[5] Mister Stopps kommt nach Torburg
Mister Stopps kommt nach Torburg

»Brrr!« hielt die Postkutsche vor Torburg, der dicke Postillon drehte sich um und sagte zu seinem einzigen Fahrgast: »Da sind wir, aber schön ist's nicht.«

Mister Stopps, ein schrecklich reicher Engländer, streckte den Kopf zum Fenster hinaus und schrie: »Ueiter!«

»Nee, hinein lohnt es sich nicht zu fahren.«

»Uarum?«

»Darum, weil's gebrannt hat.«

»Uas?«

»Na, die Stadt.«

»Uo?«

»Na, potz Wetter, das sieht doch ein Blinder«, brummte der Kutscher. »Halb Torburg ist doch niedergebrannt, ein schreckliches Unglück.«

»Ich uill fahren hinein.« Mister Stopps betrachtete die Brandspuren neben dem Tor. Vor zwei Tagen hatte ein Feuer das hübsche, freundliche Städtchen heimgesucht; ganze Gassen lagen in Schutt und Asche. Am Tor standen klagende und jammernde Menschen, und Mister Stopps schaute sie erstaunt an und fragte: »Uas machen sie?«

»Na, tanzen tun sie nicht.« Der Postillon schüttelte den Kopf, sein Fahrgast kam ihm schon etwas seltsam vor. Der aber lehnte sich in den Wagen zurück, schaute in ein rotes Buch und rief: »Ueiter! Von Brand steht hier nichts drin, ich will nur sehen Merkuürdiges.«

In diesem Augenblick schrien die Leute draußen laut: »Kasperle, oh, unser gutes Kasperle!«[5]

»Uas sein das?« Mister Stopps blickte noch einmal zum Wagen hinaus und sah zu seinem grenzenlosen Erstaunen ein putzlebendiges Kasperle mitten zwischen den Leuten stehen. Es heulte schrecklich, weil ihm die armen Abgebrannten so bitter leid taten.

»Na, das ist halt Kasperle.«

»Uer sein – Kahs – Kahs – Kasperle?«

»Na, Kasperle ist Kasperle. Potz Wetter, so ein saudummes Gefrage!« murrte der Postillon. »Jetzt fahr' ich den Herrn zum Bürgermeister, der mag ihm Antwort geben.«

Und mit hü und hott rumpelte die gelbe Postkutsche durch das Tor in das Städtchen hinein, und Mister Stopps rief: »Halten, ich uill sehen Kahs – Kahs –«

Aber wenn der alte Postillon Heinrich einmal fuhr, dann fuhr er, da mochten die Fahrgäste rufen soviel sie wollten. Und weil er seinen Gast für einen Sonderling hielt, fuhr er noch schneller als sonst. Rumpelpumpel, vorbei ging's an Häusern und Schutthaufen. Da stand das Bürgermeisterhaus, und Heinrich blies so lange: Trara, trara, ich bin da! bis der Bürgermeister, seine Frau und die Mägde alle angelaufen kamen. »Himmel, was ist los? Brennt's schon wieder?«

»Da drinne sitzt jemand!« Heinrich deutete mit der Peitsche auf Mister Stopps. Der steckte sein rundes, großes Gesicht zum Fenster hinaus und fragte: »Sein Sie Vater von Kahs – Kahs – Kahs?« Das verstand niemand, denn Mister Stopps hatte den ganzen Namen schon vergessen, und das war ein Glück. Der Bürgermeister von Torburg hätte es gewaltig übelgenommen, als der Vater Kasperles angesehen zu werden. Er sah aber, daß der Fremde ein reicher Mann war, und weil Heinrich noch schrie: »'s ist 'n reicher Engländer«, bekam er einen ungeheuren Respekt. Er machte[6] eine tiefe Verbeugung, noch eine, und fragte: »Was wünschen der Herr?«

»Kahs – Kahs –«, Mister Stopps würgte an dem Wort herum, und die Frau Bürgermeisterin sagte: »Ach, der Goldene Adler ist niedergebrannt, der Fremde hat Hunger, er will Käse. Komisch, diese Engländer!«

»Aussteigen soll er, meine Pferde sind müde«, brummte Heinrich. Einen richtigen Engländer hatte man noch nie in Torburg gesehen, darum verneigte sich der Bürgermeister[7] noch einmal und lud den Fremden ein, in sein Haus zu kommen. Der dachte, das ist sicher ein Wirtshaus. Er stieg also aus und rief: »Mein room!«

Daß dies auf deutsch Zimmer hieß, wußte die gute Bürgermeisterin nicht, sie hielt es für eine englische Sitte und rief: »Flink, Trine, bring Käse und Rum.« Und dann nötigte sie den Gast in das Wohnzimmer; dort warf dieser sich lang auf das Sofa, legte die Beine auf den Tisch und rief wieder: »Ich uill Kahs – Kahs!« Jemine, der hat aber Hunger, dachte die Bürgermeisterin und rief flink der Magd zu: »Eile dich doch!«

Und kaum hatte Mister Stopps wieder seinen Mund aufgetan und noch einmal »Kahs« gesagt, als Trine hereinmarschierte. Sie trug allen Käse, den es im Hause gab, herbei, und weil es so viel war, hatte die Käseglocke nicht gereicht, und sie hatte den Käse auf eine Bratenschüssel gelegt. Er duftete nicht sehr lieblich, und Mister Stopps schrie auf einmal: »Oh!« und hielt sich die Nase zu, und dann wieder: »Ooooh!«

»Das ist der Käse«, sagte die Bürgermeisterin. »Und gut ist er.«

»Oh, no, no, Kahs – Kahs –.« Mister Stopps merkte, daß man ihn mißverstanden hatte, und weil er Kasperles Namen nicht herausbekam, fing er an, Gesichter zu schneiden, mit Händen und Füßen zu zappeln, und der Bürgermeister, seine Frau und Trine starrten verdutzt den sonderbaren Gast an. »No, no, o schrecklich«, schrie er und zeigte auf Trine.

»Na, das verbitt' ich mir, schrecklich bin ich nicht«, brummte die. Der Herr ist aber, weiß der Himmel, das reine Kasperle.«

»O ja, den ich meine, nicht das da«, schrie Mister Stopps,[8] deutete auf den Käse und schnitt ein fürchterliches Gesicht dazu. Da rannte Trine mit dem Käse wütend hinaus und rief zweimal: »Alter Kasper, alter Kasper!«

»Dies ich meine! Uas sein das für ein merkuürdiges Ding?«

»Kasperle meint er!« Der Bürgermeister tippte sich an die Stirn und brummte: »Da kommt ein Kasper zum andern.«

»Erzählen! Ist es ein Menschen?«

»I bewahre, Kasperle ist Kasperle.«

Der Bürgermeister sah seinen seltsamen Gast an; der hatte die Füße wieder auf den guten Tisch aus Kirschbaumholz gelegt. So etwas! Er nahm kurz entschlossen Mister Stopps an den Beinen, und platsch, da lag der englische Herr auf der Erde.

»Oh!« sagte der verdutzt, »ich kann machen uas ich will in meine room.«

»Ach, Unsinn, Rum gibt's hier nicht, das ist kein Wirtshaus.«

»Oh!« Wieder riß der Fremde seinen Mund auf, als wollte er den dicken Bürgermeister verschlingen. »Uo bin ich?«

»In meinem Haus und ich bin der Bürgermeister.«

»Ja, und ich bin Frau Bürgermeisterin«, rief die rundliche Hausfrau. »Und mir hat noch nie ein Gast seine Füße auf den Tisch gelegt. Es ist mein bester!«

Da begriff Mister Stopps, daß er gar nicht in einem Wirtshaus war, und weil er an den Postillon dachte, der ihn hierhergeführt, rief er empört: »Schafskopf!«

»Na, das verbitte ich mir aber.« Schwipp, schwapp, griff der Herr Bürgermeister, der trotz seiner Dicke sehr behende war, zu, und beförderte Mister Stopps zur Türe hinaus.

Rissel – rassel – bums! Da lag Trine mit der Käseplatte.[9] Trine hatte ein bißchen horchen wollen, und so bekam sie unversehens von Mister Stopps einen Stoß.

Trine schrie, Mister Stopps brüllte, die Frau Bürgermeisterin weinte, der Bürgermeister schimpfte, aus der Amtsstube kamen die Schreiber. Die Kinder und die Dienstmagd kamen auch angelaufen, und zuletzt kam noch Heinrich, der Postillon, zurück. Der hielt in der Hand den Regenschirm des Engländers, den dieser in der gelben Kutsche vergessen hatte. »Jemine, was ist denn nu los?«

»Da ist er, der Schafskopf«, schrie Mister Stopps.

»Ach so, den haben Sie gemeint?«

Der Bürgermeister sah Heinrich streng an: »Warum hat Er mir den gebracht?«

»Na, er wollte doch durchaus was Merkwürdiges sehen!«

»Ich bin nichts Merkwürdiges«, schrie der Bürgermeister erbost.

»No, Kahs – Kahs –«

»Kahs – Kahs – da liegt er«, jammerte Trine.

Heinrich rieb sich das Kinn. Die ganze Geschichte kam ihm recht sonderbar vor, und dem Bürgermeister kam Mister Stopps auch sonderbar vor, als er hörte, der wolle durchaus Kasperle sehen.

»Ich uill es kaufen«, schrie Mister Stopps, »kaufen!«

»Ach, Unsinn, den gibt unser Organist, Meister Severin, nicht für eine Million her.«

»Ich uill zahlen eine Million.«

»Donnerwetter!« Beinahe hätte sich der Bürgermeister vor Erstaunen in den Käse gesetzt, aber seine liebe Frau hielt ihn noch fest, und dann holten beide vereint Mister Stopps wieder herein und führten ihn nun in ihre allerbeste Stube. Und diesmal legte Mister Stopps nicht die Beine auf den Tisch, er setzte sich sehr steif auf einen Stuhl. Der Bürgermeister[10] tat es ihm nach, die Bürgermeisterin setzte sich auf das Sofa, und dann fragte Mister Stopps: »Uer sein Kahs–pärle?«

»Ja, wer? Ein unnützes Ding!« Der Bürgermeister, der eine ungeheure Ehrfurcht vor dem fremden Manne hatte, der für ein Kasperle eine Million zahlen wollte, fing an zu erzählen.

Eine lange Geschichte war es und höchst erstaunlich! Da gab es ein putzlebendiges Kasperle, das kein Mensch war und sich doch wie ein Mensch benahm. Das achtzig Jahre und länger geschlafen hatte; das in der weiten Welt herumgelaufen war, und das der Herzog August Erasmus jetzt manchmal einlud, und das mit der schönen Gräfin Rosemarie[11] und dem berühmten Geiger Michele befreundet war und vieles andere noch. Und seit vier Jahren lebte das Kasperle in Torburg, war das närrischste Ding, war aller Liebling und Freund, war immer vergnügt und spielte mit dem feinen Marlenchen.

Während der Bürgermeister erzählte, nickte Mister Stopps mehrmals mit dem Kopf und murmelte: »Uerde es kaufen!«

»Ach, du lieber Himmel, so viel Geld haben Sie doch gar nicht, um das Kasperle zu bezahlen«, sagte da die Bürgermeisterin, die nicht an die Million glaubte.

Und wieder rief Mister Stopps: »Ich uerde geben eine Million!«

»Mark?« fragte der Bürgermeister vorsichtig, der dachte, dieser Fremde könnte ja auch Pfennige meinen.

»Pfund«, antwortete Mister Stopps.

»Pfund?« Die Bürgermeisterin dachte an die schönen, blanken Pfundgewichte aus Messing in ihrer Küche und sagte kopfschüttelnd: »Was soll man aber mit einer Million davon anfangen!«

Der Bürgermeister aber wußte wohl, daß das englische Geld Pfund heißt und ungefähr zwölf Mark wert ist. Er dachte bei sich, dafür könnte man ganz Torburg aufbauen, und aller Jammer und alle Not hätten ein Ende. Ach, du lieber Himmel, wäre das ein Glück für seine liebe Heimatstadt! Aber Kasperle! Würde das sich verkaufen lassen? Der Bürgermeister stand plötzlich mit einem Ruck auf. »Kommen Sie«, sagte er zu Mister Stopps, »wir gehen zu Kasperle.«

»Ja, und ich uerde ihn kaufen. Kahs – Kahs –!«

Und damit gingen sie, und die Bürgermeisterin dachte: Es ist doch kurios, daß man mit Pfundsteinen bezahlt. Ob die der Fremde wohl bei sich hat? Dann muß er doch ungeheuer viel Kisten dabei haben. Seltsam, höchst seltsam![12]

Quelle:
-, S. 5-13.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon