An einen entfernten Freund

[42] Im leichten Flügelkleide

Hüpft' ich auf bunter Flur;

Da liebt' ich Scherz und Freude,

Wie Kinder der Natur.


Die kleinen Wünsche waren

So leicht, so bald gestillt,

Sie stiegen mit den Jahren,

Und blieben unerfüllt.


Mir duften keine Blüthen,

Mir sind die Fluren leer;

Der Sonne Strahlen glüh'ten

Für mich schon längst nicht mehr.


Ich seh' sie golden prangen

Und purpurn untergehn,

Aurorens Rosenwangen; –

Des Abends laues Weh'n;
[43]

Der Bach im Veilchenthale,

Der über Kiesel fließt,

Die Quelle, die vom Strale

Des Mondes wird begrüßt;


Wo ich auf weichem Moose

Im kühlen Schatten lag,

Und mir die schönste Rose

Zum Busenstrauße brach;


Wo ich im Sonnenhütchen

Mit leichten Schritten sprang,

Und mir dabei ein Liedchen

Nach meiner Weise sang;


Wo unter Apfelbäumen

Ich goldne Früchte las,

Und oft in meinen Träumen

Die ganze Welt vergaß;


Wo mich im weißen Kleide

Umbrämt mit Rosaflor,[44]

Die Unschuld und die Freude

Zur Lieblingin erkohr;


Wo mir am nahen Teiche,

Durch Lauben von Jasmin

Und rother Trauben Sträuche,

Die Abendsonne schien. –


Dahin ist ihre Schöne,

Seitdem du ferne bist,

Und heisser Sehnsucht Thräne

Aus wundem Auge fließt!

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 42-45.
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