An eine Freundinn

[20] Hier in dieser dicht umzognen Grotte,

In des Waldes schauerlichem Grün,

Wo der Linde weiße Silberblüthen

Tanzend durch die lauen Lüfte fliehn,


Hier will ich, umsäuselt von Zefyren,

Mich in dir, o heil'ger Schattenhain,

Der Erinn'rung meiner Hohen, Süßen,

Meiner ewig theuren Nora weih'n.


Selig war vor allen meinen Tagen

Der, der, Holde! mich dich finden ließ,

Wo ich wonnetrunken dir am Busen

Sagte, was mich Freude sagen hies.


Deine Freundschaft gäb' ich nicht für Kronen,

Nicht für Peru's goldne Schätze hin.

Noch dereinst an meines Lebens Abend

Soll mein Herz voll Liebe für dich glüh'n.
[21]

Dorten, wo schon Rosenlauben sprossen,

Deren Duft einst unsern Geist umfließt,

Wo der Bräut'gam ewig die Verlobte

Mit verklärten Engelsblicken grüßt,


Wo der Gatte seine Gattinn findet,

Wo der Freund dem Langbeweinten winkt,

Wo der früh beweinte Liebling jauchzend

Seiner Mutter in die Arme sinkt,


Dorten find' ich meine edle Freundin,

Wo kein Schmerz und keine Trennung ist,

Wo mein Geist sich ewig an den deinen

Im Entzücken höh'rer Wonne schließt.

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 20-22.
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