Ida schlummert

[288] Sanft, wie Frühlingshauch im Abendwinde,

War die schöne Seele, die hier ruht;

Streue deine Blüthe, duft'ge Linde,

Sanft geröthet von der Abendglut,

Opfernd auf den Rasen nieder!

Feiert, Philomelens Lieder!

Abendwinde hebet leis' die Flügel,

Ida schlummert unter diesem Hügel!


Wie die Unschuld schön im Lilienkranze,

Ihrer hohen Schönheit unbewusst,

Schwebte sie daher im leichten Tanze,

Einen Himmel in der reinen Brust;

Die Empfindung hob den Busen,

Glühend für die holden Musen,

Alles Schöne, alles Gute strebte

Hold empor, wo meine Ida lebte!


Nimmer fröhnte sie dem äussern Scheine,

Uebte stets im Stillen jede Pflicht;

Geist und Herz im seligsten Vereine,

Kannte Trug und Täuschung sie noch nicht;

Wahrheit war ihr hehr und theuer,

Und der Vesta heil'ges Feuer

Hob die Brust, den Tempel jeder Tugend,

Und verklärte ihre holde Jugend!
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Und sie starb, zu schön für diese Räume,

Eines bessern Lebens frühe werth,

Sanft entrückt dem Schattenland der Träume,

Das nur selten stille Tugend ehrt!

Hin zur amaranthnen Laube

Trug sie früh der fromme Glaube,

Wo die Schwestern ihres Geistes wohnen

Unter Palmen, und mit Sternenkronen.


Blumen will ich um den Hügel streuen,

Hold und zart, wie ihre Seele war;

Ihrer Tugend einen Tempel weihen,

Unserm Bunde einen Hochaltar;

»Ida,« flüstert's durch das Schweigen

In den nahen Rosenzweigen,

»Ida,« tönt's im stillen Abendliede,

Und der bange Schmerz wird Himmelsfriede! –

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 288-290.
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