Die Ankunft

[65] Der Herzog August Erasmus wartete ungeduldig auf Kasperles Ankunft. Am liebsten hätte er den kleinen Schelm in aller Morgenfrühe schon dagehabt, doch als er den Weg berechnete, sah er ein, daß er bis Mittag warten mußte. Vielleicht daß die beiden da mit der Post kamen. Und die schöne Rosemarie wartete auch, sie sah gerade wie der Herzog immer ungeduldig zum Fenster hinaus, und als die Post mit Trara-trara angerasselt kam, liefen alle Leute im Schloß zusammen und riefen: »Jetzt kommt Kasperle!«

Und Michael, dachte Rosemarie.

Aber da rumpelte und rasselte der Postwagen am Schloß vorbei, niemand stieg aus, niemand nickte und winkte, es saß nämlich nur eine alte Frau drin, die schlief ganz fest.

Trarira, trarira, da war die Post vorbei.

Der Herzog brummelte, die Gräfin Rosemarie seufzte, und die alte Liesetrine sagte so laut, daß es der Herzog gerade noch hören konnte: »Das dachte ich mir gleich, das Kasperle kommt nicht. Ein Schabernack war's, weiter nichts.«

Dies Wort ärgerte den Herzog gewaltig. Er geriet in eine bitterböse Laune, und als Rosemarie sagte, die Reisenden würden gewiß bald kommen, schrie er sie an: »Morgen wird der Graf von Singerlingen geheiratet, punktum!«[65]

»Eben kommt der Graf von Singerlingen«, meldete gerade da der Haushofmeister. »Eben ist sein Wagen in den Schloßhof gefahren.«

O du lieber Himmel, erschrak da die arme Rosemarie! Sie wurde so weiß wie die Rosen auf ihrer Mutter Grab, und ihre Kammerfrau sagte, dies sei eine Ohnmacht, und Rosemarie müsse sich ins Bett legen.

»Trarira, trarira!« blies es da draußen wieder auf der Landstraße, und Rosemarie wurde wieder so rot wie die schönsten Rosen im Garten.

»Kasperle kommt, Kasperle kommt!« schrien alle, und selbst der Herzog vergaß den Grafen von Singerlingen und eilte hinaus. Ganz verdutzt sah sich der Graf von Singerlingen um, niemand begrüßte ihn, niemand rief hurra, und dabei sollte doch morgen seine Hochzeit sein.

»Trarira, trarira!« Eine große, schwerfällige Kutsche fuhr in den Schloßhof ein, und alles schrie wieder: »Kasperle, hurra, Kasperle! Da ist es!«

Es war aber nicht Kasperle, sondern die Prinzessin Gundolfine, die eiligst gekommen war, um den Grafen von Singerlingen zu heiraten.

Die Prinzessin war gar nicht sehr sanftmütig, und als alle »Kasperle« und immer wieder »Kasperle« schrien, rief sie: »Zum Kuckuck, was ist das für ein Gerufe hier! Ich bin eine Prinzessin und im Leben kein Kasperle! Das ist eine Beleidigung! Und wo ist der Graf von Singerlingen, den ich heiraten soll?«

Der Herzog erschrak, der Graf erschrak, denn er wußte noch gar nicht, daß er die Prinzessin heiraten sollte, und Rosemarie wurde wieder so blaß wie die Rosen auf der Mutter Grab. Die Kammerfrau rief wieder: »Das ist eine[66] Ohnmacht.« Die Prinzessin aber sagte: »So was gibt's nicht; wenn ich komme, wird man nicht ohnmächtig. Wo ist der Graf?«

Da rief der Kammerdiener des Grafen von Singerlingen: »Jetzt wird mein Graf ohnmächtig, er ist schon unter die Bank gefallen.«

Der gute Graf aber war gar nicht ohnmächtig geworden, der war von selbst unter die Bank in der weiten Schloßhalle gerutscht. Er war so über die Prinzessin erschrocken, die hatte eine Stimme, als säße sie tief unten in einem Brunnenloch, und mit ihren Augen spießte sie den Grafen beinahe auf. Nein, so eine Prinzessin wollte er nicht!

Wieder klang das »Trarira, trarira!« auf der Landstraße, und wieder riefen alle: »Kasperle kommt!«

Aber es waren Hochzeitsgäste, der Schwager und die Schwester der jungen Gräfin Rosemarie. Die fragten gleich: »Wo ist denn der Graf von Singerlingen, den du heiraten sollst?«

»Den heirate ich«, schrie die Prinzessin.

»Nein, ich heirate die Gräfin Rosemarie«, rief der Graf. Und die arme Rosemarie flüsterte zitternd: »Ich heirate den Geiger Michael.« Aber das hörte niemand, denn alle redeten durcheinander.

Da entstand draußen ein wildes Geschrei: »Kasperle ist da, ja, bimmelimbim, das Kasperle ist da!«

»Na, dann ist's schon gut«, sagte der Herzog, und er machte gleich ein ganz vergnügtes Gesicht, »bringt es nur herein!«

»Bimmelim, bimmelim!« klang's wieder, und dann kam ein Kasperle herein, aber das war ein hölzernes Kasperle,[67] und ein Kasperlemann trug es auf dem Arm. Das war doch zu toll.

Der Herzog schaute den Kasperlemann so wütend an, daß der vor Schreck immerzu klingelte. Erdachte: Der Herzog hat mich doch rufen lassen! Warum ist er denn so wütend?

»Bimmelim, bimmelim, bimmelimbimlim!«

»Stille!« schrie der Herzog.

»Kasperle kommt, Kasperle kommt!« rief da ein Diener. »Auf der Landstraße kommt es angelaufen.«

Der Herzog war so neugierig auf Kasperle, daß er aufstand und durch den Garten ging bis zum Tor, das auf die Landstraße hinausführte.

Über den Garten sanken schon die Abendschatten, und der Herzog blieb an dem Springbrunnen am Eingang stehen; hier wollte er Kasperle erwarten.

Kasperle war von dem eiligen Laufen arg müde, und es sagte zu Michele, als sie sich nun beide dem Schlosse näherten: »Ich schlage Purzelbäume, da geht's schneller.«

»Tu's nicht!« riet Michele.

Aber da tat es Kasperle schon: eins, zwei, drei und noch einen, und auf einmal lagen Herzog und Kasperle im Brunnenbecken, denn Kasperle hatte den Herzog einfach umgerannt.

Vier Beine guckten in die Luft, und alle schrien und liefen herbei, zogen an den Beinen, und dann standen der Herzog und Kasperle nebeneinander, und tropf, tropf, lief an beiden das Wasser herab.

Der Herzog fing mächtig an zu schelten, Kasperle aber erhob seine Stimme noch lauter, es brach in ein richtiges, furchtbares Kasperlegeheul aus, und allen, die mit am[68] Tore standen, wurde es himmelangst. Der Herzog ließ vor Schreck das Schelten sein. »Um's Himmels willen«, rief er, »Kasperle ist ertrunken!«

»Na, wenn einer ertrunken ist, schreit er doch nicht so mörderisch!« brummte der alte Haushofmeister. Er nahm Kasperle, drehte es ein paarmal um, stellte es bums, wieder auf seine Füße, und da – schwieg Kasperle.

Es sah sich um, bemerkte die vielen erschrockenen Gesichter, sah den Herzog plitschnaß dastehen, und plötzlich kam es das Lachen an; es lachte und lachte, wie eben nur ein Kasperle lachen kann, es schüttelte sich geradezu vor Lachen. Erst lachte die Gräfin Rosemarie ganz, ganz leise mit, und dann lachte der Graf von Singerlingen, der Herzog lachte, und auf einmal lachten alle, lachten und lachten.

Nur die Prinzessin Gundolfine lachte nicht. Die machte ein Gesicht wie die Frau im Essigkrug, und die alte Liesetrine lachte auch nicht, doch das merkten die andern gar nicht. Schließlich sagte der Herzog, sein Bauch tue ihm vor Lachen weh, und weil er auch plitschnaß war, riet ihm sein Leibarzt, er möchte sich nur rasch ins Bett legen.

Ja, erwiderte der Herzog, das werde er tun, und morgen früh solle die Hochzeit sein, heute wäre es doch zu spät. Aber erst müsse Kasperle erzählen, warum es so spät gekommen sei.

»Strohkopf«, rief Kasperle.

Das nahm aber nun der Herzog gewaltig übel, er dachte, das Kasperle rede ihn mit Strohkopf an. Er schwang deshalb seinen Stock und schlug Kasperle auf den Rücken, daß es knallte. Und gleich begann Kasperle wieder zu[69] heulen, Michele aber trat vor und erzählte dem Herzog, wer der Strohkopf sei, und sagte, Kasperle fange manchmal eine Geschichte in der Mitte an, dann komme der Schluß und zuletzt der Anfang.

Während er sprach, heulte Kasperle wie eine Dachrinne, und dem Herzog wurde es ganz weich und weh ums Herz. Er sagte, man solle Kasperle ins Bett bringen und ihm ein gutes Abendessen geben, und morgen solle die Hochzeit gefeiert werden. Er nahm die Hand der Gräfin Rosemarie, nahm Micheles Hand und ging mit beiden ins Schloß hinein. Der Graf von Singerlingen aber stand da[70] wie einer, dem eine Katze sein dickes Butterbrot aufgefressen hat. Und wie er noch so starrte und staunte, trat die Prinzessin Gundolfine an ihn heran und sagte: »Morgen heiraten wir.«

Der arme Graf setzte sich vor Schreck beinahe auf die Erde, er überlegte: Ach, wie entrinne ich nur der Prinzessin! Und während alle in das Schloß gingen, blieb er allein draußen; er setzte sich in eine Rosenlaube, und wenn er nicht ein Graf und schon ziemlich alt gewesen wäre, dann hätte er sicherlich geweint, so traurig war er.

Kasperle bekam neben seinem Freund Michele ein schönes Zimmer mit einem seidenen Bett, und die schöne Rosemarie gab ihm einen Gutenachtkuß und sagte, sie werde ihm immer dankbar bleiben.

Das war alles sehr schön, auch daß Michele noch wundersamer denn je auf seiner Geige spielte, gefiel Kasperle sehr. Michele stand vor dem Schloß, und seine Geige tönte süß und zart, jeder im Schloß hörte ihn spielen, und selbst der Herzog hatte sich sein Fenster weit aufmachen lassen und lauschte dem Spiel.

Rosemarie aber saß an ihrem Fenster und weinte vor lauter Glück. Sie wand sich selbst ein grünes Kränzlein, das wollte sie morgen tragen, und sie dachte: Nun werde ich so glücklich wie die schöne Liebetraut im Waldhaus.

Dann verstummte die Geige, es wurde still im Schloß, und der Mond, der zwar schon ein etwas schiefes Gesicht hatte, kam hinter den hohen, alten Ulmen hervor und sah neugierig in alle Zimmer hinein. Er sah Michele am Fenster sitzen und von glücklichen Tagen träumen, er sah Rosemarie noch immer an ihrem grünen Kränzlein winden, und er sah – ja, was sah der Mond einmal wieder?[71] Das Kasperle sah er im Freien herumspazieren. Das hatte wieder einen Weg hinausgefunden. Ganz, ganz leise war es aus dem Zimmer geschlüpft, selbst Michele hatte den Strick nicht gehört. Und dann war es auf dem Treppengeländer hinuntergerutscht, das ging schnell und leise, und war durch ein offenes Fenster in den Garten hinausgestiegen. In dem ging es auf und ab. Es sah den Mond die Rosen streicheln, es hörte die Bäume rauschen und – da rief jemand erschrocken: »Oho!«

Kasperle war beinahe über den Grafen von Singerlingen gefallen.

»Bums!« schrie es erschrocken.

»Nanu, wer rennt denn da herum?« fragte der Graf.

»Ich bin's!«

»Ei, potz Wetter, Kasperle! Du willst wohl gar schon wieder ausreißen?«

»Nä!« Kasperle seufzte tief.

Der Graf von Singerlingen seufzte noch tiefer. Endlich sagte er: »Kasperle, was hast du angerichtet!«

Kasperle senkte seine Nase tief. »Ich kann doch nichts dafür! Warum ist der Herzog ins Wasser gefallen!« murmelte es.

»Jemine, du Dummkopf! Das meine ich doch nicht. Aber ich muß nun eine Prinzessin heiraten, weil dein Michele die schöne Gräfin Rosemarie bekommt.«

»Ist das schlimm?« fragte Kasperle verdutzt. »Ich denke, das ist fein.«

»Die Prinzessin heiraten, ist wirklich schlimm!« Der Graf von Singerlingen sah so traurig aus, daß Kasperle tiefes Mitleid mit ihm fühlte. Es hatte die Prinzessin gar nicht angesehen und fragte zutraulich: »Wie sieht se denn aus?«[72]

»Schrecklich, wie eine Hexe!« Der Graf ächzte, und Kasperle blickte ängstlich zum Schlosse hin. Vor der Prinzessin begann es sich zu fürchten. »Wo wohnt se denn?«

»Dort, das dritte Fenster, das offensteht.«

Sssim, ssim, huschten die Fledermäuse auf und ab an den beiden vorbei. Ein paar flogen ganz dicht heran, und klapp, da hatte Kasperle zwei in seinem Mützlein gefangen. »Die laß ich in ihr Zimmer«, flüsterte es dem Grafen von Singerlingen zu, »vielleicht reißt sie aus.«

»Unsinn«, wollte der Graf sagen, »bleib hier!« Aber da war das Kasperle schon weggeflitzt.

Efeu wuchs am Schloß empor, da war es für ein Kasperle nicht schwer hinaufzuklettern. Es war eins, zwei, drei oben, und ssim, huschten die Fledermäuse in das Zimmer der Prinzessin.

Die war noch auf, beschaute sich gerade den Hochzeitsstaat für den nächsten Tag, als ihr eine Fledermaus an der Nase vorbeischwirrte, eine andere fuhr ihr ins Haar, und durch die Abendstille tönte das Geschrei der Prinzessin.

Das ganze Schloß wurde davon munter, selbst der Herzog wachte auf. Er fragte verärgert, was denn geschehen sei. Als man ihm sagte, Fledermäuse seien im Zimmer der Prinzessin, brummte er, dies sei doch nicht so schlimm, darum brauche niemand so zu schreien.

»Kasperle, du bist aber ein arger Strick!« sagte unten der Graf von Singerlingen.

Kasperle blickte ihn mit seinen schwarzen Äuglein ganz unschuldig an. »Ich wollte sie ja nur wegekeln!« sagte es.

»Das gelingt dir nicht.«

»Doch, und dann – biste mir wieder gut?«[73]

Da mußte der Graf lachen. »Geh du nur in dein Bett, du unnützes Kasperle!« sagte er. »Ich bin dir schon nicht mehr böse!«

Der Graf von Singerlingen ging in das Schloß zurück. Böse war er nicht, aber traurig. Er dachte: Wenn der Herzog nur nicht auf den Gedanken gekommen wäre, mir diese Prinzessin zur Frau zu geben! Dann hätte ich meine Base Mauritia geheiratet, die ist zwar weder jung noch schön, aber sie kann die allerbesten Puddings machen. Na, und das ist auch etwas wert! Das kann die Prinzessin Gundolfine sicher nicht.

Und die Prinzessin dachte just in dem Augenblick: Besser einen Grafen als überhaupt keinen Mann! Ich will mich auch recht schön putzen morgen. »He, was ist denn das?« Sie blickte sich erschrocken um. Vor dem Fenster, das jetzt geschlossen war, war ein schwarzer Schatten aufgetaucht, aber gleich wieder verschwunden. Die Prinzessin rief ihre Kammerfrau, und beide schauten nun hinaus. Sie sahen aber nichts als lauter schwarze Schatten, sahen nicht, wie sich das Kasperle in dem uralten Efeu verbarg.

»Das war gewiß eine alte Eule«, sagte die Kammerfrau.

Dies nahm die Prinzessin ordentlich übel. »In meiner Gegenwart redet man nicht von alten Eulen«, brummte sie, und dann sah sie noch einmal zum Fenster hinaus. Es war aber nichts zu sehen, und da ging sie schließlich beruhigt in ihr Bett.

Kasperle aber hockte im nachtstillen Garten. Es hatte der Prinzessin noch ein paar Fledermäuse ins Zimmer werfen wollen, es meinte, dies sei ein gutes Mittel, jemand wegzugraulen. Dabei hatte es aber etwas gesehen, das ihm sehr, sehr sonderbar vorkam. Kasperle überlegte; im[74] Waldhause hatten sie doch alle die Haare fest auf dem Kopfe gehabt, und keines hatte sie abends neben sich gelegt. Die Prinzessin aber hatte ihre dicken, dunklen Zöpfe auf einem Tische liegen gehabt. Sonderbar! Vielleicht hatte sie sich die Haare alle abgeschnitten und kam morgen ohne Haare. Ob sie da dem Grafen von Singerlingen besser gefiel? Es war doch eine merkwürdige Sache!

Kasperle seufzte, und dann sah es sich nach seinem Fenster um. Da war es, als sähe es zwei Fenster nebeneinander, die offenstanden, und hinter einem schlief das Michele, hinter dem andern war sein Zimmer. Es kletterte also hinauf und dachte dabei: Hinab ginge es leichter; da war doch noch ein Blitzableiter da! Aber nun war es schon oben, und weil es todmüde war, gedachte es auf Kasperleart ins Bett zu steigen. Es zog sich gar nicht erst aus, sondern machte einen gewaltigen Sprung.

»Uff«, schrie jemand, »mir ist ein Stein auf den Magen gefallen! Hilfe, Hilfe!«

Ei, da hatte das Kasperle wieder etwas angerichtet! Dem dicken Oberhofmeister war es auf den Magen gesprungen. Der schrie ach und weh, stöhnte, er müsse nun sterben, und noch ehe Kasperle entwischen konnte, kamen ein paar Diener gerannt.

»Der Kasper war's«, rief der eine und hielt Kasperle am Hosenbödlein fest.

»Haue, Haue!« ächzte der Oberhofmeister, aber noch ehe Kasperle einen Schlag bekommen hatte, erhob es seine Stimme und brüllte so mörderisch, daß diesmal der Herzog nun tatsächlich vor Schreck beinahe starb.

Himmel, das ist Kasperle! dachte der Geiger Michael und kam eiligst seinem kleinen Freund zu Hilfe. Türen[75] taten sich auf, Stimmen schwirrten durcheinander, keiner wußte recht, was geschehen war, nur der Oberhofmeister wußte es, der rief, man solle den Doktor holen und Kasperle verhauen. Der eine Diener tat dies, der andere das, und es wäre Kasperle trotz seines Zetergeschreis übel ergangen, wenn Michael nicht herbeigeeilt wäre. Der entriß ripsch, rapsch, Kasperle den Händen des hauenden Dieners, und trotzdem der Oberhofmeister furchtbar schalt, lief er doch mit seinem kleinen Freunde aus dem Zimmer.

Draußen aber prallte er mit jemand zusammen, das war des Herzogs erster Kammerdiener. Der meldete, Kasperle solle sofort zum Herzog kommen, der sei sehr wütend.

Dies war nun schlimm. Kasperle ließ die Nase hängen, es klammerte sich an Michele an, und der ging wirklich ungerufen mit und trat mit an des Herzogs Bett, in dem dieser ganz matt vor Schreck lag.[76]

Wirklich, der Herzog sah sehr wütend aus. Der Geiger dachte: O mein armes, armes Kasperle, wie wird es dir jetzt ergehen!

»Was hast du gemacht?« schrie der Herzog Kasperle an.

Das senkte den Kopf, seufzte tief und sagte: es sei nur ein bißchen zum Fenster hinausgeklettert und in das verkehrte wieder hinein. Na, und da war es eben dem Oberhofmeister auf den Magen gefallen!

»Kasperle«, rief der Herzog zornig, »über solche Dummheiten sind Wir sehr ungehalten, das tut man nicht bei Hofe. Und überhaupt, wie kannst du denn so geschwind zu einem Fenster hinausklettern?«

Kasperle sperrte seinen Mund weit auf. Das war doch leicht, zu einem Fenster hinausklettern! »Das ist doch ganz einfach«, murmelte es.

»Soooo?« Dem Herzog fielen plötzlich die Fledermäuse ein, die im Zimmer seiner Base herumgeschwirrt waren. »Geht Fledermäusefangen auch so einfach?« fragte er.

»Na ob!« Kasperle grinste von einem Ohr bis zum andern, aber gleich erschrak es sehr, denn der Herzog erhob drohend seinen goldenen Degen, der immer an seinem Bette hing, und sagte streng: »Kasperle, hüte dich, sonst wirst du in einen Käfig gesperrt! Jetzt geh, und wehe dir, wenn heute noch einmal ein solches Geschrei entsteht!«

Da ließ Kasperle seine Nase hängen und ging zum Zimmer hinaus, und draußen seufzte der Geiger Michael tief. »Ach, mein Kasperle, mein armes Kasperle, wie wird's dir ergehen!« sagte er traurig.

Kasperle brummelte: »Ach, gut!« Und bei sich dachte es: Vielleicht sagt er doch einmal: »Geh zum Teufel!« Ich will's schon versuchen, daß er es sagt![77]

Quelle:
Herold Verlag, Stuttgart, 1983, S. 65-78.
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