Erste Szene

[183] Zimmer.


Herzog, Proteus und Thurio treten auf.


HERZOG.

Verlaßt uns, Signor Thurio, kurze Zeit;

Wir haben heimlich etwas zu besprechen. –


Thurio geht ab.


Jetzt, Proteus, sagt, was Ihr von mir begehrt!

PROTEUS.

Mein gnäd'ger Herr, was ich Euch wollt' entdecken,

Heißt das Gesetz der Freundschaft mich verhehlen;

Doch, wenn ich Eurer gnäd'gen Huld gedenke,

Die Ihr dem Unverdienten reich geschenkt,

So spornt mich meine Pflicht, Euch auszusprechen,

Was sonst kein Gut der Welt mir je entrisse.

Wißt, gnäd'ger Herzog: Valentin, mein Freund,

Will Eure Tochter diese Nacht entführen;

Mir ward der Anschlag von ihm selbst vertraut.

Ich weiß, Ihr seid entschlossen, Signor Thurio

Sie zu vermählen, den das Fräulein haßt;

Und wenn man sie auf diese Art entführte,

Es brächte Euerm Alter bittres Leid.

Drum wählt' ich lieber, meiner Pflicht gemäß,

Des Freundes Absicht so zu hintertreiben,

Als, sie verhehlend, schwere Sorgen nieder

Auf Euer Haupt zu ziehn, die, nicht gehoben,

In ein frühzeitig Grab Euch nieder drückten.

HERZOG.

Dank, Proteus, für dein redliches Gemüt;

Vergelten will ich ganz nach deinem Wunsch.

Nicht unbemerkt von mir blieb diese Liebe,[183]

Wenn sie mich wohl fest eingeschlafen wähnten:

Und oft schon dacht' ich, Valentin den Hof

Und ihren Umgang streng zu untersagen.

Doch, fürchtend, Argwohn geh' auf falscher Spur

Und könne unverdient den Mann verletzen

(Ein hastig Wesen, das ich stets vermied),

Blickt' ich ihn freundlich an, dadurch zu finden

Das, was du selber jetzt mir hast entdeckt.

Und, daß du siehst, wie ich dies längst gefürchtet,

Wohl wissend, leicht verführt sei zarte Jugend,

Wohnt sie im hohen Turme jede Nacht. –

Den Schlüssel nehm' ich in Verwahrung selbst;

Unmöglich ist's, von dort sie weg zu bringen.

PROTEUS.

Wißt, gnäd'ger Herr, ein Mittel ist erdacht,

Wie er ihr Kammerfenster mag erklimmen,

Daß auf geflochtnem Seil sie niedersteigen;

Dies holt der junge Liebende jetzt eben

Und muß mit ihm sogleich hier wiederkommen;

Auffangen könnt Ihr ihn, wenn's Euch gefällt.

Doch, gnäd'ger Herr, tut es mit feiner Wendung,

Daß mein Verrat nicht offenbar sich zeige;

Denn Liebe nur zu Euch, nicht Haß zu ihm,

Bewog mich, seinen Plan bekannt zu machen.

HERZOG.

Bei meiner Ehr', er soll es niemals wissen,

Daß du mir hievon Winke hast gegeben.

PROTEUS.

Lebt wohl, mein Fürst; dort naht schon Valentin.


Proteus geht ab. Valentin tritt auf.


HERZOG.

Freund Valentin, wohin in solcher Eil'?

VALENTIN.

Mit Eurer Gnaden Gunst, ein Bote wartet,

Um meinen Freunden Briefe mitzunehmen,

Und jetzo wollt' ich sie ihm übergeben.

HERZOG. Ist viel daran gelegen?

VALENTIN.

Ihr Inhalt soll nur melden, wie gesund

Und glücklich ich an Eurem Hofe lebe.

HERZOG.

So ist's nicht wichtig; weile noch bei mir,

Denn ein Geschäft muß ich mit dir besprechen,

Ganz in geheim, das nahe mich betrifft.[184]

Dir ist nicht unbekannt, daß ich die Tochter

Mit Thurio, meinem Freund, vermählen wollte.

VALENTIN.

Ich weiß es wohl, mein Fürst; und die Verbindung

Ist reich und ehrenvoll; auch ist der Mann

Voll Tugend, Trefflichkeit und so begabt,

Daß er solch edle Gattin wohl verdient.

Könnt Ihr des Fräuleins Herz nicht zu ihm wenden?

HERZOG.

Durchaus nicht; sie ist albern, widerspenstig,

Stolz, ungehorsam, starr und pflichtvergessen;

Sie weigert mir die Liebe ganz des Kindes,

Wie sie nicht Furcht vor ihrem Vater kennt;

Und dieser Hochmut, kann ich dir vertrauen,

Hat, wohlerwogen, ihr mein Herz entwendet.

Ich hoffte sonst die letzten Lebensjahre

Gepflegt von Kindesliebe hinzubringen;

Doch jetzt ist mein Entschluß, mich zu vermählen,

Und sie, entfremdet, wähle, wen sie will;

Mög' ihre Schönheit ihre Mitgift sein,

Denn mich und meine Güter schätzt sie nicht.

VALENTIN.

Was will Eu'r Gnaden, das ich hierin tu'?

HERZOG.

In eine Dame hier in Mailand, Freund,

Bin ich verliebt; doch sie ist spröd' und kalt

Und achtet nicht Beredsamkeit des Greises;

Drum wollt' ich dich zu meinem Führer wählen

(Denn längst vergaß ich schon den Hof zu machen;

Auch hat der Zeiten Weise sich verändert),

Wie und was Art ich mich betragen soll,

Ihr sonnenhelles Aug' auf mich zu lenken.

VALENTIN.

Gewinnt sie durch Geschenk', schätzt sie nicht Worte;

Juwelen sprechen oft mit stummer Kunst,

Gewinnen mehr als Wort' des Weibes Gunst.

HERZOG.

Sie wies ein Kleinod ab, das ich geschickt.

VALENTIN.

Oft weist ein Weib zurück, was sie beglückt.

Ein zweites schickt; ermüdet nicht im Lauf;

Verschmähn zuerst weckt später Sehnsucht auf.

Wenn sie Euch zürnt, ist's nicht, um Haß zu zeigen,

Sie will, Ihr sollt ihr größre Liebe zeigen;

Schilt sie Euch weg, so heißt das nicht: geht fort![185]

Die Närrchen toben, nimmt man sie beim Wort.

Abweisen laßt Euch nie, was sie auch spricht;

Denn sagt sie: »Geht«, so meint sie: »Gehet nicht«;

Lobt, schmeichelt, preist, vergöttert ihre Gaben;

Auch schwarz, laßt sie ein Engelsantlitz haben.

Der Mann, der nur 'ne Zung' hat, ist kein Mann,

Des Wort nicht jedes Weib gewinnen kann.

HERZOG.

Doch, die ich meine, ward von ihren Freunden

Versprochen einem jungen, edlen Herrn;

Und streng von Männerumgang ausgeschlossen,

Daß niemand sie am Tage sehen darf.

VALENTIN.

So würd' ich denn sie in der Nacht besuchen.

HERZOG.

Verschlossen ist die Tür, verwahrt der Schlüssel,

Daß niemand nachts zu ihr gelangen mag.

VALENTIN.

Was hindert, durch das Fenster einzusteigen?

HERZOG.

Hoch ist ihr Zimmer, von dem Boden fern,

Und steil gebaut, daß keiner auf mag klimmen,

Der augenscheinlich nicht sein Leben wagt.

VALENTIN.

Nun, eine Leiter, wohlgeknüpft aus Schnüren,

Hinauf zu werfen mit zwei Eisenklammern,

Genügt, der Hero Turm selbst zu ersteigen,

Wenn ein Leander kühn es wagen will.

HERZOG.

Fürwahr, du bist ein alter Edelmann:

Gib Rat, wie solche Leiter anzuschaffen!

VALENTIN.

Wann braucht Ihr sie? Ich bitte, sagt mir das.

HERZOG.

In dieser Nacht; denn Liebe gleicht dem Kinde,

Das alles will, was es erlangen kann.

VALENTIN.

Um sieben Uhr schaff' ich Euch solche Leiter.

HERZOG.

Noch eines; ich allein will zu ihr gehn;

Wie läßt sich nun dorthin die Leiter bringen?

VALENTIN.

Leicht könnt Ihr, gnäd'ger Herr, sie selber tragen,

Ist Euer Mantel nur von ein'ger Länge.

HERZOG.

Ein Mantel, so wie deiner, möchte passen.

VALENTIN.

Ja, gnäd'ger Herr.

HERZOG.

Zeig' deinen Mantel mir,

Ich lass' mir einen machen von der Länge.

VALENTIN.

Ein jeder Mantel, gnäd'ger Herr, ist passend.

HERZOG.

Wie stell' ich mich nur an mit solchem Mantel? –[186]

Ich bitte, laß mich deinen überhängen!

Was ist das für ein Brief? was gibt's? – An Silvia?

Und hier ein Instrument, so wie ich's brauche?

Vergönnt, daß ich diesmal das Siegel breche!


Liest.


»Ihr wohnt bei Silvia, meine Nachtgedanken;

Als Sklaven send' ich euch dorthin zu fliegen:

Oh, könnt' ihr Herr so leicht gehn durch die Schranken,

Um da zu ruhn, wo sie gefühllos liegen!

Ja, die Gedanken schließ' in sel'ge Brust ein,

Wie ich, ihr König, der sie eifernd schickt,

Verwünschend wünscht, er möcht' in solcher Lust sein,

Weil mehr als er die Diener sind beglückt.

Weil ich sie sende, drum verwünsch' ich mich,

Wo selbst ich sollte ruhn, erfreun sie sich.« –

Was gibt es hier?

»Silvia, in dieser Nacht befrei' ich dich!«

So ist es; und dazu ist dies die Leiter. –

Ha, Phaeton (denn du bist Merops' Sohn),

Erfrechst du dich des Himmelswagens Lenkung,

Im Übermut die Erde zu verbrennen?

Greifst du nach Sternen, weil ihr Glanz dir strahlt?

Wahnsinn'ger Sklav'! der frech sich eingedrängt,

Gewinn' dir Gleiches durch dein grinsend Lächern!

Dank' meiner Nachsicht mehr als deinem Wert,

Daß du noch lebend darfst von hier entfliehen;

Dies preise mehr als all die Gunstbezeugung,

Die ich, nur weggeworfen, dir erwies.

Doch, wenn du länger weilst in meinem Land,

Als nötig ist zur schnellsten Vorbereitung,

Von unserm königlichen Hof zu scheiden,

Dann wahrlich will ich dir weit grimm'ger zürnen,

Als ich mein Kind je oder dich geliebt.

Fort denn und schweig' mit nichtiger Entschuld'gung:

Liebst du dein Leben, fort in schnellster Eil'!


Herzog geht ab.


VALENTIN.

Ha! lieber tot als leben auf der Folter!

Zu sterben, ist von mir verbannt zu sein,

Und Silvia ist ich selbst; verbannt von ihr,

Ist selbst von selbst: o tödliche Verbannung![187]

Ist Licht noch Licht, wenn ich nicht Silvia sehe?

Ist Lust noch Lust, wo Silvia nicht zugegen?

Und war sie's nicht, dacht' ich sie mir zugegen,

Entzückt vom Schattenbild der Göttlichkeit.

Nur wenn ich in der Nacht bei Silvia bin,

Singt meinem Ohr Musik die Nachtigall;

Nur wenn ich Silvia kann am Tage sehn,

Nur dann strahlt meinem Auge Tag sein Licht:

Sie ist mein Lebenselement; ich sterbe,

Werd' ich durch ihren Himmelseinfluß nicht

Erfrischt, verklärt, gehegt, bewahrt im Leben.

Tod folgt mir, flieh' ich seinen Todesspruch;

Verweil' ich hier, erwart' ich nur den Tod;

Doch Flucht von hier ist aus dem Leben Flucht.


Proteus und Lanz treten auf.


PROTEUS. Lauf, Bursch, lauf, lauf und such' ihn mir!

LANZ. Holla! Holla!

PROTEUS. Was siehst du?

LANZ. Den, den wir suchen; es ist nicht ein Haar auf seinem Kopfe, das nicht ein Valentin ist.

PROTEUS. Valentin?

VALENTIN. Nein.

PROTEUS. Wer denn? Sein Geist?

VALENTIN. Auch nicht.

PROTEUS. Was denn?

VALENTIN. Niemand.

LANZ. Kann niemand sprechen? Herr, soll ich schlagen?

PROTEUS. Wen willst du schlagen?

LANZ. Niemand.

PROTEUS. Zurück, Tölpel!

LANZ. Nun, Herr, ich will niemand schlagen: Ich bitte Euch –

PROTEUS. Zurück, sag' ich; Freund Valentin, ein Wort!

VALENTIN.

Mein Ohr ist taub jedweder guten Zeitung,

So sehr ist es von Unheil ganz erfüllt.

PROTEUS.

Dann will ich mein' in tiefes Schweigen senken,

Denn sie ist rauh, voll Übellaut und schlimm.

VALENTIN.

Ist Silvia tot?[188]

PROTEUS.

Nicht, Valentin.

VALENTIN.

Jawohl, nicht Valentin für Silvias Himmel!

Von ihr Verwerfung denn?

PROTEUS.

Nicht, Valentin.

VALENTIN.

Nicht Valentin, wenn Silvia mich verwarf! –

Was gibt es denn?

LANZ.

Herr, man rief aus, daß Ihr von hier verbannt.

PROTEUS.

Daß du verbannt bist, ach, das ist die Botschaft:

Von hier, von Silvia und von deinem Freund.

VALENTIN.

Von diesen Schmerzen hab' ich schon gezehrt,

Das Übermaß wird jetzt mich übersätt'gen.

Und weiß es Silvia schon, daß ich verbannt?

PROTEUS.

Ja, ihr entströmte bei dem strengen Spruch

(Der unabwendbar bleibt, in kräft'ger Wirkung)

Ein Meer von Perlen, Tränen sonst genannt:

Die goß sie zu des harten Vaters Füßen;

Auf ihre Knie' warf sie sich bittend hin,

Die Hände ringend, deren Weiß erglänzte,

Als würden sie erst jetzt so bleich aus Gram;

Doch nicht gebeugtes Knie, erhobne Hand,

Noch Seufzer, Klagen, Silberflut der Tränen

Durchdrang des unmitleid'gen Vaters Herz:

Nein, Valentin, ergreift man ihn, muß sterben.

Ihr Fürwort reizt' ihn noch zu größerm Zorn,

Als sie für deine Rückberufung bat:

In enge Haft, befahl er, schließt sie ein,

Und drohte zornig, nie sie zu befrein.

VALENTIN.

Nichts mehr! wenn nicht dein nächstes Wort, gesprochen,

Mit tötender Gewalt mein Leben trifft:

Ist's so, dann bitt' ich, hauch' es in mein Ohr,

Als Klageschluß endlosen Wehgesangs.

PROTEUS.

Nein, klage nicht, wo du nicht helfen kannst,

Und such' zu helfen dem, was du beklagst,

Die Zeit ist Amm' und Mutter alles Guten.

Verweilst du hier, siehst du nicht die Geliebte;

Auch drohet dein Verweilen deinem Leben.

Hoffnung ist Liebesstab; zieh' hin mit ihm,

Er sei dir gegen die Verzweiflung Stütze.[189]

Schick' deine Briefe her, bist du auch fern;

Die sende mir, und ich befördre sie

In den milchweißen Busen deiner Silvia.

Zu Klageliedern ist jetzt keine Zeit!

Komm, ich begleite dich durchs Tor der Stadt,

Und eh' wir scheiden, sprechen wir ausführlich,

Was noch zu tun für deiner Liebe Glück.

Bei Silvias Liebe, meide die Gefahr

Um sie, wenn nicht um dich, und komm mit mir!

VALENTIN.

Lanz! wenn du meinen Pagen sehen solltest,

Heiß' eilen ihn und mich am Nordtor treffen!

PROTEUS.

Geh, hörst du, such' ihn auf! Komm, Valentin!

VALENTIN.

Oh, teure Silvia! Armer Valentin!


Proteus und Valentin gehn ab.


LANZ. Ich bin nur ein Narr, seht ihr; und doch habe ich den Verstand, zu merken, daß mein Herr eine Art von Spitzbube ist; das ist alles eins, wenn er nur ein ganzer Spitzbube wäre. Der soll noch geboren werden, der da weiß, daß ich verliebt bin; und doch bin ich verliebt; aber ein Gespann Pferde soll das aus mir nicht heraus ziehen; und auch nicht, in wen ich verliebt bin, und doch ist's ein Weibsbild; aber was für ein Weibsbild, das will ich nicht einmal mir selbst gestehen, und doch ist's ein Milchmädchen; doch ist's kein Mädchen, denn sie hat Kindtaufe gehalten, und doch ist's ein Mädchen, denn sie ist ihres Herrn Mädchen und dient um Lohn. Sie hat mehr Qualitäten als ein Hühnerhund, – und das ist viel für einen Christenmenschen. Hier ist der Katzenlog Zieht ein Papier heraus. von ihren Eigenschaften. Imprimis, sie kann tragen und holen. Nun, ein Pferd kann nicht mehr; ein Pferd kann nicht holen, sondern nur tragen; deswegen ist sie besser als eine Mähre. Item, sie kann melken; seht ihr, eine allerliebste Tugend an einem Mädchen, das saubre Hände hat.


Flink tritt auf.


FLINK. Heda, Signor Lanz, wo ist mein Gebieter?

LANZ. Dein Gebiet, er? Ich dachte, du wärest sein Gebiet.

FLINK. Ei, immer dein alter Spaß, die Worte zu verdrehen. Was gibt es denn für Neuigkeiten in deinem Papier?[190]

LANZ. Die schwärzeste Neuigkeit, von der du jemals gehört hast.

FLINK. Nun, Bursch, wie schwarz?

LANZ. Ei, so schwarz wie Tinte.

FLINK. Laß mich sie lesen!

LANZ. Fort mit dir, Dummkopf; du kannst nicht lesen.

FLINK. Du lügst, ich kann.

LANZ. Ich will dich auf die Probe stellen; sage mir das: wer zeugte dich?

FLINK. Wahrhaftig, der Sohn meines Großvaters.

LANZ. O du unstudierter Grützkopf! es war der Sohn deiner Großmutter: das beweist, daß du nicht lesen kannst.

FLINK. Komm, Narr, komm, mach' die Probe an deinem Papier.

LANZ. Hier, und Sankt Nikolas steh' dir bei!

FLINK. Imprimis, sie kann melken.

LANZ. Ja, das kann sie.

FLINK. Item, sie brauet gutes Bier.

LANZ. Und daher kommt das Sprichwort: Glück zu, ihr braut gutes Bier.

FLINK. Item, sie kann nähen und sticken.

LANZ. Nun, besser als erwürgen.

FLINK. Item, sie kann stricken.

LANZ. So braucht der Mann nicht um einen Strick zu sorgen, wenn die Frau stricken kann.

FLINK. Item, sie kann waschen und scheuern.

LANZ. Das ist eine besondere Tugend; denn da braucht man sie nicht zu waschen und zu scheuern.

FLINK. Item, sie kann spinnen.

LANZ. So kann ich als Fliege ausfliegen, wenn sie sich mit Spinnen forthilft.

FLINK. Item, sie hat viele namenlose Tugenden.

LANZ. Das will sagen, Bastardtugenden; die kennen eben ihre Väter nicht und haben darum keine Namen.

FLINK. Jetzt folgen ihre Fehler.

LANZ. Den Tugenden hart auf dem Fuße.

FLINK. Item, sie ist wegen ihres Atems nüchtern nicht gut zu küssen.[191]

LANZ. Nun, der Fehler kann durch ein Frühstück gehoben werden; lies weiter!

FLINK. Sie hat einen süßen Mund.

LANZ. Das ist ein Ersatz für ihren sauern Atem.

FLINK. Item, sie spricht im Schlaf.

LANZ. Das ist besser, als wenn sie im Sprechen schliefe.

FLINK. Item, sie ist langsam im Reden.

LANZ. O Schurke, das unter ihre Fehler zu setzen! Langsam im Reden zu sein, ist eines Weibes einzige Tugend; ich bitte dich, streich' das aus und stelle es unter ihre Tugenden obenan!

FLINK. Item, sie ist eitel.

LANZ. Weg mit dem dazu; es war Evas Erbteil und kann nicht von ihr genommen werden.

FLINK. Item, sie hat keine Zähne.

LANZ. Daraus mache ich mir auch nichts, denn ich liebe die Rinden.

FLINK. Item, sie ist zänkisch.

LANZ. Gut; das beste ist, sie hat keine Zähne zum Beißen.

FLINK. Item, sie lobt sich einen guten Schluck.

LANZ. Wenn der Schluck gut ist, soll sie's; wenn sie nicht will, tu' ich's; denn was gut ist, muß gelobt werden.

FLINK. Item, sie ist zu freigebig.

LANZ. Mit ihrer Zunge kann sie's nicht, denn es steht geschrieben, daß sie langsam damit ist; mit ihrem Beutel soll sie's nicht, denn den will ich verschlossen halten; nun könnte sie es sonst noch mit etwas, und da kann ich nicht helfen. Gut, weiter!

FLINK. Item, sie hat mehr Haar als Witz, und mehr Fehler als Haare, und mehr Geld als Fehler.

LANZ. Halt hier; ich will sie haben: sie war mein und nicht mein, zwei- oder dreimal bei diesem letzten Artikel; wiederhole das noch einmal!

FLINK. Item, sie hat mehr Haar als Witz –

LANZ. Mehr Haar als Witz, – das mag sein; das will ich beweisen: der Deckel des Salzfasses verbirgt das Salz, und darum ist er mehr als das Salz; das Haar, das den Witz bedeckt, ist mehr als der Witz; denn das Größere verbirgt das Kleinere. Was ist das Nächste?[192]

FLINK. Und mehr Fehler als Haare –

LANZ. Das ist schrecklich; wenn das heraus wäre!

FLINK. Und mehr Geld als Fehler.

LANZ. Ach, das Wort macht die Fehler zu Tugenden. Gut, ich will sie haben; und wenn das eine Heirat gibt, wie kein Ding unmöglich ist –

FLINK. Was denn?

LANZ. Nun, dann will ich dir sagen, daß dein Herr am Nordtor auf dich wartet.

FLINK. Auf mich?

LANZ. Auf dich? ja; wer bist du? Er hat schon auf beßre Leute gewartet, als du bist.

FLINK. Und muß ich zu ihm gehn?

LANZ. Du mußt zu ihm laufen; denn du hast so lange hier gewartet, daß Gehen schwerlich hinreicht.

FLINK. Warum sagtest du mir das nicht früher? Hol' der Henker deinen Liebesbrief! Geht ab.

LANZ. Jetzt kriegt er Prügel, weil er meinen Brief gelesen hat; ein unverschämter Kerl, der sich in Geheimnisse drängen will! – Ich will hinterher und an des Bengels Züchtigung meine Freude haben. Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 183-193.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden Veroneser
Shakespeare's dramatische Werke, Band 8: Die beiden Veroneser. Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon