Erste Szene

[126] Ein öffentlicher Platz.


Mercutio, Benvolio, Page und Bediente.


BENVOLIO.

Ich bitt' dich, Freund, laß uns nach Hause gehn!

Der Tag ist heiß, die Capulets sind draußen,

Und treffen wir, so gibt es sicher Zank:

Denn bei der Hitze tobt das tolle Blut.

MERCUTIO. Du bist mir so ein Zeisig, der, sobald er die Schwelle eines Wirtshauses betritt, mit dem Degen auf den Tisch schlägt und ausruft: »Gebe Gott, daß ich dich nicht nötig habe!«, und wenn ihm das zweite Glas im Kopfe spukt, so zieht er gegen den Kellner, wo er es freilich nicht nötig hätte.

BENVOLIO. Bin ich so ein Zeisig?

MERCUTIO. Ja, ja! Du bist in deinem Zorn ein so hitziger Bursch, als einer in ganz Italien; ebenso ungestüm in deinem Zorn, und ebenso zornig in deinem Ungestüm.

BENVOLIO. Nun, was weiter?

MERCUTIO. Ei, wenn es euer zwei gäbe, so hätten wir bald gar keinen, sie brächten sich untereinander um. Du! Wahrhaftig, du zankst mit einem, weil er ein Haar mehr oder weniger im Barte hat wie du. Du zankst mit einem, der Nüsse knackt, aus keinem andern Grunde, als weil du nußbraune Augen hast. Dein Kopf ist so voll Zänkereien, wie ein Ei voll Dotter, und doch ist dir der Kopf für dein Zanken schon dotterweich geschlagen. Du hast mit einem angebunden, der auf der Straße hustete, weil er deinen Hund aufgeweckt, der in der Sonne schlief. Hast du nicht mit einem Schneider Händel gehabt, weil er sein neues Wams vor Ostern trug? Mit[126] einem andern, weil er neue Schuhe mit einem alten Bande zuschnürte? Und doch willst du mich über Zänkereien hofmeistern!

BENVOLIO. Ja, wenn ich so leicht zankte wie du, so würde niemand eine Leibrente auf meinen Kopf nur für anderthalb Stunden kaufen wollen.

MERCUTIO. Auf deinen Kopf? O Tropf!


Tybalt und andre kommen.


BENVOLIO. Bei meinem Kopf! Da kommen die Capulets.

MERCUTIO. Bei meiner Sohle! Mich kümmert's nicht.

TYBALT zu seinen Leuten. Schließt euch mir an, ich will mit ihnen reden. – Guten Tag, ihr Herren! Ein Wort mit euer einem!

MERCUTIO. Nur ein Wort mit einem von uns? Gebt noch was zu: laßt es ein Wort und einen Schlag sein!

TYBALT. Dazu werdet Ihr mich bereit genug finden, wenn Ihr mir Anlaß gebt.

MERCUTIO. Könntet Ihr ihn nicht nehmen, ohne daß wir ihn gäben?

TYBALT. Mercutio, du harmonierst mit Romeo.

MERCUTIO. Harmonierst? Was? Machst du uns zu Musikanten? Wenn du uns zu Musikanten machen willst, so sollst du auch nichts als Dissonanzen zu hören kriegen. Hier ist mein Fiedelbogen; wart'! der soll euch tanzen lehren. Alle Wetter! Über das Harmonieren!

BENVOLIO.

Wir reden hier auf öffentlichem Markt:

Entweder sucht euch einen stillern Ort,

Wo nicht, besprecht euch kühl von eurem Zwist!

Sonst geht! Hier gafft ein jedes Aug' auf uns.

MERCUTIO.

Zum Gaffen hat das Volk die Augen: laßt sie!

Ich weich' und wank' um keines willen, ich!


Romeo tritt auf.


TYBALT.

Herr, zieht in Frieden! Hier kömmt mein Gesell.

MERCUTIO.

Ich will gehängt sein, Herr! wenn Ihr sein Meister seid.

Doch stellt Euch nur, er wird sich zu Euch halten;

In dem Sinn mögen Eure Gnaden wohl

Gesell ihn nennen.[127]

TYBALT.

Hör', Romeo! Der Haß, den ich dir schwur,

Gönnt diesen Gruß dir nur: du bist ein Schurke!

ROMEO.

Tybalt, die Ursach', die ich habe, dich

Zu lieben, mildert sehr die Wut, die sonst

Auf diesen Gruß sich ziemt': Ich bin kein Schurke,

Drum lebe wohl! Ich seh', du kennst mich nicht.

(

TYBALT.

Nein, Knabe, dies entschuldigt nicht den Hohn,

Den du mir angetan; kehr' um und zieh'!

ROMEO.

Ich schwöre dir, nie tat ich Hohn dir an.

Ich liebe mehr dich, als du denken kannst,

Bis du die Ursach' meiner Liebe weißt.

Drum, guter Capulet, dein Name, den

Ich wert wie meinen halte, – sei zufrieden!)

MERCUTIO.

O zahme, schimpfliche, verhaßte Demut!

Die Kunst des Raufers trägt den Sieg davon. –

Er zieht.


Tybalt, du Ratzenfänger! willst du dran?

TYBALT. Was willst du denn von mir?

MERCUTIO. Wollt Ihr bald Euren Degen bei den Ohren aus der Scheide ziehn? Macht zu, sonst habt Ihr meinen um die Ohren, eh' er heraus ist.

TYBALT.

Ich steh' zu Dienst.


Er zieht.


ROMEO.

Lieber Mercutio, steck' den Degen ein!

MERCUTIO.

Kommt, Herr! Laßt Eure Finten sehn!


Sie fechten.


ROMEO.

Zieh', Benvolio!

Schlag' zwischen ihre Degen! Schämt euch doch,

Und haltet ein mit Wüten! Tybalt! Mercutio!

Der Prinz verbot ausdrücklich solchen Aufruhr

In Veronas Gassen. Halt, Tybalt! Freund Mercutio!


Tybalt entfernt sich mit seinen Anhängern.


MERCUTIO.

Ich bin verwundet. –

Zum Teufel beider Sippschaft! Ich bin hin.

Und ist er fort? und hat nichts abgekriegt?

BENVOLIO.

Bist du verwundet? wie?

MERCUTIO.

Ja, ja! geritzt! geritzt! – Wetter, 's ist genug. –

Wo ist mein Bursch? – Geh, Schurk'! hol' einen Wundarzt!


Der Page geht ab.[128]


ROMEO. Sei guten Muts, Freund! Die Wunde kann nicht beträchtlich sein.

MERCUTIO. Nein, nicht so tief wie ein Brunnen, noch so weit wie eine Kirchtüre; aber es reicht eben hin: Fragt morgen nach mir, und Ihr werdet einen stillen Mann an mir finden. Für diese Welt, glaubt's nur, ist mir der Spaß versalzen. – Hol' der Henker eure beiden Häuser! – Was? von einem Hunde, einer Maus, einer Ratze, einer Katze zu Tode gekratzt zu werden! Von so einem Prahler, einem Schuft, der nach dem Rechenbuche ficht! – Warum Teufel! kamt Ihr zwischen uns? Unter Eurem Arm wurde ich verwundet.

ROMEO.

Ich dacht' es gut zu machen.

MERCUTIO.

O hilf mir in ein Haus hinein, Benvolio,

Sonst sink' ich hin. – Zum Teufel eure Häuser!

Sie haben Würmerspeis' aus mir gemacht.

Ich hab' es tüchtig weg: verdammte Sippschaft!


Mercutio und Benvolio ab.


ROMEO.

Um meinetwillen wurde dieser Ritter,

Dem Prinzen nah verwandt, mein eigner Freund,

Verwundet auf den Tod; mein Ruf befleckt

Durch Tybalts Lästerungen, Tybalts, der

Seit einer Stunde mir verschwägert war.

O süße Julia! deine Schönheit hat

So weibisch mich gemacht; sie hat den Stahl

Der Tapferkeit in meiner Brust erweicht.


Benvolio kommt zurück.


BENVOLIO.

O Romeo! der wackre Freund ist tot.

Sein edler Geist schwang in die Wolken sich,

Der allzufrüh der Erde Staub verschmäht.

ROMEO.

Nichts kann den Unstern dieses Tages wenden;

Er hebt das Weh an, andre müssen's enden.


Tybalt kommt zurück.


BENVOLIO.

Da kommt der grimm'ge Tybalt wieder her.

ROMEO.

Am Leben! siegreich! und mein Freund erschlagen!

Nun fliehgen Himmel, schonungsreiche Milde!

Entflammte Wut, sei meine Führerin![129]

Nun, Tybalt, nimm den Schurken wieder, den du

Mir eben gabst! Der Geist Mercutios

Schwebt nah noch über unsern Häuptern hin

Und harrt, daß deiner sich ihm zugeselle.

Du oder ich! sonst folgen wir ihm beide.

TYBALT.

Elendes Kind! hier hieltest du's mit ihm,

Und sollst mit ihm von hinnen!

ROMEO.

Dies entscheide!


Sie fechten, Tybalt fällt.


BENVOLIO.

Flieh', Romeo! Die Bürger sind in Wehr

Und Tybalt tot. Steh so versteinert nicht!

Flieh', flieh'! Der Prinz verdammt zum Tode dich,

Wenn sie dich greifen. Fort! Hinweg mit dir!

ROMEO.

Weh mir, ich Narr des Glücks!

BENVOLIO.

Was weilst du noch?


Romeo ab.


Bürger u.s.w. treten auf.

EIN BÜRGER.

Wo lief er hin, der den Mercutio tot schlug?

Der Mörder Tybalt? – Hat ihn wer gesehn?

BENVOLIO.

Da liegt der Tybalt.

EIN BÜRGER.

Herr, gleich müßt Ihr mit mir gehn.

Gehorcht! Ich mahn' Euch von des Fürsten wegen.


Der Prinz mit Gefolge, Montague, Capulet, ihre Gemahlinnen und andre.


PRINZ.

Wer durfte freventlich hier Streit erregen?

BENVOLIO.

O edler Fürst, ich kann verkünden, recht

Nach seinem Hergang, dies unselige Gefecht.

Der deinen wackern Freund Mercutio

Erschlagen, liegt hier tot, entleibt vom Romeo.

GRÄFIN CAPULET.

Mein Vetter! Tybalt! Meines Bruders Kind! –

O Fürst! O mein Gemahl! O seht, noch rinnt

Das teure Blut! – Mein Fürst, bei Fhr' und Huld,

Im Blut der Montagues tilg' ihre Schuld! –

O Vetter, Vetter!

PRINZ.

Benvolio, sprich! Wer hat den Streit erregt? –[130]

BENVOLIO.

Der tot hier liegt, vom Romeo erlegt.

Viel gute Worte gab ihm Romeo,

Hieß ihn bedenken, wie gering der Anlaß,

Wie sehr zu fürchten Euer höchster Zorn.

Dies alles, vorgebracht mit sanftem Ton,

Gelaßnem Blick, bescheidner Stellung, konnte

Nicht Tybalts ungezähmte Wut entwaffnen.

Dem Friedentaub, berennt mit scharfem Stahl

Er die entschloßne Brust Mercutios;

Der kehrt gleich rasch ihm Spitze gegen Spitze

Und wehrt mit Kämpfertrotz mit einer Hand

Den kalten Tod ab, schickt ihn mit der andern

Dem Gegner wieder, des Behendigkeit

Zurück ihn schleudert. Romeo ruft laut:

»Halt Freunde! aus einander!« Und geschwinder

Als seine Zunge schlägt sein rüst'ger Arm,

Dazwischen stürzend, beider Mordstahl nieder.

Recht unter diesem Arm traf des Mercutio Leben

Ein falscher Stoß vom Tybalt. Der entfloh,

Kam aber gleich zum Romeo zurück,

Der eben erst der Rache Raum gegeben.

Nun fallen sie mit Blitzeseil' sich an;

Denn eh' ich ziehen konnt', um sie zu trennen,

War der beherzte Tybalt umgebracht.

Er fiel, und Romeo, bestürzt, entwich.

Ich rede wahr, sonst führt zum Tode mich!

GRÄFIN CAPULET.

Er ist verwandt mit Montagues Geschlecht.

Aus Freundschaft spricht er falsch, verletzt das Recht.

Die Fehd' erhoben sie zu ganzen Horden,

Und alle konnten nur ein Leben morden.

Ich fleh' um Recht; Fürst, weise mich nicht ab:

Gib Romeon, was er dem Tybalt gab!

PRINZ.

Er hat Mercutio, ihn Romeo erschlagen:

Wer soll die Schuld des teuren Blutes tragen?

GRÄFIN MONTAGUE.

Fürst, nicht mein Sohn, der Freund Mercutios;

Was dem Gesetz doch heimfiel, nahm er bloß,

Das Leben Tybalts.[131]

PRINZ.

Weil er das verbrochen,

Sei über ihn sofort der Bann gesprochen.

Mich selber trifft der Ausbruch eurer Wut,

Um euren Zwiespalt fließt mein eignes Blut;

Allein ich will dafür so streng euch büßen,

Daß mein Verlust euch ewig soll verdrießen.

Taub bin ich jeglicher Beschönigung;

Kein Flehn, kein Weinen kauft Begnadigung;

Drum spart sie: Romeo flieh' schnell von hinnen!

Greift man ihn, soll er nicht dem Tod entrinnen.

Tragt diese Leiche weg! Vernehmt mein Wort:

Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord!

Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 126-132.
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