Erste Szene

[213] Ein Zimmer in des Herzogs Palast.


Es treten auf der Herzog, Escalus, Herren vom Hofe und Gefolge.


HERZOG.

Escalus –

ESCALUS.

Mein Fürst? –

HERZOG.

Das Wesen der Regierung zu entfalten,

Erschien' in mir als Lust an eitler Rede,

Weil mir bewußt, daß Eure eigne Kenntnis

Die Summe alles Rates überschreitet,

Den meine Macht Euch böte. Nehmt sie denn,

Wie Euer Edelsinn und Wert verdient,

Und laßt sie wirken. Unsers Volkes Art,

Der Stadt Gesetze wie des ganzen Staats

Gemeines Recht habt Ihr so wohl erforscht,

Als Kunst und Übung irgend wen bereichert,

Den wir gekannt. So nehmt die Vollmacht hin,

Die Euch die Bahn bezeichne. Ruft hieher

Den Angelo, daß er vor uns erscheine.


Ein Diener geht.


Wie meint Ihr, wird er unsern Platz vertreten?

Denn wißt, daß mit besonderm Vorbedacht

Wir ihn erwählt, an unsrer Statt zu herrschen,

Ihm unsre Schrecken liehn und unsre Gnade,

Und ihm als Stellvertreter alle Waffen

Der eignen Macht vertraut. Wie dünkt Euch dies? –

ESCALUS.

Wenn irgend einer je in Wien verdient,

So reiche Huld und Ehre zu erfahren,

So ist's Lord Angelo.


Angelo tritt auf.[213]


HERZOG.

Da kommt er selbst.

ANGELO.

Stets Euer Hoheit Willen untertänig,

Bitt' ich um Euern Auftrag.

HERZOG.

Angelo,

Es ist 'ne Schrift in deiner Lebensweise,

Die dem Bemerker klar entfaltet, was

Du je erlebt. Du selbst und dein Talent

Sind nicht dein eigen, daß du dich verzehrst

Für deinen eignen Wert, den Wert für dich.

Der Himmel braucht uns, so wie wir die Fackeln,

Sie leuchten nicht für sich; wenn unsre Kraft

Nicht strahlt nach außen ihn, wär's ganz so gut,

Als hätten wir sie nicht. Geister sind schön geprägt

Zu schönem Zweck; noch leiht jemals Natur

Den kleinsten Skrupel ihrer Trefflichkeit,

Daß sie sich nicht, als wirtschaftliche Göttin,

Den Vorteil eines Gläub'gers ausbedingt,

So Dank wie Zinsen. Doch ergeht mein Wort

An einen Mann, der mich belehren könnte:

Nimm hin denn, Angelo!

Solang' wir fern, sei unser zweites Selbst;

Tod und Begnad'gung wohn' allein in Wien

In deiner Brust und Zunge. Escalus,

Obschon zuerst berufen, steh' dir nach:

Empfange deine Vollmacht!

ANGELO.

Oh, mein Fürst,

Laßt schärfre Prüfung mein Metall bestehn,

Bevor ein so erhabnes, edles Bild

Darauf geprägt wird.

HERZOG.

Keine Ausflucht mehr!

Mit wohl gereifter, lang' bedachter Wahl

Wardst du ersehn; deshalb nimm deine Würden!

So schnelle Eil' erfodert unsre Reise,

Daß sie mich drängt und unentschieden läßt

Geschäfte wicht'ger Art. Wir schreiben Euch,

Wie uns Begebenheit und Zeit ermahnt,

Was uns betrifft; und wünschen zu erfahren,

Was hier begegnen mag. So lebt denn wohl:[214]

Ein glückliches Gelingen sei mit Euch,

Nach unsern Wünschen!

ANGELO.

Doch erlaubt, mein Fürst,

Daß wir ein Stück des Weges Euch geleiten.

HERZOG.

Die Eil' erlaubt es nicht;

Ihr sollt, bei meinem Wort, mit keinem Zweifel

Euch plagen. Eure Macht ist gleich der meinen:

So schärft nun oder mildert die Gesetze,

Wie's Eure Einsicht heischt. Gebt mir die Hand.

Ich reis' im stillen. Lieb' ich gleich das Volk,

Doch wünscht' ich nicht, zur Schau mich ihm zu stellen;

Ob wohl gemeint, doch mundet mir nicht wohl

Sein lauter Ruf, sein ungestümes Jauchzen;

Noch scheint mir der ein Mann von reifem Urteil,

Der sich daran erfreut. Nochmals, lebt wohl!

ANGELO.

Der Himmel sei mit Euch und Euerm Tun!

ESCALUS.

Er leit' und bring' Euch glücklich wieder heim!

HERZOG.

Ich dank' Euch. Lebet wohl!


Ab.


ESCALUS.

Ich werd' Euch um ein ungestört Gespräch

Ersuchen, Herr; es liegt mir viel daran,

Ganz durchzuschaun mein Amt bis auf den Grund.

Vollmacht hab' ich, doch welcher Kraft und Art,

Ward mir noch nicht erklärt.

ANGELO.

So ist's mit mir. Laßt uns zusammen gehn,

Dann wird sich Auskunft wohl genügend finden.

Was diesen Punkt betrifft.

ESCALUS.

Ich folg' Eu'r Gnaden.


Gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 213-215.
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