Zweite Szene

[245] Ebendaselbst.


Armado und Motte treten auf.


ARMADO. Trillre, mein Kind, affiziere mir den Sinn des Gehörs!

MOTTE singt.

ARMADO. Melodische Manier! – Geh, Zartheit der Jahre; nimm diesen Schlüssel, gib dem Bauer Entfeßlung, – bring' ihn windschnell hieher; ich bedarf sein wegen eines Briefs an meine Huldin.

MOTTE. Herr, wollt Ihr Eure Huldin mit neumodischen Singweisen und Arien gewinnen?

ARMADO. Wie meinst du? Gibt es Arien, welche weise sind? –

MOTTE. Nein, mein vollendeter Gebieter; aber schnellt einen Ton, staccato, von der Spitze Eurer Zunge, vibriert dazu, tremulando, mit Euren Füßen, würzt ihn mit Ausdruck, indem Ihr die Augenlider aufschlagt; seufzt eine Note und singt eine Note: einmal durch die Gurgel, als schlucktet Ihr Liebe, indem Ihr Liebe singt; einmal durch die Nase, als schnupftet Ihr Liebe, indem Ihr Liebe riecht; Euern Hut gleich einem Vordach über den Laden Eurer Augen; die Arme kreuzweis über Euerm dünnen Wamse, wie ein Kaninchen am Spieß; oder Eure Hände in der Tasche, wie eine Figur auf den alten Bildern. Dabei müßt Ihr nicht zu lange in einer Tonart verweilen, sondern ein Schnippchen, und linksum. Das sind Gaben, das sind Talente, das fängt spröde Mädchen, die sich auch ohnedies fangen ließen: das macht, daß man von den Gemütern, die solches in ihrer Gewalt haben, – notiert's Euch! – Notiz nimmt.[245]

ARMADO. Womit hast du diese Erfahrung eingekauft?

MOTTE. Für meinen Pfennig der Beobachtung.

ARMADO. Doch o! Doch o! –

MOTTE. »Vergessen ist das Steckenpferd!«

ARMADO. Nennst du meine Huldin Steckenpferd?

MOTTE. Nein, Herr, das Steckenpferd ist immer ein rohes Füllen, und Eure Huldin ist vielleicht ein Mietklepper. Aber habt Ihr Eure Huldin vergessen? –

ARMADO. Beinahe hätt' ich's.

MOTTE. Nachlässiger Student! Lernt sie auswendig!

ARMADO. Ich liebe sie auswendig und inwendig, Knabe.

MOTTE. Und abwendig, Herr; alles beweis' ich Euch.

ARMADO. Was willst du beweisen?

MOTTE. Mich, als Mann, wenn ich leben bleibe; und dies Aus-, In- und Abwendig im Augenblick. Auswendig liebt Ihr sie, weil Ihr ihren Namen ohne Anstoß hersagen könnt; inwendig, weil Ihr nicht aus der Haut fahren dürft; und abwendig, weil sie sich von Euch abwendet.

ARMADO. Ich bin in allen diesen drei Fällen.

MOTTE. Und wär't Ihr auch in sechs Fellen, so würdet Ihr in allen Euren Fellen ungefällig bleiben.

ARMADO. Führe mir den Bauer hieher, er soll mir einen Brief überbringen.

MOTTE. Eine sympathetische Botschaft! Ein Pferd als Gesandter eines Esels! –

ARMADO. Ha! Was sagst du? –

MOTTE. Meiner Treu, Herr, Ihr müßt den Esel auf dem Pferde schicken, denn er ist nur langsam zu Fuß; doch ich gehe.

ARMADO. Der Weg ist nur kurz; hinweg!

MOTTE. So schnell wie Blei, Herr!

ARMADO.

Deine Meinung, artiges Ingenium? –

Blei dünkt mich ein Metall, dumm, schwer und träg' zu sein.

MOTTE.

Minime, edler Sennor, oder wahrlich, Sennor, nein.

ARMADO.

Ich sage, Blei ist langsam.

MOTTE.

Ihr folgt zu schnell dem Schein;

Ist langsam wohl ein Blei, wenn aus dem Lauf geschossen? –

ARMADO.

Ein würdig Rednerblümchen![246]

Ich also bin das Rohr, die Kugel paßt auf ihn.

Jetzt schieß' ich dich auf den Bauer.

MOTTE.

Bauz denn, und seht mich fliehn.


Läuft ab.


ARMADO.

Ein höchst scharfsinn'ger Juvenil, so flink, hat so bei der Hand Witz! –

Erlaube, liebes Firmament, ich seufze dir in dein Antlitz! –

Fahr' wohl, o Mut, mein Herz ist jetzt der trüben Schwermut Landsitz! –

Mein Herold kommt zurück.


Motte kommt mit Schädel zurück.


MOTTE.

Ein Wunder, Herr! Seht 'nen Schädel, der sich zerstieß das Bein.

ARMADO.

Ein Enigma, ein Rätsel: komm, wie mag der l'envoy sein?

SCHÄDEL. Nichts da von Nicknamen und Rätseln oder Langfahnen; weg mit Euren Salbenbüchsen, Herr; ach Herr, Wegerich, puren Wegerich! keine Langfahnen, keine Langfahnen oder Salben, Herr, nichts als Wegerich! –

ARMADO. Bei der Tugend! du erzwingst Gelächter; dein alberner Gedanke meinen Humor; das Schwellen meiner Lunge regt mich an zu verächtlichem Lächeln; o vergebt mir, ihr Gestirne! Hält der Unbedachtsame Salbe für l'envoy, und das Wort l'envoy für Salbe!

MOTTE. Betrachtet der Weise sie etwa anders? Ist nicht l'envoy ein salbungsvoller Gruß? –

ARMADO.

Nein, Page, 's ist ein Epilog, ein Diskurs, der uns erklärt

Irgendein dunkles Präambulum, das wir zuvor gehört.

Ein Exempel mache dir's klar:

Der Fuchs, der Affe, die Biene klein,

Weils drei sind, mußten sie ungleich sein.

Dies ist die Moral; nun folgt der l'envoy.

MOTTE.

Ich will den l'envoy hinzufügen, sagt Ihr die Moral noch einmal.

ARMADO.

Der Fuchs, der Affe, die Biene klein,

Weil's drei siod, mußten sie ungleich sein.

MOTTE.

Bis dann die Gans kam aus der Tür,

Da wurden sie gleich, denn drei ward vier.[247]

Nun will ich mit Eurer Moral anfangen; folgt Ihr mir nach mit meinem l'envoy!

Der Fuchs, der Affe, die Biene klein,

Weils drei sind, mußten sie ungleich sein.

ARMADO.

Bis dann die Gans kam aus der Tür,

Da wurden sie gleich, denn drei ward vier.

MOTTE. Ein erfreulicher l'envoy, der sich mit einer Gans endigt. Was könnt Ihr mehr verlangen?

SCHÄDEL.

Der Junge hat ihn zum besten mit der Gans, das wollt' ich wetten: –

Eu'r Handel wär' nicht schlecht, wär's eine von den fetten. –

Braucht wer' nen pfiffigen Schelm, ei, seht den Kleinen, der kann's! –

Ihr sucht 'nen fetten l'envoy? – Er verkauft Euch 'ne fette Gans.

ARMADO.

O wart' noch! Wartet noch! Dies Argument, wie begann's?

MOTTE.

Ich erzählt' Euch, wie ein Schädel sich heut das Bein geschunden.

Drauf rieft Ihr nach dem l'envoy.

SCHÄDEL.

Jawohl; und ich nach Wegerich: so hat sich's eingefunden.

Dann kam der fette l'envoy, die Gans, die er gekauft;

So endigte der Markt.

ARMADO. Aber erkläre mir, welche Allegorie liegt verborgen unter dem Schädel, welcher sein Bein zerstoßen? –

MOTTE.

Ich will's Euch auf eine gefühlvolle Weise deutlich machen.

SCHÄDEL.

Du hast kein Gefühl dafür, Motte! Diesen l'envoy will ich sprechen:

Ich Schädel rannt' hinaus, statt ruhig im Hause zu sein,

Und stolpert' in der Tür und stieß mich an das Bein.

ARMADO.

Wir wollen die Sache ruhen lassen.

SCHÄDEL.

Ja, das wird dem Beine wohl bekommen.

ARMADO.

Du, Schädel, ich will dich emanzipieren.

SCHÄDEL. Ihr wollt mich als Eh'mann zitieren? – Das läuft wohl wieder auf so 'nen l'envoy, auf eine Gans hinaus?

ARMADO. Bei meiner zarten Seele, ich meine, dich in Freiheit setzen, deine Person frankieren; du warst vermauert, gebunden, eingekorkt, verstopft.[248]

SCHÄDEL. Richtig, richtig; und nun wollt Ihr meine Purganz sein und mich loslassen.

ARMADO. Ich schenke dir deine Freiheit, erlöse dich aus der Gebundenheit, und als Gegenleistung lege ich dir nur dieses auf: überreiche gegenwärtiges Sendschreiben dem Landmädchen Jacquenetta. Hier ist Remuneration Gibt ihm Geld. denn die beste Stütze meiner Ehre ist, meine Vasallen zu unterstützen. Motte, folge! Er geht ab.

MOTTE.

Wie das X auf das U. Leb wohl, Freund Schädel, du würdiger Kerl!

SCHÄDEL.

Mein süßes Quentchen Mannsfleisch! Spitzbübische, niedliche Perl'! –

Nun will ich seine Remuneration ansehn, Remuneration? Ach, das ist das lateinische Wort für drei Heller; drei Heller heißt Remuneration? Was kostet der Bindfaden? Einen Pfennig. Nein, ich will Euch eine Remuneration geben; gelt, das klingt? Remuneration? Ei, das lautet viel hübscher, als eine französische Krone! Ich will ohne dies Wort nichts weder einkaufen noch verkaufen.


Biron kommt.


BIRON. O mein guter Kerl Schädel, vortrefflich, daß ich dich finde!

SCHÄDEL. Bitt' Euch, Herr, wie viel rotes Band kann man für eine Remuneration kaufen? –

BIRON. Was ist eine Remuneration? –

SCHÄDEL. Ei je, Herr, anderthalb Pfennig.

BIRON. Nun also, für drei Heller Seide.

SCHÄDEL. Ich danke Eu'r Gnaden, Gott befohlen!

BIRON.

Halt, warte, Mensch, ich muß dich jetzt gebrauchen.

Willst meine Gunst gewinnen, guter Kerl,

So tu' ein Ding, um das ich bitten will.

SCHÄDEL. Wann soll es denn geschehn, Herr?

BIRON. Oh, diesen Nachmittag.

SCHÄDEL. Nun gut, ich will es tun: so lebt denn wohl!

BIRON. Du weißt ja noch nicht, was es ist.

SCHÄDEL. Ich werd's schon wissen, Herr, wenn ich's getan habe.[249]

BIRON.

Ei Schlingel, du mußt es vorher wissen.

SCHÄDEL.

Ich will morgen früh zu Eu'r Gnaden kommen.

BIRON.

Es muß den Nachmittag geschehn. Hör', Bursch,

Es ist nur dies:

Die Fürstin kommt zur Jagd hier in den Park,

Und eine edle Dam' ist im Gefolge.

Spricht süß ein Mund, so spricht er ihren Namen

Und nennt sie Rosaline. Frag' nach ihr,

Und ihrer weißen Hand gib dies Geheimnis

Versiegelt. Hier dein Rekompens; nun geh!


Gibt ihm Geld.


SCHÄDBL. Rekompens – o süßer Rekompens! Besser als Remuneration, elftehalb Pfennig besser. Ei du herziger Rekompens; ich will's tun, Herr, wie gedruckt. Rekompens! Remuneration! Ab.

BIRON.

Oh! Und ich verliebt, seht doch! –

Ich, der Cupidos Geißel sonst gewesen! –

Ein wahrer Büttel jedem Sehnsuchtsseufzer,

Ein Läst'rer, ja, nachtwachender Konstabel,

Ein strenger Schuldespot des armen Knaben,

Kein Sterblicher so überstolz als ich!

Der laun'sche Junge, greinend, blind, verkappt,

Des Giulio Riesenzwerg, Ritter Cupido,

Sonettenfürst, Herzog gekreuzter Arme,

Gesalbter König aller Ach und Oh,

Lehnherr der Tagedieb' und Mißvergnügten,

Monarch der Mieder, Schach der Hosenlätze,

Alleiniger Kaiser, großer Feldzeugmeister

Der Kirchenbüßer: – o mein kleines Herz!

Ich soll sein Adjutant sein, soll mich kleiden

In seine Farben wie ein Maientänzer?

Wie, was, ich lieb', ich werb', ich such' ein Weib? –

Ein Weib, das einer deutschen Schlaguhr gleicht,

Stets dran zu bessern, ewig aus den Fugen,

Die niemals recht geht, wie sie auch sich stellt,

Als wenn man stets sie stellt, damit sie recht geht?

Und was das Schlimmste, noch meineidig werden! –

Und just die Schlimmste lieben von den dreien! –

Ein bläßlich Ding mit einer samtnen Braue,[250]

Mit zwei Pechkugeln im Gesicht statt Augen;

Und eine wahrlich, die die Tat wird tun,

Und wär' ein Argus ihr gesetzt zum Wächter!

Und, ach, um die nun seufzen, für sie wachen! –

Ich für sie beten? – Gut denn! 's ist 'ne Strafe,

Die Amor mir diktiert für das Verachten

Seiner allmächtig furchtbar kleinen Macht.

Nun wohl! So will

Ich lieben, schreiben, seufzen, ächzen, beten;

Der liebt das Fräulein, jener schwärmt für Greten.

Ab.[251]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 245-252.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Liebes Leid und Lust
Shakespeare's dramatische Werke, Band 8: Die beiden Veroneser. Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeares dramatische Werke - Siebter Band: Der Widerspenstigen Zähmung, Viel Lärm um Nichts, Die Comödie der Irrungen, Achter Band: Die beiden Veroneser, Coriolanus, Liebes Leid und Lust
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon