Dritte Scene.

[68] Kaukasus. – Prometheus. Herkules. Jone. Die Erde. Geister. Asia und Panthea im Wagen mit dem Geist der Stunde schwebend.

Herkules entfesselt den Prometheus, welcher herabsteigt.


HERKULES.

Glorreichster unter allen Geistern du!

So leistet Kraft der Weisheit und dem Muth,

Der Liebe, die das Leiden überdauert

Und dir, der Form, in der sie lebend sind,

Gleich einem Sklaven Dienst!

PROMETHEUS.

O deine Worte

Sind süßer selbst, als Freiheit, langersehnt

Und lang verzögert.

Asia! du Licht

Des Lebens, Schatten niegeseh'ner Schönheit!

Und ihr, – ihr holden Schwesternymphen dort,[68]

Die ihr an lange Jahre mir der Qual

Durch Lieb' und Sorgfalt die Erinnerung

Versüßt – uns soll in Zukunft nichts mehr trennen!

Seht! eine Grotte weiß ich, überwachsen

Von Pflanzen, die mit üppigem Gerank

Von Blum' und Blatt das Tageslicht verhängen

Und ausgelegt mit Adern von Smaragd.

In ihrer Mitte murmelnd springt ein Quell,

Von hoher Wölbung niederhangen dort

Des Berg's gefror'ne Thränen, die wie Schnee,

Wie Silber oder diamant'ne Säulen

Verbreiten rings ein trautes Dämmerlicht.

Von Außen hört ihr dort die rege Luft,

Wie flüsternd sie von Baum zu Baume streicht

Und Vögel hört ihr und der Bienen Summen.

Und rund herum sind grüne, moos'ge Sitze,

Die rauhen Wände sind ringsum bekleidet

Mit langem, weichem Gras. – Ein schlichter Wohnsitz,

Doch wird er ewig unser Eigen sein!

Wir werden sitzen dort, von Zeiten plaudern

Und ihrem Wechsel – Ebb' und Fluth der Welt, –

Dieweil wir selber doch dieselbe bleiben.

Was kann den Menschen schützen vor Verwandlung?

Und wenn ihr seufzet, seht, dann werd' ich lächeln

Und du, Jone, singst uns Melodien

Der Seemusik, bis daß ich weinen werde,

Ihr aber lächelt wieder dann hinweg

Die Thränen, die sie mir ins Auge brachte

Und die so süß doch waren zu vergießen.

Mit Blumen laßt uns und mit Knospen spielen

Und mit den Strahlen, die vom Brunnen sprüh'n

Und seltsame Gebilde formen aus

Gemeinen Dingen, wie's die Kinder thun

In ihrer Unschuld schnellverrauschten Zeit.

Mit Blicken und mit Liebesworten locken

Gedanken wir aus dem Versteck hervor

Und lieblicher sei jeder als der letzte

Aus uns'res Geistes unerschöpftem Born.

Und Lauten gleich, gerührt von jedem Wind,

Der buhlerisch durch ihre Saiten streicht,[69]

Verweben wir die heil'gen Harmonien,

Stets neu und süß noch durch Verschiedenheit,

Wo's einen Mißklang nimmer geben kann.

Und hieher kommen auf der Winde Flügeln, –

Von allen Himmelspunkten hier sich sammelnd,

Wie, blumensatt, von Enna's luft'gem Gipfel

Die Bienen heimziehn nach Himeras Inseln –

Die Echo's alle jener Menschenwelt!

Aus ihnen spricht der Liebe leise Stimme,

Fast ungehört, in ihnen flüstert sanft

Das taubenäug'ge Mitleid seine Pein,

In ihnen klingt Musik, die selbst das Echo

Des Herzens ist und Alles, Alles spricht

Aus ihnen, was an Freuden oder Leid

Berührt des Menschen Leben, der nun frei!

Und liebliche Erscheinungen, erst dunkel,

Dann strahlend, wie die Seele wenn sie leuchtend

Aus der Umarmung sich der Schönheit hebt,

Besuchen uns, unsterbliche Gestalten

Der Malerei und hoher Bilderkunst,

Verzückter Poesie und and'rer Künste,

Noch unbekannt, die einst doch werden sein.

Die Stimmen sind sie und die Schatten ja

Von Allem, was aus Menschen werden kann,

Vermittler jenes besten Gottesdienstes,

Der ew'gen Liebe, die von ihm und uns

Gegeben und zurückgegeben wird.

Vorüberzieh'nde Bilder sind's und Klänge,

Die immer schöner, anmuthvoller werden,

Je mehr der Mensch an Güte wächst und Weisheit

Und wie ein Schleier nach dem andern werden

Das Uebel schwinden und der Irrthum fallen,

So groß ist jener Grotte Zauberkraft.


Zu dem Geist der Stunde.


Dir, holder Geist, bleibt noch ein Werk zu thun!

Jone, reich' ihm die gebog'ne Muschel!

Der alte Proteus gab der Asia

Sie einst zum Brautgeschenk und eine Stimme

Haucht' er hinein, der Keiner widersteht.

Du bargst im Gras sie unter'm Felsen dort.[70]

JONE.

Du heißersehnte Stunde, mehr geliebt

Und lieblicher als deine Schwestern all,

Nimm die geheimnißvolle Muschel hier!

Sieh', wie der silbern bleichende Azur

Mit sanftem und doch glüh'ndem Licht sie streift!

Sieht es nicht aus, als schlief' Musik darin?

GEIST.

Sie scheint in Wahrheit mir die schönste Muschel

Des Oceans zu sein! – Ihr Klang muß süß

Und seltsam sein zugleich!

PROMETHEUS.

Geh denn! von Rennern,

Schnellfüßig, wie der Wirbelwind, getragen,

Zieh' ob den Städten du der Menschheit hin!

Noch einmal thu's der Sonne selbst zuvor

Im schnellen Kreislauf um die runde Welt,

Und während durch die funkensprüh'nde Luft

Dein Wagen schneidet, blas' ins Muschelhorn

Und löse seine mächtige Musik!

Es wird wie Donner sein, der mit dem Klang

Des Echo's sich vermischt. – Dann kehr' zurück

Und neben uns'rer Grotte sollst du wohnen.

Und Mutter Erde, du!

ERDE.

Ich hör' – ich fühle!

Ich fühl's, wie deine Lippen mich durchglüh'n

Und wie du mich berührst, durchrieselt mich,

Die Marmornerven hier entlang, ein Schauer

Bis in des Markes diamant'nen Kern!

's ist Leben, o 's ist Freude und in meinen

Verwelkten, alten, eis'gen Körper schießt

Die Wärme ew'ger Jugend kreisend ein!

So werden denn hinfort die schönen Kinder,

Die liebend ich auf meinen Armen trage,

Die Pflanzen all und was am Boden kriecht

Und der Insekten farbenschillernd Volk,[71]

Die Thiere all des Wassers und der Luft

Und was da lebt in menschlicher Gestalt, –

Sie, die bisher nur Pein und Krankheit sogen

Und der Verzweiflung Gift aus meiner Brust,

Sie werden d'raus nur süße Nahrung ziehn

Und süße Nahrung geben Eins dem Andern!

Sie werden künftig alle für mich sein

Wie holde, zarte Schwesterantilopen,

Von einer schönen Mutter, schneeig weiß,

Schnellfüßig wie der Wind, genährt

Am klaren Strome zwischen Lilien.

Die thau'gen Nebel meiner Nächte werden

Wie Balsam fluthen unter den Gestirnen,

Und Nachts geschloss'ne Blumen werden schlafend

In unwelkbaren Farbenschmelz getaucht.

Und Mensch und Thier in sel'gen Träumen werden

Sich Kräfte sammeln für den nächsten Tag

Mit allen seinen Freuden, und der Tod

Soll nur die letzte der Umarmungen

Von ihr sein, die zurücknimmt, was sie gab,

Wie eine Mutter wohl ihr Kind umarmt

Und sagt: Verlaß mich nimmermehr!

ASIA.

O Mutter!

Was sprichst du nur des Todes Namen aus?

Sag! Hören sie zu lieben, sich zu regen,

Zu athmen und zu sprechen auf, die sterben?

ERDE.

Was frommt' es, wollt' ich dir d'rauf Antwort geben?

Du bist unsterblich, ach und jene Sprache

Ist den verschwieg'nen Todten nur bekannt.

Tod ist der Schleier, den die Lebenden

Das Leben nennen: Sieh'! sie schlafen ein

Und er ist weggehoben. – Mittlerweile

Mild wechselnd werden milde Jahreszeiten

Mit sanften Schauern unter'm Regenbogen,

Mit würz'gen Winden, blauen Meteoren,

Die flammend schießen durch die dunkle Nacht,[72]

Mit lebensprüh'nden Pfeilen, die die Sonne

Vom immer sichern Bogen schnellt und mit

Des klaren Mondlichts thaugemischtem Rieseln

Die Wälder und Gefilde hier bekleiden

Mit ew'gem Laub, mit Blumen und mit Früchten.

Und du! – 's gibt eine Höhle, d'rin mein Geist

In Angst gequält ward, während deine Pein

Das Herz mir toll gemacht. Und die sie in sich saugten,

Sie wurden alle toll und sie erbauten

Dort einen Tempel, kündeten Orakel

Und schürten die Nationen rings zum Krieg

Und treuelosem Treuebund, ganz so

Wie Zeus an dir gehandelt! Dieser Athem

Steigt nun empor, wie zwischen hohen Gräsern

Des zarten Veilchens Duft und hüllt ringsum

In reines Licht und purpurfarb'nen Aether,

Dicht, aber mild, die Felsen und die Wälder.

Er nährt den schnellen Wachsthum schlanker Reben,

Sowie des wilden Epheus dunkle Ranken

Und Blumen, knospend oder duftig blühend,

Die da den Wind mit Punkten farb'gen Lichts

Durchsternen, regnen sie durch ihn herab,

Und glänzend gold'ne Kugeln süßer Früchte,

An ihrem eig'nen grünen Himmel hangend.

Er dringt durch Blätter und durch gold'ne Stengel

In Blumen, deren purpurfarb'ne Kelche

Für immer voll sind mit äther'schem Thau,

Dem Trank der Geister – und er kreiset rund,

Sanft fächelnd, wie der Mittagsträume Schwingen,

Und flößet Ruh' und selige Gedanken

Gleich meinen ein, nun du der Uns're wieder,

Und jene Höhle soll dein Eigen sein. –

Ersteh'! – Erschein'!


Ein Geist erscheint in Gestalt eines geflügelten Kindes.


Dies ist mein Fackelträger!

Er ließ vor Alters einst sein Licht verlöschen,

Dieweil er starrte in ein Augenpaar,

An dem er dann von Neuem es entzündet

Mit Liebe, die wie helles Feuer ist,

Denn solches ist, was aus den deinen sprüht,[73]

Du, meine süße Tochter! – Laufe, Junge,

Und führe diese hier jenseits des Gipfels

Des Nysa-Berg's, wo die Mänaden hausen

Und jenseits dann des Indus-Strom's und seiner

Vasallenflüsse hin. – Auf Strömen schreitet,

Auf klaren See'n mit unbenetzten Füßen,

Die nicht ermüden und kein Zögern kennen,

Die grüne Schlucht hinan und quer durch's Thal,

Am Ufer jenes stillen, klaren See's,

Auf dessen ewig glattem Spiegel ruht

Das Bild des Tempels, der den Hügel krönt.

Mit Säulen, Bogen und mit Architraven,

Und palmengleichen Capitälern ragt er,

Bedeckt mit lebensvoller Bildnerei,

Gestalten, würdig des Praxiteles.

Ein Lächeln spielt um ihre Marmorzüge,

Das rings die Luft mit ew'ger Liebe füllt.

Der schöne Tempel ist verödet nun,

Doch deinen Namen trug er einst, Prometheus!

Wetteifernd trugen dort die Jünglinge

Zu deiner Ehre durch das heil'ge Dunkel

Die Lampe hin, die dein Symbol gewesen,

Ganz so wie Jene, die der Hoffnung Fackel

Ins Grab noch tragen durch des Lebens Nacht,

Wie du sie selber im Triumph getragen

Bis an die fernen Grenzen dieser Zeit.

Nun geht! Lebt wohl! An jenes Tempels Seite,

Dort ist die Höhle, die ich euch bestimmt.


Quelle:
Shelley, Percy Bysshe: Der entfesselte Prometheus. Wien 1876, S. 68-74.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der entfesselte Prometheus
Der entfesselte Prometheus. Lyrisches Drama in vier Akten [and in verse] ... Deutsch von A. Graf Wickenburg

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