[47] Eine Felsenzinne zwischen Bergen. – Asia und Panthea.
PANTHEA.
Hieher zog uns der Zauberklang, zum Reich
Des Demogorgon: Hier die mächt'ge Pforte
Und wie den Kratern rauchender Vulkane
Entwirbelt ihr orakelhafter Dampf!
Ihn trinken Jünglinge, die einsam wandern,
Und Wahrheit, Tugend, Liebe, Genius, Freude
Benennen sie den Wein des Lebens, der
Die Tollheit zeugt und dessen Hefe bis
Zum Taumel sie berauscht. – Dann heben sie, –
Mänaden gleich, die schrei'n ihr Evoë! –
Die Stimme, die Verderben bringt der Welt!
ASIA.
Ein rechter Thron für solche Macht! – O herrlich! –
Wie glorreich bist du Erd' und wärest du
Der Schatten eines noch viel holdern Geist's,[47]
Befleckte Uebel auch sein Werk und glich'
Er seiner Schöpfung selber, – schwach, doch schön! –
Ich könnte niederfallen und verehren
So ihn wie dich! – Mein Herz ist eben jetzt
In Anbetung versunken: Wundervoll!
Sieh, Schwester, eh' der Dampf dein Auge trübt;
Dort unten wogt ein weites Nebelmeer,
Das unter'm Morgenhimmel silberglänzig
Mit blauen Wellen deckt ein indisch Thal.
Sieh, wie es rollt, von Winden leicht gekräuselt, –
Zur Insel macht's den Gipfel, d'rauf wir stehn,
Der bis zur halben Höhe rings umkränzt
Von dunkeln, blüthenreichen Wäldern ist,
Von grünen Wiesen, die im Zwielicht liegen,
Von Höhlen, d'raus sich Ströme schimmernd stürzen,
Und von Gestalten, die der Zaub'rer Wind
Aus Nebeln formt, die auf- und niederwallen.
Und oben hoch die stolzen Berge schleudern,
Mit scharfen Zacken in den Himmel bohrend,
Von eis'gen Gipfeln ab den Strahlenkranz
Des jungen Tags, wie blendend weißer Schaum,
Um Inseln der Atlantis aufgewirbelt,
Die Luft durchsprüht mit flimmernd hellen Tropfen.
Von ihrem Walle ist das Thal umgürtet
Und ein Geheul von Katarakten dröhnt
Aus ihrem wild zerklüfteten Gestein
Und schwängert rings die lauschend leisen Winde
Mit einem Ton, der weit im Rund erschallt
Und feierlich, wie hehre Stille ist. –
O horch! Es rauscht der Schnee! – Der Sonnenstrahl
Erweckte die Lawine, deren Masse,
Dreimal gesiebt vom Sturm, sich Flock' auf Flocke
Gesammelt, wie Gedanke auf Gedanke
Sich thürmt in Geistern, die dem Himmel trotzen,
Bis eine große Wahrheit, losgelöst,
Im Kreise der Nationen wiederhallt,
Die bis zur Tiefe ihrer Wurzeln dann
Erschüttert sind, wie jetzt die Berge hier.[48]
PANTHEA.
Sieh' wie zu unsern Füßen sich das Meer
Des Nebels wandelte zu rothem Schaum!
Es steigt, sowie beim Zauberlicht des Mondes
Der Ocean um Menschen, die gestrandet
Auf einer schlamm'gen Insel hilflos stehn.
ASIA.
Die Wolkenfetzen sind emporgewirbelt,
Der Wind, der sie zertheilt, verwirrt mein Haar –
Die Wogen schwellen über's Auge mir,
Es schwindelt mir das Hirn – ich seh' Gestalten
Im Nebel schwanken!
PANTHEA.
Ein Gesicht, das uns
Mit Lächeln winkt. – Ein bläulich Feuer flammt
Durch seine gold'nen Locken. – Sieh'! ein and'res
Und noch ein and'res! Horch! – sie sprechen! – still!
GESANG VON GEISTERN.
Zu der Tiefe Schacht
Hinab! hinab!
Durch des Schlafes Nacht,
Durch das Ringen und Streben
Zwischen Tod und Leben,
Durch den Flor und das Thor,
Zwischen Schein und Sein!
In tiefster Tiefe winkt ein Herrscherstab
Hinab! hinab!
Wo Klänge dem Grund entwirbeln rund
Hinab! hinab!
Wie das Reh lockt den Hund,
Wie den Blitzstrahl die Fluth,
Wie den Falter die Glut,
Tod die Verzweiflung, Liebe die Sorgen,
Wie dem Heute folgt das Morgen,
Sowie den Stein der Stahl, lockt dich dies Grab
Hinab! hinab![49]
Durch die gähnende Kluft
Hinab! hinab!
Wo kein Strahl färbt die Luft,
Wo Mond und Gestirne nicht –
Wo der Fels, wie die Firne nicht
Im Glanz erstrahlt,
Der die Erde malt,
Wo Einer nur von je Gebote gab,
Hinab! hinab!
In den Schlund ohne Wahl
Hinab! hinab!
Wie in Wolken der Strahl,
Wie die Lieb' im Erinnern,
In der Berge Innern
Der helle Demant,
Wie in Asche der Brand,
Wird dort für dich bewahrt ein Zauberstab –
Hinab! hinab!
Folg' unserm Geleite
Hinab, hinab,
Das Lichtbild zur Seite!
Gen zagende Schwäche kämpfe nicht an,
Kraft menschlicher Milde lösen vom Bann
Muß der Unsterbliche
Das ihm verderbliche
Schicksal, das lauert
An seinem Throne schlangengleich gekauert!
Hinab! hinab!
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