Dritte Szene

[705] Rosalinde und Celia treten auf.


ROSALINDE. Was sagt Ihr nun? Ist nicht zwei Uhr vorbei? Und kein Orlando zu sehen!

CELIA. Ich stehe dir dafür, mit reiner Liebe und verwirrtem Gehirn hat er seinen Bogen und Pfeile genommen und ist ausgegangen – zu schlafen. Seht, wer kommt da?


Silvius tritt auf.


SILVIUS.

An Euch geht meine Botschaft, schöner Jüngling. –

Dies hieß mich meine Phöbe übergeben;

Ich weiß den Inhalt nicht: doch, wie ich riet

Aus finstrer Stirn und zorniger Gebärde,

Die sie gemacht hat, während sie es schrieb,

So muß es zornig lauten; mir verzeiht,

Denn ich bin schuldlos Bote nur dabei.

ROSALINDE.

Bei diesem Briefe müßte die Geduld

Selbst sich empören und den Lärmer spielen;

Wer das hier hinnimmt, der nimmt alles hin.

Sie sagt, ich sei nicht schön, sei ungezogen,

Sie nennt mich stolz, und könne mich nicht lieben,

Wenn Männer selten wie der Phönix wären.

Ihr Herz ist auch der Hase, den ich jage:

Potz alle Welt! was schreibt sie so an mich?

Hört, Schäfer, diesen Brief habt Ihr erdacht.

SILVIUS.

Nein, ich beteur', ich weiß vom Inhalt nicht.

Sie schrieb ihn selbst.

ROSALINDE.

Geht, geht! Ihr seid ein Narr,

Den Liebe bis aufs äußerste gebracht.

Ich sah wohl ihre Hand: sie ist wie Leder,

'ne sandsteinfarbne Hand; ich glaubte in der Tat,

Sie hätte ihre alten Handschuh' an,

Doch waren's ihre Hände, – sie hat Hände

Wie eine Bäurin, – doch das macht nichts aus:

Ich sage, nie erfand sie diesen Brief:

Hand und Erfindung ist von einem Mann.

SILVIUS.

Gewiß, er ist von ihr.[705]

ROSALINDE.

Es ist ein tobender und wilder Stil,

Ein Stil für Raufer; wie ein Türk' dem Christen,

So trotzt sie mir: ein weibliches Gehirn

Kann nicht so riesenhafte Dinge zeugen,

So äthiop'sche Worte, schwärzern Sinns,

Als wie sie aussehn. – Wollt Ihr selber hören?

SILVIUS.

Wenn's Euch beliebt; noch hört' ich nicht den Brief,

Doch schon zu viel von Phöbes Grausamkeit.

ROSALINDE.

Sie phöbet mich: hör' an, wie die Tyrannin schreibt.


Liest.


»Bist du Gott im Hirtenstand,

Der ein Mädchenherz entbrannt?«

Kann ein Weib so höhnen?

SILVIUS.

Nennt Ihr das Höhnen?

ROSALINDE.

»Des verborgne Götterschaft

Qual in Weiberherzen schafft?«

Hörtet Ihr je solches Höhnen?

»Männer mochten um mich werben,

Nimmer bracht' es mir Verderben.«

Als wenn ich ein Tier wäre.

»Wenn deiner lichten Augen Hohn

Erregte solche Liebe schon:

Ach, wie müßt' ihr milder Schein

Wunderwirkend in mir sein!

Da du schaltest, liebt' ich dich:

Bätest du, was täte ich?

Der mein Lieben bringt zu dir,

Kennt dies Lieben nicht in mir.

Gib ihm denn versiegelt hin,

Ob dein jugendlicher Sinn

Nimmt das treue Opfer an

Von mir und allem, was ich kann.

Sonst schlag' durch ihn mein Bitten ab,

Und dann begehr' ich nur ein Grab.«

SILVIUS. Nennt Ihr das Schelten?

CELIA. Ach, armer Schäfer!

ROSALINDE. Habt Ihr Mitleid mit ihm? Nein, er verdient kein Mitleid. – Willst du solch ein Weib lieben? – Was? dich zum[706] Instrument zu machen, worauf man falsche Töne spielt? Nicht auszustehn! – Gut, geht Eures Weges zu ihr (denn ich sehe, die Liebe hat einen zahmen Wurm aus dir gemacht), und sagt ihr dies: Wenn sie mich liebt, befehle ich ihr an, dich zu lieben; wenn sie nicht will, so habe ich nichts mit ihr zu tun, es sei denn, daß du für sie bittest. – Wenn Ihr wahrhaftig liebt, fort, und keine Silbe mehr, denn hier kommt jemand.


Silvius ab.


Oliver tritt auf.


OLIVER.

Guten Morgen, schöne Kinder! Wißt ihr nicht,

Wo hier im Wald herum 'ne Schäferei,

Beschattet von Olivenbäumen, steht?

CELIA.

Westwärts von hier, den nahen Grund hinunter,

Bringt Euch die Reih' von Weiden längs dem Bach,

Laßt Ihr sie rechter Hand, zum Orte hin.

Allein um diese Stunde hütet sich

Die Wohnung selber, es ist niemand drin.

OLIVER.

Wenn eine Zung' ein Auge kann belehren,

Müßt' ich euch kennen, der Beschreibung nach:

Die Tracht, die Jahre so. »Der Knab' ist blond,

Von Ansehn weiblich, und er nimmt sich aus

Wie eine reife Schwester; doch das Mädchen

Ist klein und brauner als ihr Bruder.« Seid ihr

Des Hauses Eigner nicht, das ich erfragt?

CELIA.

Weil Ihr uns fragt: ja, ohne Prahlerei.

OLIVER.

Orlando grüßt euch beide, und er schickt

Dem Jüngling, den er seine Rosalinde

Zu nennen pflegt, dies blut'ge Tuch. Seid Ihr's?

ROSALINDE.

Ich bin's. Was will er uns damit bedeuten?

OLIVER.

Zu meiner Schand' etwas, erfahrt ihr erst,

Was für ein Mensch ich bin, und wo und wie

Dies Tuch befleckt ward.

CELIA.

Sagt, ich bitt' Euch drum!

OLIVER.

Da jüngst Orlando sich von Euch getrennt,

Gab er sein Wort, in einer Stunde wieder

Zurück zu sein; und schreitend durch den Wald

Käut' er die Kost der süß' und bittern Liebe. –[707]

Seht, was geschah! Er warf sein Auge seitwärts,

Und denkt, was für ein Gegenstand sich zeigt!

Am alten Eichbaum mit bemoosten Zweigen,

Den hohen Gipfel kahl von dürrem Alter,

Lag ein zerlumpter Mann, ganz überhaart,

Auf seinem Rücken schlafend; um den Hals

Wand eine grün' und goldne Schlange sich,

Die mit dem Kopf, zu Drohungen behend,

Dem offnen Munde nahte: aber schnell,

Orlando sehend, wickelt sie sich los,

Und schlüpft im Zickzack gleitend in den Busch.

In dessen Schatten hatte eine Löwin,

Die Euter ausgesogen, sich gelagert,

Den Kopf am Boden, katzenartig lauernd,

Bis sich der Schläfer rührte; denn es ist

Die königliche Weise dieses Tiers,

Auf nichts zu fallen, was als tot erscheint.

Dies sehend, naht' Orlando sich dem Mann

Und fand, sein Bruder war's, sein ältster Bruder.

CELIA.

Oh, von dem Bruder hört' ich wohl ihn sprechen,

Und als den Unnatürlichsten, der lebte,

Stellt' er ihn vor.

OLIVER.

Und konnt' es auch mit Recht,

Denn gar wohl weiß ich, er war unnatürlich.

ROSALINDE.

Orlando aber? – Ließ er ihn zum Raub

Der hungrigen und ausgesognen Löwin?

OLIVER.

Zweimal wandt' er den Rücken und gedacht' es.

Doch Milde, edler als die Rache stets,

Und die Natur, der Lockung überlegen,

Vermochten ihn, die Löwin zu bekämpfen,

Die baldigst vor ihm fiel. Bei diesem Strauß

Erwacht' ich von dem unglücksel'gen Schlummer.

CELIA.

Seid Ihr sein Bruder?

ROSALINDE.

Hat er Euch gerettet?

CELIA.

Ihr wart es, der so oft ihn töten wollte?

OLIVER.

Ich war's, doch bin ich's nicht: ich scheue nicht

Zu sagen, wer ich war; da die Bekehrung

So süß mich dünkt, seit ich ein andrer bin.[708]

ROSALINDE.

Allein das blut'ge Tuch?

OLIVER.

Im Augenblick,

Da zwischen uns, vom ersten bis zum letzten,

Nun Tränen die Berichte mild gebadet,

Wie ich gelangt an jenen wüsten Platz:

Geleitet' er mich zu dem edlen Herzog.

Der frische Kleidung mir und Speise gab,

Der Liebe meines Bruders mich empfehlend,

Der mich sogleich in seine Höhle führte.

Er zog sich aus, da hatt' ihm hier am Arm

Die Löwin etwas Fleisch hinweggerissen,

Das unterdes geblutet; er fiel in Ohmacht

Und rief nach Rosalinden, wie er fiel.

Ich bracht' ihn zu sich selbst, verband die Wunde,

Und da er bald darauf sich stärker fühlte,

Hat er mich hergesandt, fremd wie ich bin,

Dies zu berichten, daß Ihr ihm den Bruch

Des Wortes mögt verzeihn; und dann dies Tuch,

Mit seinem Blut gefärbt, dem jungen Schäfer

Zu bringen, den er seine Rosalinde

Im Scherz zu nennen pflegt.

CELIA.

Was gibt es, Ganymed? mein Ganymed?


Rosalinde fällt in Ohnmacht.


OLIVER. Wenn manche Blut sehn, fallen sie in Ohnmacht.

CELIA. Ach, dies bedeutet mehr! – Mein Ganymed!

OLIVER. Seht, er kommt wieder zu sich.

ROSALINDE. Ich wollt', ich wär' zu Haus.

CELIA.

Wir führen dich dahin. –

Ich bitt' Euch, wollt Ihr unterm Arm ihn fassen?

OLIVER. Faßt nur Mut, junger Mensch! – Ihr ein Mann? Euch fehlt ein männlich Herz.

ROSALINDE. Das tut es, ich gesteh's. Ach, Herr, jemand könnte denken, das hieße sich recht verstellen. Ich bitte Euch, sagt Eurem Bruder, wie gut ich mich verstellt habe. – Ah! ha!

OLIVER. Das war keine Verstellung: Eure Farbe legt ein zu starkes Zeugnis ab, daß es eine ernstliche Gemütsbewegung war.[709]

ROSALINDE. Verstellung, ich versichre Euch.

OLIVER. Gut also, faßt ein Herz und stellt Euch wie ein Mann!

ROSALINDE. Das tu' ich, aber von Rechts wegen hätte ich ein Weib werden sollen.

CELIA. Kommt, Ihr seht immer blässer und blässer; ich bitte Euch, nach Hause! – Lieber Herr, geht mit uns!

OLIVER.

Gern, denn ich muß ja meinem Bruder melden,

Wie weit Ihr ihn entschuldigt, Rosalinde.

ROSALINDE. Ich will etwas ausdenken; aber ich bitte Euch, rühmt ihm meine Verstellung. – Wollt Ihr gehn?


Alle ab.[710]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 705-711.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie es euch gefällt
Universal-Bibliothek, Nr. 469: Wie es euch gefällt - Komödie
As You Like It/ Wie es euch gefällt [Zweisprachig]
Wie es euch gefällt
Ein Sommernachtstraum /Der Kaufmann von Venedig /Viel Lärm um nichts /Wie es euch gefällt /Die lustigen Weiber von Windsor
Wie es euch gefällt

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon