Erste Szene

[982] Vor Timons Höhle.


Es treten auf der Dichter und Maler, Timon im Hintergrund.


MALER. So wie ich mir den Ort habe beschreiben lassen, kann sein Aufenthalt nicht weit mehr sein.

DICHTER. Was soll man von ihm denken? Bestätigt sich das Gerücht, daß er so viel Gold hat?

MALER. Gewiß! Alcibiades sagt es; Phrynia und Timandra bekamen Gold von ihm; er bereicherte auch arme, umherstreifende Soldaten mit einer großen Spende, und man sagt, daß er seinem Haushofmeister eine beträchtliche Summe gab.

DICHTER. Also war sein Bankrut nur eine Prüfung seiner Freunde.

MALER. Weiter nichts: Ihr werdet ihn wieder als einen Palmbaum in Athen erblicken, blühend bis zum Gipfel. Darum ist es nicht übel getan, wenn wir ihm jetzt, in seinem vermeinten Unglück, unsre Liebe bezeigen: es erscheint in uns als Rechtlichkeit; und wahrscheinlich erhält unser Vorsatz, was er erstrebt, wenn das Gerücht, das seinen Reichtum verkündet, wahr ist.

DICHTER. Was habt Ihr ihm denn jetzt zu bringen?

MALER. Für den Augenblick nichts als meinen Besuch; ich will ihm aber ein herrliches Stück versprechen.

DICHTER. Ich muß ihn auf dieselbe Art bedienen, ihm von einem Entwurf erzählen, der sich auf ihn bezieht.

MALER. Vortrefflich! Versprechen ist die Sitte der Zeit, es öffnet die Augen der Erwartung: Vollziehen erscheint um so dummer, wenn es eintritt; und, die einfältigen, geringen[982] Leute ausgenommen, ist die Betätigung des Wortes völlig aus der Mode. Versprechen ist sehr hofmännisch und guter Ton. Vollziehen ist eine Art von Testament, das von gefährlicher Krankheit des Verstandes bei dem zeugt, der es macht.

TIMON. Trefflicher Künstler! du kannst einen Menschen nicht so schlecht malen, als du selbst bist.

DICHTER. Ich denke darüber nach, was ich vorgeben will, das ich für ihn angefangen habe; es muß eine Darstellung von im selbst sein: eine Satire gegen die Weichlichkeit des Wohlstandes; eine Enthüllung der unbegrenzten Schmeichelei, die der Jugend und dem Überfluß folgt.

TIMON. Mußt du denn durchaus als Bösewicht in deinem eignen Werk darstehn? Willst du deine Laster in andern Menschen geißeln? Tu's, ich habe Gold für dich.

DICHTER.

Kommt, suchen wir ihn auf,

Daß unser Zögern sich nicht schwer vergeht,

Winkt uns Gewinn und kämen wir zu spät.

MALER.

Sehr wahr;

Am heitern Tag erspähe, was dir fehlt,

Eh' es die Nacht im dunkeln Schoß verhehlt.

So kommt!

TIMON.

Entgegen tret' ich euch. Oh, welch ein Gott

Ist Gold, das man ihm dient im schlechtern Tempel,

Als wo das Schwein haust! Du bist's, der das Schiff

Auftakelt und den Schaum des Meers durchpflügt;

Machst, daß dem Knecht mit Ehrfurcht wird gehuldigt.

Anbetung dir! Den Heiligen zum Lohne,

Die dir allein gedient, die Pest als Krone!

Schnell tret' ich auf sie zu.


Er kommt vor.


DICHTER.

Heil, würd'ger Timon!

MALER.

Einst unser edler Herr!

TIMON.

Erleb' ich's doch noch,

Zwei Redliche zu sehn?

DICHTER.

Wir hörten, die wir oft dein Wohltun fühlten,

Du seist vereinsamt, abgewandt die Freunde,[983]

Die, undankbaren Sinns – oh, Scheusal' ihr!

Nicht scharf genug sind alle Himmelsgeißeln –

Wie! dich! des sternengleiche Großmut Leben

Und Nahrung ihrem ganzen Wesen gab!

Es macht mich toll, und nicht kann ich bekleiden

Die riesengroße Masse dieses Undanks

Mit noch so großen Worten.

TIMON.

So geh' er nackt, man sieht ihn klarer dann.

Ihr Redlichen zeigt so, durch euer Wesen,

Die andern um so schlechter.

MALER.

Er und ich,

Wir wandelten im Regen deiner Gaben,

Der uns erquickend traf.

TIMON.

Ja, ihr seid ehrlich.

MALER.

Wir kommen her, dir unsern Dienst zu bieten.

TIMON.

Ihr Redlichen! ei, wie vergelt' ich's euch?

Nun, könnt ihr Wurzeln essen, Wasser trinken?

BEIDE.

Was wir nur können, tun wir, dir zu dienen.

TIMON.

Ihr Redlichen vernahmt, ich habe Gold;

Gewiß, ihr habt: sprecht wahr, denn ihr seid redlich!

MALER.

Man sagt es, edler Lord; doch deshalb nicht

Kam ich zu Euch, so wenig als mein Freund.

TIMON.

Ehrliche Männer ihr: – du malst Gemälde,

Der Best' in ganz Athen bist du, fürwahr!

Malst nach dem Leben.

MALER.

Lieber Herr, so so!

TIMON.

Ganz wie ich sagte, ist's.


Zum Dichter.


Und deine Dichtung!

Ha, fließt dein Vers nicht hin so glatt und zart,

Daß deine Kunst natürlich wieder wird! –

Bei alle dem, ihr wohlgesinnten Freunde,

Ich sag' es frei, habt ihr 'nen kleinen Fehler:

Freilich, nicht groß ist er an euch, noch wünsch' ich,

Daß ihn zu bessern ihr euch müht.

BEIDE.

Geruht,

Ihn uns zu nennen!

TIMON.

Doch ihr nehmt es übel.

BEIDE.

Wir nehmen's dankbar an.

TIMON.

Wollt ihr das wirklich?[984]

BEIDE.

Nicht zweifelt, edler Lord!

TIMON.

Ein jeder von euch beiden traut 'nem Schurken,

Der tüchtig euch betrügt.

BEIDE.

Herr, tun wir das?

TIMON.

Ja, und ihr hört ihn lügen, seht ihn heucheln,

Ihr kennt sein grobes Flickwerk, liebt ihn, nährt ihn,

Tragt ihn im Herzen: aber seid gewiß,

Er ist ein ausgemachter Schuft.

MALER.

Ich kenne keinen solchen, Herr.

DICHTER.

Noch ich.

TIMON.

Seht ihr, ich lieb' euch, ich will Gold euch geben,

Verbannt die Schufte nur aus eurer Nähe;

Hängt, stecht sie nieder, werft sie ins Kloak,

Vernichtet sie, wie's geht, und kommt zu mir,

Ich geb' euch Gold genug!

BEIDE.

Nennt sie, verehrter Herr, macht sie uns kenntlich.

TIMON.

Du hier, du dort hin, doch sind zwei beisammen: –

Steht jeder auch für sich, einsam, allein,

Ist doch ein Erzschuft stets mit ihm verbunden,

Wenn, wo du stehst, zwei Schufte nicht sein sollen,

Komm ihm nicht nah! – Wenn du nicht hausen willst,

Als wo ein Schuft nur ist, so meide ihn!

Fort! hier ist Gold; ihr kamt nach Gold, ihr Sklaven:

Für eure Arbeit nehmt Bezahlung: fort!

Du bist ein Alchimist, mach' daraus Gold!

Fort, Lumpenhunde!


Er schlägt sie und geht ab, indem er sie vor sich hertreibt.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 982-985.
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