An Marienwerder, bei Hannover

[130] Im Julius 1805.


In Stunden heiliger Erinnerung,

Wo der geschwundnen Tage heitres Bild

Zu süßer Nachempfindung uns umschwebt,

Wo auch die längst verblühte Blume noch

Mit ihrem Duft die Seele sanft umwallt;

Da weil' ich noch bei jenem Wonnetag,

Wo ich Marienwerder, dich! erblickt,

Wo ich in deinem Zauberhaine mich

Schon in Elysium hinüber träumt',

Wo ich, im Taumel meiner Wonne, rief:

»Hier wohnt ein Gott in diesem Feen-Thal!

Hier weht sein Athem überall um mich;

Hier, wo im reinsten Einklang sich vereint

Geschmack und Kunst, und Schönheit und Natur,

Hier ist der Himmel, hier ist meine Welt

Wie Traumgestalten flohen sie dahin

Die Schattenfreuden, die die Erde giebt[131]

Dem armen Menschen, der nichts höh'res kennt,

Als rauschende und immer neue Lust,

Als jenes Glück, das Thorheit Größe nennt.

So selig werd' ich nimmer wieder seyn,

Als ich in dir, Marienwerder, war. –

Ein heil'ges Säuseln wallt in deinem Hain,

In deiner Palmen Schatten wohnt die Ruh,

Die stille Lust, wie sie der beßre Mensch,

Dem Himmel gleich, in seinem Busen trägt.

Hier winket dichter Lauben Rosenduft,

Des Geißblats Schattendach zum Rasensitz;

Dort führt ein Pfad durch bunte Blumen-Au'n,

Dem Bach entlang, der über Goldsand rinnt,

Da strömt in kleinen Wellen leise hin

Der blauen Leine klarer Silberstrom,

Am nahen Ufer malerisch umkränzt; –

Des grauen Klosters Zinnen schimmern dort

Im Abendgold durch zitterndes Gebüsch.

Hier führt ein Pfad am grünen Hügel hin

Zum stillen Hain, wo ew'ge Ruhe wohnt,

Zerstreute Gräber liegen einsam da,

Bedeckt mit grauem Moos und Leichenstein[132]

Und Flittergold, das um die Kreuze rauscht;

In diesem öden Garten stiller Ruh

Liegt einsam abgeschieden von der Welt,

Die Wohnung eines Klaußners, alt und grau,

Gebaut von Baumbork' und von rauhem Stein;

Die Armuth, die die inn're Wohnung zeigt,

Die Andacht, die aus offner Bibel spricht,

Und jene Todten-Maale ringsumher

Erfüllen uns mit schauerlichem Ernst,

Mit Mitgefühl und sanfter Wehmuth Schmerz!

Ach, süßre Thränen gab die Welt mir nie,

Als hier mein Aug' sie tief bewegt vergoß,

So überirdisch – nahe jenem All,

Wie in Marienwerders Zauberhain,

Hat niemals, niemals wieder die Natur

In süße Träumereien mich versetzt.

Aetherische Gestalten sah' ich dort,

Der Gottheit Bild in jedem Blüthenzweig,

Gedanken, würdig der Unsterblichkeit,

Erhoben mich, durchbebten meine Brust,

Zu meinen Füßen lag die arme Welt! –

Erfüllt das Schicksal meine Wünsche einst,[133]

Und führet mich mein guter Genius

Nach meines Vaterlandes Thälern hin,

Dann weih' ich dir, und der Erinnerung

Noch eine Thräne, wie sie Freude weint! –

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 130-134.
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