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[811] Wenn Erz, Stein, Erde, weite Meeresflut

Der trüben Sterblichkeit Gewalten weicht;

Wie mäße Schönheit sich mit solcher Wut,

Sie, deren Kraft der Blume Kräften gleicht?

O, wie soll Sommers honigsüßer Flor

Verwüsterischer Jahre Sturm bestehn,

Wenn weder Urgebirg noch Eisentor

So mächtig sind, dem Wandel zu entgehn?

Furchtbare Vorstellung! Wo soll vorm Sarge

Der Zeit ihr best Juwel gesichert sein?

Wer hält am schnellen Fuß zurück die arge?

Wer steuert ihren Schönheitsräuberein?

O, niemand: wird dies Wunder nicht gewährt,

Daß dunkle Tinte hell den Freund verklärt.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 811.
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