Fünfte Szene

[701] Alexandria. Ein Zimmer im Palast.


Es treten auf Cleopatra, Charmion, Iras und Mardian.


CLEOPATRA.

Charmion. ...

CHARMION.

Eu'r Hoheit?

CLEOPATRA.

Ach!

Gib mir Mandragora zu trinken![701]

CHARMION.

Wie?

CLEOPATRA.

Daß ich die große Kluft der Zeit durchschlafe,

Wo mein Antonius fort ist!

CHARMION.

Allzuviel

Denkt Ihr an ihn.

CLEOPATRA.

Du sprichst Verrat.

CHARMION.

O nein!

CLEOPATRA.

Du Hämling, Mardian!

MARDIAN.

Was gefällt Eu'r Hoheit?

CLEOPATRA.

Nicht jetzt dich singen hören: Nichts gefällt mir

An einem Hämling. Es ist gut für dich,

Daß ohne Saft und Mark dein freier Sinn

Nicht fliehn mag aus Ägypten. – Kannst du lieben?

MARDIAN.

Ja, gnäd'ge Fürstin.

CLEOPATRA.

In der Tat?

MARDIAN.

Nicht in der Tat: Ihr wißt, ich kann nichts tun,

Was in der Tat nicht ehrsam wird getan.

Doch fühl' ich heft'ge Trieb', und denke mir,

Was Venus tat mit Mars.

CLEOPATRA.

O liebe Charmion,

Wo denkst du dir ihn jetzt? Sag, steht er? sitzt er?

Wie, geht er wohl? Sitzt er auf seinem Pferd?

O glücklich Pferd, Antonius' Last zu tragen!

Sei stolz, mein Pferd! Weißt du wohl, wen du trägst?

Den halben Atlas dieser Erde, Schild

Und Schutz der Welt! – Jetzt spricht er, oder murmelt:

»Wo weilst du, meine Schlang' am alten Nil?«

Denn also nennt er mich. Jetzt weid' ich mich

Am allzusüßen Gift! Gedenke mein,

Ob auch von Phöbus' Liebesstichen braun

Und durch die Zeit gerunzelt! Als du hier

Ans Ufer tratst, breitstirn'ger Cäsar, war ich

Wert eines Königs: Held Pompejus stand

Und ließ sein Aug' auf meinen Brauen wurzeln;

Da warf sein Blick den Anker ein, er starb

Im Anschaun seines Lebens.


Alexas kommt.


ALEXAS.

Herrin Ägyptens, Heil![702]

CLEOPATRA.

Wie ganz unähnlich bist du Marc Anton!

Doch sahst du ihn: die köstliche Tinktur

Vergoldet dich mit ihrem Glanz.

Wie geht es meinem edlen Marc Anton?

ALEXAS.

Sein Letztes, Fürstin, war:

Er küßte – vieler Doppelküsse letzter –

Die Perle hier: sein Wort lebt mir im Herzen.

CLEOPATRA.

Von dort muß es mein Ohr sich pflücken.

ALEXAS.

»Freund«,

So sagt' er mir, »sprich du:

Der treue Römer schickt der großen Königin

Dies Kleinod einer Muschel: ihr zu Füßen,

Dies Nichts zu bessern, streu' ich Königreiche

Vor ihren üpp'gen Thron: der ganze Ost,

Sprich, soll sie Kön'gin nennen«: – nickt mir zu,

Und steigt gelassen auf sein hohes Streitroß,

Des helles Wiehern, was ich gern erwidert,

Zu tier'schem Schweigen brachte.

CLEOPATRA.

War er munter oder ernst?

ALEXAS.

Der Jahrszeit gleich, die auf der Mitte schwebt

Von heiß und kalt: er war nicht ernst noch munter.

CLEOPATRA.

O wohl geteilte Stimmung! O bemerk' ihn, Charmion!

Bemerk' ihn, Charmion, welch ein Mann! O merk' ihn!

Er war nicht ernst, denn die wollt' er beglänzen,

Die heiter sind durch ihn: er war nicht munter:

Dies schien zu sagen, sein Erinnern weile

Mit seiner Lust hier: sondern zwischen beiden.

O himmlische Vermischung! Ernst und munter,

Das Äußerste von beiden steht dir so,

Wie keinem Manne sonst. – Trafst du die Boten?

ALEXAS.

Ja, Fürstin, zwanzig auf demselben Wege;

Warum so dicht?

CLEOPATRA.

Wer an dem Tag geboren,

Wo ich vergaß an Marc Anton zu schreiben,

Der sterb' als Bettler! – Papier und Tinte, Charmion! –

Willkommen, mein Alexas! – Sag mir, Charmion,

Liebt' ich je Cäsarn so?[703]

CHARMION.

Du edler Cäsar!

CLEOPATRA.

Erstick', wenn du den Ausruf wiederholst!

Sprich, edler Marc Anton!

CHARMION.

Der tapfre Cäsar! –

CLEOPATRA.

Bei Isis, deine Zähne werden bluten,

Wenn du mit Cäsarn irgend noch vergleichst

Den ersten aller Männer!

CHARMION.

Mit Vergunst,

Ich sing' in Euerm Tone.

CLEOPATRA.

Meine Milchzeit,

Als mein Verstand noch grün! – Du kaltes Herz,

Das noch wie damals fühlt! Doch eile nun;

Ein stündlich wiederholtes Liebeswort

Grüß' ihn von mir, entvölkr' ich auch Ägypten!


Alle ab.[704]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 701-705.
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