Vierunddreißigstes Kapitel.

[363] Vinicius wandelte hierauf mit Lygia im Garten auf und ab und schilderte ihr in den herzlichsten Worten alles, was er kurz zuvor den Aposteln erklärt hatte: seine innere Unruhe, die in ihm vorgegangenen Veränderungen und endlich seine unermeßliche Sehnsucht, die ihm seit seinem Weggange aus Mirjams Haus das Leben verdüstert hatte. Er gestand Lygia, daß er sie habe vergessen wollen, aber nicht können. Tag und Nacht habe er ununterbrochen an sie denken müssen. Jenes ihm von ihr geschenkte kleine Kreuz aus Buchsbaumzweigen, das er in sein Lararium gebracht habe und unwillkürlich als etwas Göttliches verehre, erinnere ihn beständig an sie. Er habe sich immer stärker nach ihr gesehnt,[363] denn die Liebe sei mächtiger als er und schon in Aulus' Hause habe sie schon seine ganze Seele ergriffen ... Anderen schnitten die Parzen den Lebensfaden ab, ihm aber Liebe, Sehnsucht und Schwermut. Seine Handlungsweise sei schlecht gewesen, aber sie sei aus seiner Liebe geflossen. Er habe sie in Aulus' Hause und auf dem Palatin geliebt, ebenso, als er sie im Ostrianum gesehen habe, wie sie Petrus' Worten lauschte, als er mit Kroton gekommen sei, sie zu entführen, als sie an seinem Krankenlager gewacht und als sie ihn verlassen habe. Dann sei Chilon gekommen, habe ihm ihre Wohnung angegeben und ihm zugleich geraten, sie gewaltsam zu entführen; er habe es aber vorgezogen, Chilon peitschen zu lassen, und sei zu den Aposteln gekommen mit der Bitte, ihn im wahren Glauben zu unterweisen und Lygia ihm zum Weibe zu geben ... Gesegnet sei der Augenblick, wo ihm dieser Gedanke gekommen sei, denn jetzt weile er an ihrer Seite, und sie werde wohl nicht mehr vor ihm fliehen, wie sie das letzte Mal seinetwegen Mirjams Haus verlassen habe.

»Ich bin nicht vor dir geflohen,« entgegnete Lygia.

»Aus welchem Grunde hast du es denn sonst getan?«

Sie hob ihre irisfarbenen Augen zu ihm auf und antwortete dann, ihr errötendes Antlitz zu Boden senkend: »Du weißt ...«

Vinicius schwieg einige Zeit im Übermaße seines Glückes; dann begann er von neuem zu sprechen; er erkenne immer mehr, daß sie ganz anderer Art sei, als die Römerinnen und nur Pomponia gleiche. Er könne ihr diesen Unterschied aber nicht klar auseinandersetzen, da er sich selbst keine Rechenschaft über sein Fühlen abzulegen vermöge, daß mit ihr eine Schönheit ganz neuer Art erschienen sei, dergleichen die Welt bisher noch nie gesehen habe, die sich nicht nur in Bildsäulen zeige, sondern eine Seele besitze. Er sagte ihr aber zugleich – und das erfüllte sie mit Freude – daß er sie eben deshalb liebe, weil sie vor ihm geflohen sei und daß sie ihm an seinem Herde heilig sein werde.

Dann ergriff er ihre Hand, konnte aber nicht weitersprechen, sondern betrachtete sie nur voller Entzücken, als sei sie[364] seines Lebens Glück, und wiederholte ihren Namen, als wolle er sich vergewissern, daß er sie gefunden habe und in ihrer Nähe weile. »O Lygia, meine Lygia!«

Endlich begann er zu fragen, was in ihrer Seele vorgegangen sei, und sie gestand ihm, daß sie ihn schon in Aulus' Hause geliebt habe; hätte er sie vom Palatin zu ihren Pflegeeltern zurückgebracht, so würde sie ihre Liebe gestanden und versucht haben, ihren Zorn gegen ihn zu besänftigen.

»Ich schwöre dir,« versetzte Vinicius, »daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, dich Aulus wegzunehmen. Petronius wird dir später einmal sagen, daß ich ihm schon damals mitteilte, ich liebte dich und wünschte dich zu heiraten. Ich sagte ihm: Sie soll meine Schwelle mit Wolfsfett salben und an meinem Herde sitzen. Er lachte mich aber aus und gab dem Caesar den Gedanken ein, dich Aulus als Geisel abfordern und mir übergeben zu lassen. Tausendmal habe ich ihm deswegen in meinem Schmerze geflucht, aber vielleicht hat es das Schicksal absichtlich so gefügt, denn sonst hätte ich die Christen nicht kennen und dich nicht verstehen gelernt.«

»Glaube mir, Marcus,« erwiderte Lygia, »Christus hat mich dir absichtlich zugeführt.«

Vinicius erhob betroffen das Haupt.

»Du hast recht,« erwiderte er lebhaft; »alles traf so wunderbar zusammen, daß ich, während ich dich suchte, die Christen fand ... Im Ostrianum hörte ich den Apostel verwundert mit an, denn solche Dinge hatte ich noch nie vernommen. Du hast gewiß dort für mich gebetet.«

»Ja,« entgegnete Lygia.

Sie kamen an die dicht mit Efeu bewachsene Laube und in die Nähe des Ortes, wo Ursus Kroton erwürgt und sich auf Vinicius gestürzt hatte.

»Hier,« sprach der junge Mann, »wäre ich ohne dein Dazwischentreten verloren gewesen.«

»Denke nicht mehr daran,« antwortete Lygia, »und trage es Ursus nicht nach.«[365]

»Könnte ich ihm zürnen, weil er dich verteidigt hat? Wäre er ein Sklave, so hätte ich ihm sofort die Freiheit geschenkt.«

»Wenn er ein Sklave wäre, so hätte Aulus ihn schon längst freigegeben.«

»Erinnerst du dich,« fragte Vinicius, »daß ich dich zu Aulus und Pomponia zurückbringen wollte? Du antwortetest mir aber, daß der Caesar möglicherweise davon hören und Rache an ihnen nehmen könnte. Sieh: jetzt wirst du sie unbedenklich besuchen können, so oft du willst.«

»Wieso, Marcus?«

»Ich sage jetzt und denke an die Zeit, wo du mein sein wirst; dann kannst du sie ohne jede Gefahr besuchen. Ja! ... Denn sollte der Caesar davon hören und mich fragen, was ich mit der Geisel, die er mir überließ, angefangen habe, so würde ich ihm sagen: Ich habe sie geheiratet, und sie besucht ihre Pflegeeltern mit meinem Willen. Er wird nicht lange in Antium bleiben, denn er will nach Achaja reisen, und selbst wenn er bleibt, so brauche ich nicht beständig in seiner Nähe zu sein. Wenn Paulus von Tarsos mich in eurer Religion unterwiesen hat, werde ich sofort die Taufe empfangen und hierher zurückkehren, um Aulus und Pomponia, die in diesen Tagen nach Rom zurückkommen werden, zu versöhnen. Dann wird es kein Hindernis mehr geben; ich werde dich heimführen und dir den Platz an meinem Herde anweisen. O carissima, carissima!«

Bei diesen Worten breitete er die Arme aus, als rufe er den Himmel zum Zeugen seiner Liebe an, und Lygia entgegnete, ihn mit leuchtenden Blicken betrachtend: »Dann werde ich sagen: Wo du Gajus bist, dort bin ich Gaja.«

»Nein, Lygia,« rief Vinicius, »ich schwöre dir, niemals noch ist eine Frau im Hause ihres Gatten so geehrt gewesen, wie du es in dem meinigen sein wirst.«

Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her, kaum imstande, ihr Glück zu fassen, zwei Gottheiten ähnlich und so schön, als habe sie der Lenz gleichzeitig mit den Blüten hervorgebracht. Endlich blieben sie an der Zypresse dicht am[366] Eingange der Wohnung stehen. Lygia lehnte sich an den Stamm, Vinicius aber begann von neuem mit zitternder Stimme zu bitten: »Schicke Ursus zu Aulus' Hause und sage ihm, er solle deine Ausstattung und das Spielzeug deiner Kindertage holen und zu mir bringen.«

Sie errötete wie eine Rose oder wie die Morgenröte und erwiderte: »Die Sitte fordert es anders ...«

»Ich weiß es. In der Regel bringt diese Gegenstände die Pronuba1 erst nach der Hochzeit, aber tu es mir zuliebe. Ich will sie mit nach meiner Villa in Antium nehmen, um mich dadurch an dich zu erinnern.«

Er faltete die Hände und wiederholte wie ein Kind seine Bitte: »Pomponia kehrt in diesen Tagen zurück; tu es, diva, tu es, carissima!«

»Pomponia mag darüber entscheiden,« entgegnete Lygia, die bei der Erwähnung der Pronuba noch tiefer errötet war.

Wiederum schwiegen sie; die Liebe schien ihnen den Atem in der Brust zu hemmen. Lygia stand mit den Schultern an die Zypresse gelehnt, in deren Schatten ihr Antlitz weiß wie eine Blüte erschien, mit gesenkten Augen und heftig wogender Brust; Vinicius' Züge hatten sich verändert; er sah bleich aus. In der Stille des Nachmittags hörten sie den Schlag ihrer Herzen, und in ihrem Entzücken gestalteten sich die Zypresse, das Myrtengebüsch und die Efeulaube zum Garten der Liebe und des Glücks.

Mirjam trat in die Tür und lud sie zum Nachmittagsmahle ein. Sie setzten sich mit den Aposteln zu Tisch; diese sahen voller Freude auf sie als auf das junge Geschlecht, das nach ihrem Tode das Saatkorn ihrer Lehre bewahren und weiter aussäen werde. Petrus brach das Brot und segnete es. Friede lag auf aller Antlitz, und etwas wie ein unermeßliches Glück schien das ganze Zimmer zu erfüllen.

»Sieh selbst,« sagte endlich Paulus zu Vinicius, »ob wir wirklich Feinde des Lebens und des Glückes sind.«[367]

Dieser entgegnete: »Ich weiß jetzt, wie es sich in der Tat damit verhält, denn nirgends habe ich mich so glücklich gefühlt wie unter euch.«

1

Die Frau, die die Neuvermählte begleitet und ihr die Pflichten der Ehegattin auseinandersetzt.

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 1, S. 363-368.
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