64. Schellenmoriz.

[74] Mündlich aus Halle.


In der Morizkirche zu Halle steht das Bild des heiligen Mauritius, ihres Schutzherrn, in Stein gehauen. Es ist 1411 von Konrad von Eimbeck gearbeitet, und nach der Sitte der Zeit ist das Gewand des Heiligen mit Schellen besetzt.1 Das Volk nennt ihn darum Schellenmoriz, und es knüpft folgende Sagen an ihn.

Moriz war der Erbauer der Morizkirche, und er war so jähzornig, daß er, wenn er auf den Bauplatz kam und ein Arbeiter eben ausruhte, ihn gleich todtschlug. Nachträglich bereute er den Mord stets, und um sich ferner vor solchem Unrecht zu schützen ließ er sich einen Rock mit Schellen machen und bat die Arbeiter, wenn sie an den Schellen hörten daß er[74] komme und grade feierten, gleich an die Arbeit zu gehen, damit er keinen von ihnen zu strafen brauche.

In dem Dorfe Lettewitz bei Wettin heißt es, Schellenmoriz habe bei einem vornehmen Herrn, welcher das Dorf erbaute, als Aufseher gedient, und weil er die Arbeiter, wenn er sie müßig traf, immer gleich erschlug, habe ihm sein Herr die Schellen angehängt, so daß ihn die Arbeiter von fern kommen hörten und sich vorsehen konnten.2

In Halle erzählt man außerdem daß zu derselben Zeit, als Schellenmoriz die Morizkirche aufführte, seine Schwester die Morizburg baute. Die Schwester war liebreich gegen Jedermann, und sie wettete mit ihm, wer früher mit dem Baue fertig sein und wer mit den Arbeitern besser auskommen werde, er mit seiner Strenge oder sie mit ihrer Milde. Wenn Schellenmoriz nun einen Arbeiter nicht bei der Arbeit fand, erschlug er ihn mit dem Stabe, den er noch im Bilde in der Hand hält. Seine Schwester ließ ihm deshalb, um die Arbeiter vor so übermäßiger Strafe zu sichern, den Schellenrock machen. Obwohl die Morizburg weit größer und prachtvoller war als die Kirche, wurde sie doch früher fertig. Als nun die Schwester den Schellenmoriz in der Burg umherführte und ihm Alles zeigte, wie es so herrlich eingerichtet war, erfaßte ihn ein solcher Neid, daß er sie aus einem Fenster der Burg in den Grund hinab stürzte. Dem[75] Baumeister aber, welcher die Kirche gebaut hat, drehte er zur Strafe, daß sie nicht früh genug fertig wurde, den Hals um, und zum Andenken ist der Baumeister am Fußgestell der Bildsäule eingehauen; denn für ihn erklärt das Volk die liegende Gestalt unter Mauritius, in welcher der Künstler den Kaiser Maximinian dargestellt hat.

Fußnoten

1 Vergl. Dreyhaupts Chronik des Saalkreises 1,744. 1085.


2 Vergl. unten die Pfingstgebräuche.


Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 74-76.
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