Erster Auftritt

[81] Straße in Mainz. Rechts ein großes Haus mit einem Marienbilde. Links eine Hütte, Caspars Wohnung.


Faust allein; dann Mephistopheles.


FAUST. Zwölf Jahre vergangen, die ganze Welt durchstreift, und doch keine Freude, kein Genuß. Wenn ich meinte, es wär Gold, so war es Heckerling. Der schäumende Becher der Lust hat bittere Hefe. Und wie oft ward er mir vor dem Munde weggerißen, als sollt ich schon hier die Qualen der Hölle empfinden. Hab ich für solchen leeren Schein die ewige Seligkeit verscherzt, so war ich ein Thor, ein rasender Thor. In der Fremde hielt ichs nicht aus: von meinem Lebensquell abgeschnitten meinte ich zu versiegen, und nun mich das[81] Heimweh zurückzog, ist mir im Vaterland Alles was ich sehe ein nagender Vorwurf. Wie glücklich war ich hier, da ich ein Kind war, da ich noch glauben, noch beten konnte. Und warum kann ich nicht mehr beten? Weil ich nicht glauben kann? Nicht glauben? Muß ich nicht? O daß ich nicht müste! Hab ich den Beweis doch in Händen! Wenn ein Teufel ist, so ist auch Gott. Aber diesem Gott hab ich abgesagt, diesen Gott hab ich verschworen! Darum kann ich nicht beten, denn Gebet ist Gnade des Himmels und für mich ist keine Gnade. O wie bereu ich! – Reue? Wo Reue ist, da ist auch Gnade. Hätt ich nur rechte Reue, vielleicht wär auch für mich noch Gnade. Versinkt in Betrachtung.

MEPHISTOPHELES berührt ihm die Schulter.

FAUST erkennt ihn und fährt schaudernd zurück. Ihr hier?

MEPHISTOPHELES. Was ist euch? Seid ihr krank? Wollt ihr Mönch werden? Was soll das kopfhängerische Wesen? In Mainz, dacht ich, sollte das lustige Leben erst recht angehen, und nun schleicht ihr umher wie ein Duckmäuser. Ihr habt mich oft geplagt und in Schweiß gesetzt, wenn ich die Straße vor euerm Wagen pflastern, euch Wege durch die Luft zu bauen Balken und Bohlen hinten abbrechen und vorn wieder ansetzen muste, und[82] hab ich je gemurrt, wenn ihr mir zu schaffen gabt? Aber jetzt beklag ich mich mit Recht, denn ihr werdet langweilig und Langeweile kann selbst der Teufel nicht vertragen.

FAUST. Laß mich. Störe mich nicht.

MEPHISTOPHELES. Ich will euch aber stören. Ihr müßt mir zu schaffen geben.

FAUST. Muß ich? Wohlan denn, so höre.

MEPHISTOPHELES. Redet.

FAUST. Weist du, was in unserm Pact geschrieben steht, daß du verpflichtet bist, mir auf alle Fragen, die ich thun werde, die lautre Wahrheit zu sagen?

MEPHISTOPHELES. Ich weiß, daß ihr so thöricht wart zu glauben, der Vater der Lügen werde euch die Wahrheit sagen.

FAUST. Thust dus nicht, so ist unser Pact gebrochen.[83]

MEPHISTOPHELES. Ich hab euch noch nie gelogen.

FAUST. So höre denn was ich dich frage und antworte die lautre Wahrheit.

MEPHISTOPHELES. Frage.

FAUST. Kann ich noch zu Gott kommen?

MEPHISTOPHELES steht zitternd und bebend.

FAUST. Antworte die lautre Wahrheit.

MEPHISTOPHELES stotternd und kleinlaut. Ich weiß nicht.

FAUST. Du weist es. Antworte oder unser Pact ist gebrochen. Kann ich noch zu Gott kommen?

MEPHISTOPHELES verschwindet mit Heulen.[84]

FAUST fällt auf die Kniee vor dem Marienbilde an seinem Nachbarhause. Dank dir, Mutter des Heilands! Ich bin erlöst, bin gerettet! O ich kann wieder beten, kann weinen, der Quell der Reue ist nicht versiegt. Betet.


Quelle:
Simrock, Karl: Doctor Johannes Faust. Frankfurt am Main 1846, S. 81-85.
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