, Herr,
Daß es die goldne Zeit verdunkeln sollte.
SEBASTIAN. Gott erhalte Seine Majestät!
ANTONIO. Lang' lebe Gonzalo!
GONZALO. Und, – Ihr versteht mich, Herr?
ALONSO. Ich bitt' dich, schweig'! Du sprichst von Nichts zu mir.
GONZALO. Das glaube ich Eurer Hoheit gern; und ich tat es, um diesen Herrn Gelegenheit zu machen, die so reizbare, bewegliche Lungen haben, daß sie immer über nichts zu lachen pflegen.
ANTONIO. Wir lachten über Euch.
GONZALO. Der ich in dieser Art von lustigen Possen gegen Euch nichts bin; Ihr mögt daher fortfahren und ferner über nichts lachen.
ANTONIO. Was ward da für ein Streich versetzt!
SEBASTIAN. Ja, wenn er nicht flach gefallen wäre.
GONZALO. Ihr seid Kavaliere von herzhaftem Gemüt: Ihr würdet den Mond aus seiner Sphäre heben, wenn er fünf Wochen darin bleiben wollte, ohne zu wechseln.
Ariel kommt, unsichtbar, und spielt eine feierliche Melodie.
SEBASTIAN. Ja, das würden wir, und dann mit ihm ein Klopfjagen bei Nacht anstellen.
ANTONIO. Lieber Herr, seid nicht ungehalten!
GONZALO. Nein, verlaßt Euch drauf, ich werde meine Vernunft nicht so leichtsinnig dran wagen. Wollt Ihr mich in Schlaf lachen, denn ich bin sehr müde?
ANTONIO. Geht schlafen und hört uns zu!
Alle schlafen ein, außer Alonso, Sebastian und Antonio.[622]
ALONSO.
Wie? All' im Schlaf? O schlössen meine Augen
Mit sich auch die Gedanken zu! Ich fühle,
Sie sind dazu geneigt.
SEBASTIAN.
Beliebt's Euch, Herr,
Versäumet nicht die müde Einladung.
Sie naht dem Kummer selten: wann sie's tut,
So bringt sie Trost.
ANTONIO.
Wir beide wollen Euch
Behüten, gnäd'ger Herr, indes Ihr ruht,
Und Wache halten.
ALONSO.
Dank Euch! Seltsam müde –
Alonso schläft ein.
Ariel ab.
SEBASTIAN.
Welch eine fremde Schläfrigkeit befällt sie?
ANTONIO.
Es ist die Art des Himmelstrichs.
SEBASTIAN.
Warum
Drückt sie denn unsre Augenlider nicht?
Ich fühl' in mir zum Schlafen keinen Trieb.
ANTONIO.
Auch ich nicht, meine Sinne sind ganz munter.
Sie fielen alle wie auf einen Wink,
Sie sanken, wie vom Blitz gerührt. Was könnte –
Würd'ger Sebastian? – Oh, was könnte? – Still! –
Und doch ist mir, ich säh' auf deiner Stirn,
Was du verdienst; der Anlaß ruft, und meine
Lebend'ge Einbildung sieht eine Krone
Sich senken auf dein Haupt.
SEBASTIAN.
Wie? Bist du wach?
ANTONIO.
Hörst du mich denn nicht reden?
SEBASTIAN.
Ja, und wahrlich,
's ist eine Träumersprache, und du sprichst
Aus deinem Schlaf. Was war es, das du sagtest?
Dies ist 'ne wunderbare Ruh', zu schlafen
Mit offnen Augen, stehend, sprechend, gehend,
Und doch so tief im Schlaf.
ANTONIO.
Edler Sebastian,
Du läßt dein Glück entschlafen, sterben; taumelst,
Indessen du doch wachst.[623]
SEBASTIAN.
Du schnarchst verständlich;
Dein Schnarchen hat Bedeutung.
ANTONIO.
Ja, ich bin ernster, als ich pflege, Ihr
Müßt's auch sein, wenn Ihr mich begreift; und das
Verdreifacht dich.
SEBASTIAN.
Wohl, ich bin steh'ndes Wasser.
ANTONIO.
Ich will Euch fluten lehren.
SEBASTIAN.
Tut das doch:
Denn ebben heißt mich angeerbte Trägheit.
ANTONIO.
Oh, wüßtet Ihr, wie Ihr den Anschlag hegt,
Da Ihr ihn höhnt, wie, da Ihr ihn entblößt,
Ihr mehr ihn schmückt! Denn freilich, wer da ebbt,
Muß häufig auf den Grund beinah' geraten
Durch eigne Furcht und Trägheit.
SEBASTIAN.
Fahre fort,
Ich bitte dich: dein Blick und deine Wange
Verkünden etwas; die Geburt, fürwahr,
Macht große Wehen dir.
ANTONIO.
So hört! Obschon
Der an Erinn'rung schwache Herr da, dieser,
Der auch nicht stärker im Gedächtnis sein wird,
Wenn er beerdigt ist, den König hier
Fast überredet hat – er ist ein Geist
Der Überredung, gibt mit nichts sich ab
Als überreden – , daß sein Sohn noch lebe:
's ist so unmöglich, daß er nicht ertrank,
Als daß der schwimme, der hier schläft.
SEBASTIAN.
Ich bin
Ganz ohne Hoffnung, daß er nicht ertrank.
ANTONIO.
Aus diesem ohne Hoffnung, oh, was geht Euch
Für große Hoffnung auf! Hier ohne Hoffnung, ist
Auf andre Art so hohe Hoffnung, daß
Der Blick der Ehrsucht selbst nicht jenseits dringt
Und, was er dort entdeckt, bezweifeln muß.
Gebt Ihr mir zu, daß Ferdinand ertrunken?
SEBASTIAN.
Ja, er ist hin.
ANTONIO.
So sagt mir, wer ist denn
Der nächste Erbe Napels?[624]
SEBASTIAN.
Claribella.
ANTONIO.
Sie, Königin von Tunis? Die am Ende
Der Welt wohnt? Die von Napel keine Zeitung
Erhalten kann, wofern die Sonne nicht
Als Bote liefe (denn zu langsam ist
Der Mann im Mond), bis neugeborne Kinne
Bebartet sind? Von der uns alle kommend
Die See verschlang, doch ein'ge wieder auswarf;
Und dadurch sie ersehn zu einer Handlung,
Wovon, was jetzt geschah, ein Vorspiel ist,
Doch uns das Künft'ge obliegt.
SEBASTIAN.
Was für Zeug ist dies?
Was sagt Ihr? – Wahr ist's, meines Bruders Tochter
Ist Königin von Tunis, ebenfalls
Von Napel Erbin, zwischen welchen Ländern
Ein wenig Raum ist.
ANTONIO.
Ja, ein Raum, wovon
Ein jeder Fußbreit auszurufen scheint:
»Wie soll die Claribella uns zurück
Nach Napel messen?« – Bleibe sie in Tunis,
Sebastian wach'! – Setzt, dies wär' der Tod,
Was jetzt sie überfallen: nun, sie wären
Nicht schlimmer dran als jetzt. Es gibt der Leute,
Die Napel wohl so gut, als der hier schläft,
Regieren würden; Herrn, die schwatzen können,
So weit ausholend und so unersprießlich
Wie der Gonzalo hier; ich könnte selbst
So elsterhaft wohl plaudern. Hättet Ihr
Doch meinen Sinn! Was für ein Schlaf wär' dies
Für Eure Standserhöhung! Ihr versteht mich?
SEBASTIAN.
Mich dünket, ja.
ANTONIO.
Und wie hegt Euer Beifall
Eu'r eignes gutes Glück?
SEBASTIAN.
Es fällt mir bei,
Ihr stürztet Euern Bruder Prospero.
ANTONIO.
Wahr!
Und seht, wie wohl mir meine Kleider sitzen,
Weit saubrer wie zuvor. Des Bruders Diener,[625]
Die damals meine Kameraden waren,
Sind meine Leute jetzt.
SEBASTIAN.
Doch Eu'r Gewissen?
ANTONIO.
Ei, Herr, wo sitzt das? Wär's der Frost im Fuß,
Müßt' ich in Socken gehn; allein ich fühle
Die Gottheit nicht im Busen. Zehn Gewissen,
Die zwischen mir und Mailand stehn, sie möchten
Gefroren sein und auftaun, eh' sie mir
Beschwerlich fielen. Hier liegt Euer Bruder, –
Nicht besser als die Erd', auf der er liegt,
Wär' er, was jetzt er scheinet, nämlich tot,
Den ich mit diesem will'gen Stahl, drei Zoll davon,
Zu Bett auf immer legen kann; indes Ihr gleichfalls
Die alte Ware da, den Meister Klug,
In Ruh'stand setztet, der uns weiter nichts
Vorrücken sollte. All die andern nehmen
Eingebung an, wie Milch die Katze schleckt;
Sie zählen uns zu jedem Werk die Stunde,
Wozu wir sagen, es sei Zeit.
SEBASTIAN.
Mein Freund,
Dein Fall zeigt mir den Weg: wie du zu Mailand,
Komm' ich zu Napel. Zieh dein Schwert! Ein Streich
Löst vom Tribut dich, den du zahlst; und ich,
Der König, will dir hold sein.
ANTONIO.
Zieht mit mir,
Und heb' ich meine Hand, tut Ihr desgleichen,
Und nieder auf Gonzalo!
SEBASTIAN.
Halt, noch ein Wort!
Sie unterreden sich leise.
Musik. Ariel kommt unsichtbar.
ARIEL.
Mein Herr sieht die Gefahr durch seine Kunst,
Worin Ihr schwebt, sein Freund; und schickt mich aus,
Weil sein Entwurf sonst stirbt, die hier zu retten.
Er singt in Gonzalos Ohr.
Weil Ihr schnarchet, nimmt zur Tat
Offnen Auges der Verrat
Die Zeit in acht.[626]
Ist Euch Leben lieb und Blut:
Rüttelt Euch, seid auf der Hut!
Erwacht! Erwacht!
ANTONIO.
So laßt uns beide schnell sein!
GONZALO.
Ihr guten Engel, steht dem König bei!
Sie erwachen sämtlich.
ALONSO.
Wie? Was? He! wach? Wozu mit bloßem Degen?
Warum die stieren Blicke?
GONZALO.
Nun, was gibt's?
SEBASTIAN.
Da wir hier standen, Eure Ruh' bewachend,
Jetzt eben brach ein hohles Brüllen aus,
Als wie von Bullen oder Löwen gar.
Weckt' es Euch nicht? Es traf mein Ohr entsetzlich.
ALONSO.
Ich hörte nichts.
ANTONIO.
Oh, ein Getös', um Ungeheu'r zu schrecken,
Erdbeben zu erregen! Das Gebrüll
Von ganzen Herden Löwen!
ALONSO.
Hörtet Ihr's, Gonzalo?
GONZALO.
Auf meine Ehre, Herr, ich hört' ein Summen,
Und zwar ein sonderbares, das mich weckte;
Ich schüttelt' Euch und rief: als ich die Augen auftat,
Sah ich die Degenbloß. Ein Lärm war da,
Das ist gewiß: wir sollten auf der Hut sein
Und diesen Platz verlassen. Zieht die Degen!
ALONSO.
Gehn wir von hier, und laßt uns weiter suchen
Nach meinem armen Sohn!
GONZALO.
Behüt ihn Gott
Vor diesen wilden Tieren! denn er ist
Gewißlich auf der Insel.
ALONSO.
Laßt uns gehn!
ARIEL für sich.
Ich will, was ich getan, dem Meister offenbaren.
Geh, König, such' den Sohn, nun sicher vor Gefahren!
Alle ab.[627]
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sturm
|
Buchempfehlung
Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.
50 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro