Zweite Szene

[936] Vorhalle in Timons Hause.


Flavius tritt auf mit vielen Rechnungen in der Hand.


FLAVIUS.

Nachdenken, Einhalt nicht! Wirtschaft ganz sinnlos,

Daß er sie weder so kann weiter führen,

Noch die Verschwendung hemmt: sich nicht drum kümmert

Wo alles hin geht, noch ein Mittel sucht,

Woraus es fortzuführen; nie verband

Sich so viel Milde solchem Unverstand!

Was wird noch draus? Er hört nicht, bis er fühlt;

Ich schenk' ihm reinen Wein, kommt er vom Jagen.

Pfui, pfui!


Caphis tritt auf und die Diener des Isidor und Varro.


CAPHIS.

Ei, Varro, guten Abend:

Kommst du nach Geld?

VARROS DIENER.

Ist's nicht auch dein Geschäft?

CAPHIS.

So ist's; – und deins auch, Isidor?

ISIDORS DIENER.

Jawohl.

CAPHIS.

Wär'n wir nur alle schon bezahlt![936]

VARROS DIENER.

Hm, schwerlich.

CAPHIS.

Hier kommt der gnäd'ge Herr.


Es treten auf Timon, Alcibiades und Lords.


TIMON.

Gleich nach der Mahlzeit gehn wir wieder dran,

Mein Alcibiades. – Zu mir? Was gibt's?

CAPHIS.

Hier, diese Schuldverschreibung, edler Herr –

TIMON.

Schuld? Woher bist du?

CAPHIS.

Gnäd'ger, aus Athen.

TIMON.

Zu meinem Hausverwalter geh!

CAPHIS.

Verzeiht mir, gnäd'ger Herr, seit einem Monat

Verweist er mich von einem Tag zum andern;

Mein Herr, jetzt selbst in Not und hart bedrängt,

Muß mahnen an die Schuld, und fleht in Demut,

Daß Ihr, mit Euerm edlen Tun im Einklang,

Sein Recht ihm tut.

TIMON.

Mein guter Freund, ich bitte,

Komm wieder zu mir morgen früh!

CAPHIS.

Nein, edler Herr.

TIMON.

Vergiß dich nicht, mein Guter.

VARROS DIENER.

Des Varro Diener, Lord –

ISIDORS DIENER.

Von Isidor;

In Demut bittet er um schnelle Zahlung.

CAPHIS.

Wär' Euch bekannt, wie sehr mein Herr es braucht –

VARROS DIENER.

Schon vor sechs Wochen fällig, Herr, und drüber.

ISIDORS DIENER.

Mylord, Eu'r Hausverwalter weist mich ab,

Ausdrücklich schickt man mich zu Euer Gnaden.

TIMON.

Nur kleine Ruh'! –

Ich bitt' euch, edle Lords, geht mir voran;


Alcibiades und die Lords gehn ab.

Ich folg' euch augenblicks. –


Zu Flavius.


Komm her, und sprich:

Wie, um die Welt, daß man mich so umdrängt

Mit Mahngeschrei um Schuld, verfallnen Scheinen

Und rückgehaltnen Summen, zahlbar längst.

Zum Nachteil meiner Ehre?

FLAVIUS.

Hört, ihr Herrn,[937]

Die Zeit ist für Geschäfte nicht geeignet:

Stillt euren Ungestüm bis nach der Mahlzeit,

Auf daß ich Seiner Gnaden sagen möge,

Weshalb ihr nicht bezahlt seid.

TIMON.

Tut das, Freunde!

Und laß sie gut bewirten!


Timon geht ab.


FLAVIUS.

Bitte, kommt!


Flavius geht ab.


Apemantus und ein Narr treten auf.


CAPHIS. Wartet, hier kommt Apemantus mit dem Narren: wir wollen noch etwas Spaß mit ihnen treiben.

VARROS DIENER. An den Galgen mit ihm, er wird uns schlecht begegnen.

ISIDORS DIENER. Die Pest über den Hund!

VARROS DIENER. Was machst du, Narr?

APEMANTUS. Führst du Gespräch mit deinem Schatten?

VARROS DIENER. Ich spreche nicht mit dir.

APEMANTUS. Nein, mit dir selbst. – Zum Narren. Komm fort!

ISIDORS DIENER zu Varros Diener. Da hängt dir der Narr schon am Halse.

APEMANTUS. Nein, du stehst allein und hängst nicht an ihm.

CAPHIS. Wo ist der Narr nun?

APEMANTUS. Der die letzte Frage tat. – Arme Schufte und Diener von Wucherern! Kuppler zwischen Gold und Mangel!

ALLE DIENER. Was sind wir, Apemantus?

APEMANTUS. Esel.

ALLE DIENER. Warum?

APEMANTUS. Weil ihr mich fragt, was ihr seid, und euch selbst nicht kennt. – Sprich mit ihnen, Narr!

NARR. Wie geht's euch, ihr Herren?

ALLE DIENER. Großen Dank, Narr! Wie geht es deiner Gebieterin?

NARR. Sie setzt eben Wasser bei, um solche Küchlein, wie ihr seid, zu brühen. Ich wollte, wir sähen euch in Korinth!

APEMANTUS. Gut! ich danke dir.


Ein Page tritt auf.


NARR. Seht, hier kommt der Page meiner Gebieterin.[938]

PAGE zum Narr'n. Nun, wie geht's, Kapitän? Was machst du in dieser weisen Gesellschaft? – Wie geht's dir, Apemantus?

APEMANTUS. Ich wollte, ich hätte eine Rute in meinem Munde, um dir eine heilsame Antwort geben zu können.

PAGE. Ich bitte dich, Apemantus, lies mir die Aufschrift dieser Briefe, ich weiß nicht, an wen jeder ist.

APEMANTUS. Kannst du nicht lesen?

PAGE. Nein.

APEMANTUS. So wird also an dem Tage, wo du gehängt wirst, keine große Gelehrsamkeit sterben. Dieser ist an Lord Timon; dieser an Alcibiades. Geh! du wurdest als Bastard geboren und wirst als Kuppler sterben.

PAGE. Und du wurdest als Hund geworfen, und wirst verhungern, den Tod des Hundes. Antworte nicht, denn ich bin schon fort. Der Page geht ab.

APEMANTUS. Ebenso entfliehst du der Gnade. Narr, ich will mit dir zu Lord Timon gehen.

NARR. Und willst du mich dort lassen?

APEMANTUS. Wenn Timon zu Hause bleibt. – Ihr drei bedient drei Wucherer.

ALLE DIENER. Ja; bedienten sie lieber uns!

APEMANTUS. Das wollte ich auch, – und so gut, wie jeder Henker den Dieb bedient.

NARR. Seid ihr die Diener von drei Wucherern?

ALLE DIENER. Ja, Narr.

NARR. Ich glaube, es gibt keinen Wucherer, der nicht einen Narren zum Diener hat. Meine Gebieterin ist es auch, und ich bin ihr Narr. Wenn die Leute von euren Herren borgen wollen, so kommen sie traurig und gehen fröhlich wieder weg; aber in das Haus meiner Gebieterin kommen sie fröhlich und gehn traurig wieder weg: die Ursach'?

VARROS DIENER. Ich könnte sie nennen.

APEMANTUS. So tu' es denn, damit wir dich als Verbuhlten und Schelm kennen lernen, wofür du nichts desto weniger gelten sollst.

VARROS DIENER. Was ist ein Verbuhlter, Narr?

NARR. Ein Narr in guten Kleidern, und dir etwas ähnlich. Ein Geist ist es, denn zuweilen erscheint er als ein vornehmer[939] Herr, zuweilen als ein Rechtsgelehrter, zuweilen als ein Philosoph, zuweilen gleicht er auch einem Ritter: und, kurz und gut, in allen Gestalten, worin die Menschen von achtzig bis zu dreizehn Jahren umher wandeln, geht dieser Geist um.

VARROS DIENER. Du bist nicht ganz ein Narr.

NARR. Und du nicht ganz ein Weiser; so viel Narrheit als ich besitze, so viel Witz mangelt dir.

APEMANTUS. Dieser Antwort hätte sich Apemantus nicht schämen dürfen.

ALLE DIENER. Platz! Platz! hier kommt Lord Timon.


Timon und Flavius treten auf.


APEMANTUS. Komm mit mir, Narr, komm!

NARR. Ich folge nicht immer dem Liebhaber, dem älteste Bruder und der Frau: manchmal dem Philosophen.


Apemantus und der Narr gehn ab.


FLAVIUS. Ich bitt' euch, geht; gleich will ich mit euch reden


Die Diener gehn alle ab.


TIMON.

Du machst mich staunen. Warum früher nicht

Hast du mir mein Vermögen klar berechnet,

Daß ich vermocht, den Haushalt einzurichten,

Wie's mir vergönnt?

FLAVIUS.

Ihr wolltet nimmer hören,

So oft ich's vorschlug Eurer Muße.

TIMON.

Was!

Einmal ergriffst du wohl den Augenblick,

Wenn üble Laune dich zurück gewiesen:

Und die Verstimmung soll nun jetzt dir helfen,

Dich zu entschuld'gen.

FLAVIUS.

Oh, mein teurer Herr,

Oft hab' ich meine Rechnung Euch gebracht,

Sie hingelegt; Ihr aber schobt sie weg

Und spracht: sie lieg' in meiner Redlichkeit.

Befahlt Ihr, für ein klein Geschenk so viel

Zu geben, schüttelt' ich den Kopf und weinte;

Ja, bat Euch, gegen das Gebot der Sitte,

Mehr Eure Hand zu schließen; ich ertrug[940]

Nicht seltnen und nicht milden Vorwurf, wagt' ich,

An Eures Reichtums Ebbe Euch zu mahnen

Und Eurer Schulden Flut. Geliebter Herr,

Jetzt hört Ihr mich, – zu spät! – Doch muß ich's sagen,

Daß Euer ganz Vermögen halb zu wenig,

Die gegenwärt'gen Schulden nur zu tilgen.

TIMON.

Laß all mein Land verkaufen!

FLAVIUS.

Alles ist

Verpfändet; viel verfallen und dahin;

Und was noch bleibt, kann kaum den Riß verstopfen

Des jetz'gen Drangs: Termin folgt auf Termin:

Was nun vertritt die Zwischenzeit? und endlich,

Wie steht's um unsre Rechnung?

TIMON.

Bis Lacedämon reichten meine Güter.

FLAVIUS.

Oh, teurer Herr, die Welt ist nur ein Wort:

Und wär' sie Eu'r, wie schnell wär' sie dahin,

Wenn sie ein Laut verschenkte!

TIMON.

Du hast recht.

FLAVIUS.

Mißtraut Ihr meinem Haushalt, meiner Ehre,

So laßt mich vor den strengsten Richtern stehn,

Zur Rechenschaft! Die Götter sind mir Zeugen:

Wenn Vorsaal, Küch' und Keller voll gedrängt

Schwelgender Diener, die Gewölbe weinten

Vom Weinguß Trunkner, und wenn jeder Saal

Von Kerzen flammt' und von Musik erbrauste:

Saß ich beim steten Fluß des Brunnens einsam

Und ließ mein Auge strömen.

TIMON.

Bitte, nichts mehr!

FLAVIUS.

Ihr Götter, rief ich, dieser Herr so mild!

Wie manchen reichen Bissen Sklaven heut

Verschluckten! Wer ist Timon nicht ergeben?

Welch Haupt, Herz, Schwert, Gold, Gut gehört nicht ihm,

Dem großen, edeln, königlichen Timon?

Ach! schwand der Reichtum, der dies Lob gekauft,

So schwand der Atem, der dies Lob gebildet:

Was Schmaus gewann, verlor das Fasten wieder;

Ein Wintertag, und tot sind diese Fliegen.[941]

TIMON.

Still, pred'ge mir nicht mehr: –

Doch kennt mein Herz kein lasterhaft Verschwenden;

Unweis' und nicht unedel gab ich weg.

Was weinst du doch? Denkst du, ganz gottlos, denn,

Ich werde freundlos sein? Beruh'ge dich:

Wollt' ich anzapfen allen Wein der Liebe,

Durch Borg der Herzen Inhalt mir erprüfen,

Könnt' ich ihr aller Gut so frei gebrauchen,

Wie ich dich reden heiße!

FLAVIUS.

Es mög' Erfüllung Euren Glauben segnen!

TIMON.

Und in gewisser Art freut mich mein Mangel,

Daß ich ihn Segen achte; denn durch ihn

Prüf ich die Freund': dann siehst du deinen Irrtum,

Wie überreich ich in den Freunden bin.

He, drinnen da! – Flaminius! Servilius!


Flaminius, Servilius und andre Diener treten auf.


DIE DIENER.

Mylord, Mylord –

TIMON.

Verschicken will ich euch, – dich zu Lord Lucius,

Zu Lord Lucullus dich; noch heut jagt' ich

Mit ihm; – dich zu Sempronius;

Empfehlt mich ihrer Lieb', und ich sei stolz,

Daß die Gelegenheit sich fand, um Darlehn

An Geld sie anzusprechen; mein Ersuchen:

Funfzig Talent.

FLAMINIUS.

Wie Ihr befehlt, Mylord.

FLAVIUS beiseit.

Lord Lucius und Lucullus? Hm! –

TIMON zu einem andern Diener.

Und du, geh zu den Senatoren flugs,

Die schon, weil ich dem Staate Dienst getan,

Gewähren mögen, daß sie gleich mir tausend

Talente senden.

FLAVIUS.

Ich war schon so kühn

(Denn dies geschieht ja oft so, wie ich weiß),

Dein Petschaft dort und Namen zu gebrauchen;

Doch schütteln sie den Kopf, und ich kam wieder,

Nicht reicher, als ich ging.

TIMON.

Ha! wirklich? kann es sein?[942]

FLAVIUS.

Einstimmig sprechen alle – keiner anders –

Daß ihre Kassen leer, kein Geld im Schatz,

Nicht könnten, wie sie wollten, – täte leid, –

Höchst würdig Ihr, – doch wünschten sie, – nicht wüßten –

Es konnte manches besser – edler Sinn

Kann wanken – wär' nur alles gut – doch schade!

Und so, zu andern wicht'gen Dingen schreitend,

Mit scheelem Blick und diesen Redebrocken

Halb abgezogner Mütz', kalt trocknem Nicken,

Vereisten sie das Wort mir auf der Zunge.

TIMON.

Gebt's ihnen heim, ihr Götter! –

Ich bitte, Mann, blick' froh; den Altgesellen

Ist nun der Undank einmal einverleibt;

Ihr Blut ist Gallert, kalt, und fließt nur dünn,

Es ist nicht frisch und warm, sie fühlen nichts;

Und die Natur, der Erd' entgegen wachsend,

Ist, wie das Reiseziel, schon dumpf und schwer. –


Zu einem Diener.


Geh zu Ventidius.

Zu Flavius.


Bitte, sei nicht traurig:

Treu bist du, redlich; frei und offen sag' ich's,

Kein Tadel trifft dich. –


Zum Diener.


Kürzlich erst begrub

Ventidius seinen Vater; er ward Erbe

Von großen Schätzen: als er arm noch war,

Gefangen, und kein Freund ihn anerkannte,

Löst' ich ihn aus mit fünf Talenten. Grüß' ihn:

Vermuten mög' er, dringliches Bedürfnis

Berühre seinen Freund, Erinnerung weckend

An jene fünf Talent': –


Zu Flavius.


Den Burschen gib sie,

Die jetzt drauf drängen. Fort mit dem Gedanken,

Bei Freunden könne Timons Glück erkranken!

FLAVIUS.

Wohl will mein Zweifel mit der Großmut rechten:

Die Milde hält für milde auch die Schlechten.


Gehn ab.[943]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 936-944.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Timon von Athen
Timon von Athen (Theatralische Werke in 21 Einzelbänden, Bd.7)
König Lear /Macbeth /Timon von Athen
Timon of Athens / Timon von Athen: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
Timon von Athen

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon