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[825] Wer, wo er Macht hat, keine Streiche führt,

Was ihm zumeist gegeben scheint, nicht tut;

Selbst felsenhart bleibt, wo er andre rührt,

Starr, unverführbar kühl, von trägem Blut:

Er ist fürwahr der Liebling höchster Geister,

Behütet vor Verschwendung die Natur;

Bleibt seines Angesichtes Herr und Meister,

Die andern seines Pomps Lakaien nur,

Die Sommerblum' erfreut die Sommerwelt,

Und müßt' auch einsam sie für sich verblühn:

Doch wenn die Blum' ein gift'ger Tau befällt,

Wär' ihr das ärmste Unkraut vorzuziehn.

In Sauerstes kehrt Süßestes sein Wesen.

Unkraut riecht lieblicher als Lilien, die verwesen.[825]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 825-826.
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