Zweite Scene.

[44] Wald mit Felsblöcken und Höhlen. – Asia und Panthea treten auf. Zwei junge Faune sitzen horchend auf einem Felsblock.


I. HALBCHOR VON GEISTERN.

Der Pfad, auf dem die holden Zwei

Durch Cedern, Fichten, Eiben zogen,

Den Bäume jeder Art umwogen,

Ihm ist verhängt des Himmels Bogen

Und nichts durchbricht, was es auch sei,

Nicht Sonne, Mond, noch Wind, noch Regen,

Die Zweige, die sich dort verschränkt,

Ein grün Gewölbe, d'rüberlegen.

Nur daß ein Wölkchen Thaues sprüht

Den Hauch entlang, der unten schleicht

Durch Stämme, die das Alter bleicht

Und Perlen an die Blüthen hängt,

Am grünen Lorbeer blaß erblüht –

Und daß ihr Haupt, vom Thau getränkt,

Die zarte Anemone senkt.

Zuweilen auch ein Sternchen klein,

Das klimmt und wandert durch die Nacht,

Fand wohl den Spalt, durch den allein

Ins Dunkel fällt die Strahlenpracht,

Eh' es die Sphären weitertreiben,

Die schnellen, die nicht stehen bleiben,

Versprüht es Tropfen Lichts umher

Durch's Dickicht jener Pinien,

Gleich feinen Regenlinien,

Die sich vereinen nimmermehr.

Und heil'ger Dämmer herrscht im Rund

Und unten liegt der moos'ge Grund.

II. HALBCHOR.

Dort sind die brünst'gen Nachtigallen

Noch wach zur hellen Mittagszeit:[44]

Die eine läßt ihr Lied erschallen,

Vor Wonne schmelzend oder Leid,

Hin durch des Eppichs grün Gerank,

Verschmachtend dann, von Liebe krank

An ihres Pärchens Sängerbrust.

Die and're lauscht im blüh'nden Strauch

Und haschet dort in trunk'ner Lust

Des letzten Tones sanften Hauch

Und läßt dann in die Luft die Schwingen

Der sanften Melodie erklingen,

Bis neuer Ton schallt aus den Zweigen

Und schweigend alle Wälder lauschen.

Und durch die Luft schwirrt Flügelrauschen,

Die flötengleichen Klänge steigen

Und fluthen auf den Horcher ein

So süß, daß Freude wird zur Pein.

I. HALBCHOR.

Die Zauberwirbel spielen dort

Von Echo's, die auf's mächt'ge Wort

Des Demogorgon ziehen fort

Mit wilder Lust, mit süßem Ahnen

Die Geister auf geheimen Bahnen,

Gleich Booten, die zu Oceanen

Auf Strömen treiben, deren Wellen

Die schmelzenden Lawinen schwellen.

Zuerst nur trifft ein holder Klang

Die Schlummernden, die Plaudernden,

Und weckt die leis' Erschaudernden

Und zieht sie an mit sanftem Zwang.

Es sagen Jene, die's erlebt:

Vom Hauch der Erde streich' heran

Ein Wind, der ihre Flügel hebt

Und der sie treibt auf ihrer Bahn,

Indeß sie wiegen sich im Wahn,

Es trag' die Kraft der eig'nen Schwingen,

Es trage sie der flinke Fuß,

Der ihrem Wunsch gehorchen muß.

Und also fluthen sie dahin,

Bis süß und doch mit mächt'gem Klingen[45]

Tonstürme durch die Lüfte dringen

Im Wirbelbraus und wie sie fliehn

Vereinen, die sie erst durchzogen,

Schnell hinter ihnen sich die Wogen,

Sie nach dem Zauberberg zu tragen,

Gleich Wolken, die die Lüfte jagen.

ERSTER FAUN.

Was denkst du wohl, wo jene Geister leben,

Die mit Musik die Wälder so durchzaubern?

Wir dringen doch in die geheimsten Höhlen,

Ins tiefste Dickicht dieser Wildniß ein

Und nimmer noch begegneten sie uns,

So oft wir sie gehört. – Wo mögen sie

Sich so verstecken stets?

ZWEITER FAUN.

's ist schwer zu sagen!

Von Solchen, die auf Geister sich verstehn,

Hört' ich: die Bläschen, die der Sonne Glut

Aus jenen bleichen Wasserblumen zieht,

Die da der See'n und Tümpel schlamm'gen Grund

Bedecken, sei'n die luftige Behausung,

D'rin Jene wohnen und durchfluthen hier

Die goldig grüne Atmosphäre, die

Zur Mittagszeit herrscht unterm Laubgewölb.

Wenn diese platzen und die dünne Luft,

Die feurig sie durch jenen Dämmer hauchten,

Emporsteigt, um gleich Meteoren durch

Die Nacht zu fliegen, reiten sie auf ihnen

Und zügeln ihren hast'gen Lauf und beugen

Den glüh'nden Federbusch und gleiten

Im Feuer wieder unter das Gewässer

Der Erde hier zurück.

ERSTER FAUN.

Ist dies ihr Leben?

Nun, And're leben unter Blüthenknospen,

In Glocken holder Wiesenblumen, oder

In zarter Veilchen falt'gem Schooße, oder[46]

In jenen Düften, die sie sterbend hauchen,

Auch wohl im Sonnenblink der Perlen Thau's?

ZWEITER FAUN.

Ein, mehr noch gäb's, darauf wir rathen könnten,

Doch blieben wir, um noch zu plaudern, würde

Es Mittag werden, und Silenus fände,

Der Querkopf, seine Ziegen ungemolken

Und brummte wohl und sträubte sich zu singen

Uns jene weisen, lieblichen Gesänge

Von Schicksal, Zufall, Gott und altem Chaos,

Von Lieb' und des gefesselten Titanen

Entsetzlichem Geschick und wie er einst

Erlöst wird sein und aus der Erde machen

Nur eine Bruderschaft: Herrliche Klänge,

Die uns're Einsamkeit in Zwielichtstunden

Verklären und die selbst die Nachtigallen

Bezaubern, daß sie lauschend stille schweigen.


Quelle:
Shelley, Percy Bysshe: Der entfesselte Prometheus. Wien 1876, S. 44-47.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der entfesselte Prometheus
Der entfesselte Prometheus. Lyrisches Drama in vier Akten [and in verse] ... Deutsch von A. Graf Wickenburg

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon