Dritte Szene

[77] Ein Gezelt mit Tischen und andern Sachen.


Lucius und Marcus treten auf; Goten führen den Aaron gefangen ins Lager.


LUCIUS.

Wohl, Oheim Marcus, da mein Vater heischt,

Daß ich gen Rom mich wende, folg' ich dir.

GOTE.

Wir stehn dir bei, es gehe, wie es will.

LUCIUS.

Oheim, verwahrt mir den grausamen Mohren,

Den wüt'gen Tiger, den verfluchten Teufel;

Laßt ihm nicht Nahrung reichen, fesselt ihn,

Bis er der Kais'rin gegenüber steht,

Als Zeugnis ihres höchst verworfnen Wandels.

Dann sorgt, daß stark sei unser Hinterhalt;

Der Kaiser, fürcht' ich, ist uns schlimm gesinnt.

AARON.

Ein Teufel flüstre Flüche mir ins Ohr,

Und helfe meiner Zung', hervor zu sprühn

Die gift'ge Wut, die mir im Herzen schwillt! –

LUCIUS.

Hinweg, verruchter Hund! Ungläub'ger Sklav'!

Aaron wird von den Goten weggeführt. Man hört Trompeten blasen.


Ihr Herrn, helft unserm Ohm, ihn zu geleiten;

Trompeten melden, daß der Kaiser naht.


Saturninus, Tamora, Tribunen und Gefolge treten auf.


SATURNINUS.

Was? hat der Himmel mehr als eine Sonne?

LUCIUS.

Was frommt es dir, daß du dich Sonne nennst?

MARCUS.

Roms Kaiser und du, Neffe, brecht nun ab:

In Ruhe muß der Streit verhandelt sein.

Das Mahl ist fertig, welches Titus sorglich

Geordnet hat zu ehrenwertem Zweck,

Für Frieden, Lieb' und Bündnis, Rom zum Heil! –

So tretet denn heran und nehmet Platz!

SATURNINUS.

So sei es, Marcus!


Hoboen. Eine Tafel wird gebracht; Titus, als Koch gekleidet, stellt die Speisen auf den Tisch; Lavinia folgt ihm verschleiert.


TITUS.

Willkommen, Herr! Willkommen, Kaiserin! –

Willkommen, tapfre Goten; willkommen, Lucius![77]

Willkommen all'! Ist gleich das Mahl gering,

Doch wird's den Hunger stillen. Wollt ihr essen?

SATURNINUS.

Weshalb in dieser Tracht, Andronicus?

TITUS.

Um recht gewiß zu sein, daß nichts mißlang,

Eu'r Hoheit und die Kais'rin zu bewirten.

TAMORA.

Wir sind Euch hoch verpflichtet, wackrer Titus.

TITUS.

Kennt' Eure Majestät mein Herz, Ihr wärt's. –

Mein gnäd'ger Kaiser, löst die Frage mir:

War's recht getan vom heftigen Virginius,

Sein Kind zu töten mit der eignen Hand,

Weil sie entführt, entehrt, geschändet ward? –

SATURNINUS.

Das war's, Andronicus.

TITUS.

Eu'r Grund, erhabner Kaiser?

SATURNINUS

Weil das Mädchen

Nicht überleben durfte solche Schmach

Und seinen Gram erneun durch ihre Nähe.

TITUS.

Ein Grund, nachdrücklich, streng und voll Gehalt,

Ein Vorgang, Mahnung und gewicht'ge Bürgschaft

Für mich Unsel'gen, gleiche Tat zu tun: –

Stirb, stirb, mein Kind, und deine Schmach mit dir,

Und mit der Schmach auch deines Vaters Gram!


Er ersticht Lavinien.


SATURNINUS.

Was tatst du, unnatürlicher Barbar?

TITUS.

Ich schlug, um die mein Aug' erblindet war.

Ich bin so leidvoll als Virginius einst,

Und habe tausendmal mehr Grund als er

Zu solchem Mord; – und jetzt ist es vollbracht.

SATURNINUS.

Ward sie entehrt? Wer hat die Tat verübt?

TITUS.

Wie, eßt Ihr nicht? Nehmt, Hoheit, wenn's beliebt!

TAMORA.

Wie kam's, daß Vaterhand sie morden muß?

TITUS.

Sie mord'ten Chiron und Demetrius,

Die sie entehrt, die Zung' ihr ausgeschnitten,

Durch die sie all dies bittre Leid erlitten.

SATURNINUS.

Vor uns erscheinen sollen sie sogleich!

TITUS.

Nun wohl! hier sind sie schon, zerhackt zu Teig,

Von dem die Mutter lüstern hat genossen,[78]

Verzehrend, was dem eignen Blut entsprossen.

's ist wahr! 's ist wahr! Bezeug's mein scharfer Dolch!


Er ersticht Tamora.


SATURNINUS.

Wahnwitz'ger, stirb! Nimm das für deinen Hohn!


Ersticht den Titus.


LUCIUS.

Des Vaters blutig Ende rächt der Sohn:

Hier Lohn um Lohn, Mord für des Mörders Hohn! –


Ersticht den Saturninus.


MARCUS oben auf der Bühne.

Leidvolle Männer, Volk und Söhne Roms,

Getrennt durch Aufruhr, wie ein Vögelschwarm,

Zerstreut durch Sturm und starken Wetterschlag, –

O hört, wie ihr von neuem binden mögt

In eine Garbe dies zerstreute Korn,

In einen Körper die zerstückten Glieder,

Daß Rom sich nicht am eignen Gift vernichte!

Das Reich, dem mächt'ge Szepter sich geneigt,

Ehrlosen, ausgestoßnen Sündern gleich

Nicht Mord, verzweifelnd, an sich selbst vollziehe!

Wenn meine Furchen, meines Alters Schnee

(Ehrwürd'ge Bürgen reifer Urteilskraft)

Euch nicht bewegen, meinem Wort zu traun,

Sprich du, Roms teurer Freund (gleich unserm Ahn,

Als er in Feierworten Kunde gab

Der liebekranken, leidgebeugten Dido

Vom Schicksal jener wilden Flammennacht,

Als Priams Troja sank durch Griechentrug) –:

Sag, welch ein Sinon unser Ohr berückt,

Wer uns das böse Werkzeug hergeführt,

Das unserm Troja, unserm hehren Rom

Die Bürgerwunde schlägt? –

Mein Herz ist nicht gestählt wie Fels und Erz,

Noch find' ich Worte für so bittern Gram,

Daß nicht in Tränen meine Red' erstickt,

Und mir die Stimme bricht, wenn sie zumeist

Euch rühren sollt' und euer Ohr gewinnen,

Und eure Hülf' und liebreich Mitgefühl. –[79]

Hier ist ein Feldherr, der's erzählen mag:

Eu'r Herz wird weinen, hört ihr seine Rede.

LUCIUS.

Dann, meine edlen Hörer, sei euch kund:

Der schnöde Chiron und Demetrius,

Sie waren's, die Bassianus mordeten,

Sie waren's, die Lavinien frech entehrt;

Für ihre Tat fiel unsrer Brüder Haupt,

Ward Titus' Gram verhöhnt, ihm frech entwandt

Die gute Hand, die oft den Streit für Rom

Ausfocht und ihre Feinde sandt' ins Grab;

Zuletzt ward ich im Zorn verbannt, man schloß

Die Tore mir und stieß mich weinend aus,

Mitleid zu suchen bei den Feinden Roms;

Mit meinen Tränen löscht' ich ihren Haß,

In ihren offnen Armen fand ich Trost.

Und ich, den Rom verstieß, das sei euch kund,

Mit meinem Blut hab' ich sein Wohl erkauft,

Von seinem Haupt gewandt der Feinde Schwert,

Auffangend ihren Stahl in meine Brust.

Ihr alle wißt, ich bin kein Prahler; nein,

Bezeugt's, ihr Narben (ob ihr stumm auch seid),

Daß mein Bericht getreu und ohne Falsch.

Doch halt! Mich dünkt, ich schweifte schon vom Ziel,

Anpreisend mein geringes Tun; verzeiht,

Man rühmt sich selber, ist kein Freund uns nah.

MARCUS.

Nun ist's an mir, zu reden. Seht dies Kind:

Dies war's, das Tamora zur Welt gebracht;

Sein Vater jener gottvergeßne Mohr,

Hauptstifter und Begründer unsers Wehs.

Der Schurk' ist lebend noch in Titus' Haus

(Obgleich verdammt), zum Zeugnis, dies sei wahr.

Nun sprecht, ob Titus Grund zur Rache hatte

Für solche Kränkung, unaussprechlich, herb,

Weit mehr, als irgend wohl ein Mensch ertrüge!

Jetzt, da ihr alles wißt, was sagt ihr, Römer?

Ist hier zu viel geschehn, dann zeigt, worin, –

Und von dem Platz, auf dem wir vor euch stehn,

Woll'n wir, des Titus' armer Überrest,[80]

Häuptlings hinab uns werfen, Hand in Hand,

Am scharfen Stein zerschmetternd unser Hirn,

Und so vereint austilgen unsern Stamm.

Sprecht, Römer, sprecht: sagt ihr, es soll geschehn,

So sollt ihr Hand in Hand uns stürzen sehn.

ÄMILIUS.

Komm, komm, du ehrenwerter Römergreis,

Führ' unsern Kaiser freundlich bei der Hand,

Lucius, den Kaiser: denn mit Zuversicht

Erwart' ich, was des Volkes Stimme spricht.

MARCUS.

Lucius, Glück auf, Roms kaiserlicher Herr!

Geh in des alten Titus leidvoll Haus,

Und den ungläub'gen Mohren schlepp' hieher;

Ihm werd' ein grauser, blut'ger Tod erkannt,

Als Strafe für sein höchst gottloses Tun.

RÖMER verschiedene Stimmen.

Lucius, Glück auf, huldreicher Herrscher Roms! –

LUCIUS.

Dank, edle Römer! Meiner Herrschaft Streben

Sei, Rom nach so viel Leiden Trost zu geben.

Doch, werte Freund', ein Weilchen gönnt mir noch,

Denn schwere Pflicht erheischt Natur von mir.

Steht alle fern! – Du, Oheim, komm herab;

Laß uns dem Toten fromme Tränen weihn; –

Den kalten Lippen diesen heißen Kuß,


küßt den Titus


Dem blut'gen Antlitz diesen Tau des Grams,

Des treuen Sohnes letzte Huldigung! –

MARCUS.

Ja, Trän' um Trän', und Liebeskuß für Kuß

Beut hier dein Bruder Marcus deinem Mund!

Und wär' die Summe, die ich zahlen soll,

Unendlich, namenlos, doch zahlt' ich sie.

LUCIUS.

Komm, Knabe, komm! Komm her, wir lehren dich

In Tau zerschmelzen. Ach, er liebte dich!

Wie oft ließ er dich tanzen auf dem Knie,

Sang dich in Schlaf, sein liebend Herz dein Pfühl!

Wie viel Geschichten hat er dir erzählt,

Für deine Kindheit sinnreich ausgewählt!

Des sei gedenk, und als ein liebreich Kind

Geuß ein'ge Tropfen auch aus zartem Auge:

Mitleidig gab Natur uns dies Gebot,[81]

Der Freund soll weinen um des Freundes Not!

Sag ihm Lebwohl, geleit' ihn an sein Grab,

Die Pflicht erfüll' und scheide dann von ihm!

KNABE.

Großvater! ach, Großvater! Möcht' ich doch

Für dich gestorben sein, und du noch lebend!

O Gott, vor Weinen kann ich ihm nichts sagen,

Ich stick' in Tränen, öffn' ich meinen Mund. –


Aaron wird von einigen Römern hereingeführt.


RÖMER.

Trau'rge Androniker, hemmt euern Gram:

Sprecht diesem gift'gen Bösewicht sein Recht,

Der jener schwarzen Frevel Stifter war!

LUCIUS.

Begrabt ihn bis zur Brust, daß er verhungre;

Da steh' er dann und wüt' und schrei' um Brot:

Wer irgend Beistand ihm und Mitleid schenkt,

Der stirbt für solche Tat; dies unser Spruch.

Geht ihr, sorgt, daß er eingegraben werde!

AARON.

Wut, warum schweigst du? Zorn, was bist du stumm?

Ich bin kein feiges Kind, noch mit Gebet

Bereu' ich die Verbrechen, die ich tat;

Zehntausend, schlimmer noch, als ich vollbracht,

Möcht' ich begehn, hätt' ich die Freiheit nur;

Und tat ich je ein einzig gutes Werk,

Von ganzem Herzen wünsch' ich's ungeschehn.

LUCIUS.

Tragt ein'ge jetzt den Kaiser mir hinweg,

Und senkt ihn ein in seines Vaters Gruft!

Mein Vater und Lavinia soll'n demnächst

In unserm Monument bestattet ruhn.

Doch jener grimmen Wölfin Tamora

Gönnt keinen Grabbrauch, keinen Trauerflor,

Kein frommes Läuten, keinen Leichenzug:

Den Vögeln werft sie hin, dem Raubgetier!

Ihr Lebenslauf war viehisch, ohne Mitleid,

Und eben deshalb find' auch sie kein Mitleid!

Vollzieht den Spruch an dem verdammten Mohren,

Dem frechen Stifter unsrer schweren Trübsal!

Dann ordnen wir mit Weisheit unsern Staat:

Gleich schlimmen Ausgang hemme Kraft und Rat!


Alle gehn ab.[82]

Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Titus Andronicus
TheComplete Arkangel Shakespeare: Titus Andronicus by Shakespeare, William ( Author ) ON Jan-01-1900, Audio cassette
Titus Andronicus [Zweisprachig]
Titus Andronicus: Zweisprachige Ausgabe
Titus Andronicus / Julius Caesar

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon