Sechszehntes Capitel.

[170] Es war vier Uhr, als wir aufbrachen, trotzdem aber lag es schon wie Dämmerung auf den Stoppelfeldern, über die wir jetzt, einem Fußsteig folgend, nach Zehrendorf schritten. Von Himmel und Wolken konnte man heute nicht sprechen, da die ganze Atmosphäre mit trübem Wasserdunst angefüllt war, durch welchen jeder Gegenstand ein sonderbar fremdes, unheimliches Ansehen erhielt. Wir schritten rasch neben und manchmal hintereinander her, denn der Fußpfad war sehr schmal und in Folge des unendlichen Regens sehr schlüpfrig. Eben sprachen wir darüber, was wir Konstanze sagen wollten, im Falle wir ihr doch gegen unsern Wunsch begegnen sollten, als wir zu gleicher Zeit auf der mit Weiden besetzten Landstraße, welche sich in der Entfernung von vielleicht hundert Schritten neben uns hinzog, eine vom Schlosse kommende, mit zwei Pferden bespannte Kutsche in so großer Eile dahinjagen sahen, daß sie in weniger als einer halben Minute im Nebel verschwunden war, und wir nur noch den dumpfen Hufschlag der flüchtigen Pferde und das Rollen des[170] Wagens auf dem höckerigen Fahrdamm hörten. Hans und ich sahen uns erstaunt an.

»Wer kann das sein?« fragte Hans.

»Es ist der Steuerrath,« sagte ich.

»Wie soll der hierher kommen?« fragte Hans.

Ich antwortete nicht; ich konnte doch Hans nicht von dem Briefe erzählen, welcher die directe oder indirecte Mitschuld des Steuerraths bewies, und wie wahrscheinlich es sei, daß der Mann versucht haben werde, den Bruder zu warnen, nachdem, so oder so, die Sache zu Tage gekommen. Welche Nachricht aber hatte er gebracht? Konnte sie noch dem unglücklichen Mann, auf welchen der Verrath lauerte, zugute kommen?

»Lassen Sie uns eilen, was wir können,« rief ich, indem ich, ohne Hans' Antwort abzuwarten, voranstürmte, und Hans, der ein trefflicher Läufer war, mir auf dem Fuße folgte.

In wenigen Minuten hatten wir das Thor erreicht, das von dieser Seite auf den Hof führte. Vor dem Thore war eine steinerne Bank angebracht, für Leute, die auf das Aufschließen des Thores warten mußten, und auf dieser Bank saß oder vielmehr lag der alte Christian, dem aus einer frischen Wunde auf der Stirn das Blut über das bleiche, runzelige Gesicht floß. Eben, als wir herankamen, wachte er aus einer halben Ohnmacht auf und starrte uns mit verwirrten Blicken an. Wir richteten ihn in die Höhe; Hans schöpfte aus einer Regenlache in der Nähe Wasser in die hohle Hand und goß es dem Alten über das Gesicht. Die Wunde war nicht tief und schien von einem Schlage mit einem stumpfen Werkzeug herzurühren.

»Was ist geschehen, Christian?« hatte ich schon ein halbes Dutzend mal gefragt, ehe der arme alte Mensch so weit wieder zu sich kam, um mit schwacher Stimme antworten zu können:

»Was soll geschehen sein? Weg ist sie! und er hat mich mit dem Peitschenstiel über's Gesicht geschlagen, als ich ihm das Thor zusperren wollte.«

Ich hatte genug gehört. Wie ein Raubthier, dem sein Junges gestohlen ist, sprang ich fort nach dem Hause. Die Thüren standen auf: die Hausthür, die zum Speisezimmer, die zu Herrn von Zehren's Zimmer. Ich stürzte hinein, da ich[171] drinnen hämmern und rumoren hörte. Vor dem Secretär Herrn von Zehrens kniete die alte Pahlen und arbeitete, während sie dabei wüthend schalt, mit einem Küchenbeil und Stemmeisen an dem Schlosse. Sie hatte mein Kommen nicht gehört; ich riß sie mit einem Griff in die Höhe, sie fuhr zurück und stierte mich mit Blicken an, die von ohnmächtiger Wuth funkelten. Das graue Haar hing ihr in Zotteln unter der schmutzigen Haube hervor, in der Rechten hielt sie noch das Beil. Das scheußliche Weib, dessen grundböse Natur jetzt offen hervortrat, gewährte einen entsetzlichen Anblick, aber ich war nicht in der Stimmung, mich durch einen Anblick, und wäre er noch entsetzlicher gewesen, einschüchtern zu lassen.

»Wo ist sie hin?« donnerte ich sie an. »Sie müssen es wissen, denn Sie haben ihr weggeholfen!«

»Ja, das hab' ich,« schrie die Hexe, »das hab' ich, und Gott soll mich verdammen, daß ich es habe! Das undankbare, nichtswürdige Geschöpf hat mir versprochen, mich mitzunehmen, und läßt mich mit Schimpf und Schanden hier in der Räuberhöhle, aber sie wird's ja noch an sich erleben, wenn er sie auf die Straße wirft, die –«

»Weib, noch ein Wort und ich schlage Dich zu Boden!« rief ich, indem ich drohend die Faust erhob.

Die Alte brach in ein kreischendes Gelächter aus. »Nun fängt der auch noch an,« rief sie, »dem haben sie eine schöne Nase gedreht! der dumme Junge! glaubt, er sei der Hahn im Korbe, während der Andere Nacht für Nacht bei ihr gewesen ist! Läßt sich auch noch wegschicken, damit der Andere in der Kutsche kommen und die saubere Mamsell holen kann!« Und wieder kreischte die Alte in wahnsinnigem Gelächter auf.

»Dem sei nun wie ihm wolle,« sagte ich, indem ich mich, dem gräulichen Weibe gegenüber, zwang, den rasenden Jammer, der mein Herz schwellen machte, niederzukämpfen. »Ihnen ist auf jeden Fall recht geschehen, und wenn ich Sie nicht als eine Diebin, die Sie sind, vom Hofe herunter hetzen soll, so machen Sie im Augenblick, daß Sie fortkommen.«

»Ei, sieh doch,« kreischte das Weib, die Arme in die Seite stemmend, »wie der hier das große Wort führt? Eine Diebin? so! ich will blos mein Geld; ich habe seit einem halben Jahre[172] keinen Lohn bekommen von der Bettlerbagage, von der Schmugglerbande!«

Sie hatte von mir in den zwei Monaten meines Aufenthalts auf Zehrendorf mehr bekommen, als ganz gewiß ihr Jahreslohn betrug, und ich hatte selbst gesehen, wie Herr von Zehren ihr noch vor wenigen Tagen ihren Lohn ausgezahlt und ein großes Trinkgeld dazu gegeben hatte.

»Hinaus,« rief ich, »hinaus und herunter vom Hof, im Augenblick!«

Die Alte faßte nach dem Beil, aber sie wußte recht gut, daß ich nicht so leicht in Furcht zu setzen war. So wich sie denn vor mir zurück, zu dem Zimmer und zu dem Hause hinaus, indem sie dabei fortwährend in den höchsten Tönen die entsetzlichsten Schimpfreden und wildesten Drohungen gegen Herrn von Zehren, gegen Konstanze und mich ausstieß. Ich machte selbst das große Hofthor hinter ihr zu und wandte mich dann zu Hans, der eben aus dem Leutehause heraus kam, wohin er den alten Christian gebracht hatte.

Hans war ganz blaß und sah mich nicht an, als er an mich herantrat. Er hatte von Christian genug erfahren, daß er mich nicht um die näheren Details von Konstanzens Entführung zu befragen brauchte; und er mochte mich nicht sehen lassen, wie hart ihn der Schlag getroffen, der ihm sein Götterbild in den Koth schleuderte, der ihm seine einzige Illusion, den letzten Schimmer von Poesie in seinem armen Leben so grausam zerstörte. Ich ergriff und drückte seine Hand.

»Was nun?« fragte ich.

»Wenn ich ihm nachjagte und ihm den Schädel einschlüge,« sagte Hans.

»Vortrefflich,« erwiederte ich, mit einem Gelächter, das mir nicht von Herzen kam, »falls er sie gewaltsam entführt hätte; aber da sie sich sehr gutwillig hat entführen lassen ... Kommen Sie! die Sache ist wahrlich nicht werth, daß wir auch nur einen Augenblick weiter daran denken.«

»Sie haben sie nicht sechs Jahre lang geliebt,« sagte der arme Hans.

»Dann satteln Sie sich Herrn von Zehren's Braunen und reiten Sie ihm nach,« sagte ich; »aber entscheiden müssen wir uns.«

Hans stand unschlüssig da: »Ich hätte Ihnen bei Gott gerne geholfen,« sagte er.[173]

»Reiten Sie ihm nach und züchtigen Sie den Buben, wenn Ihnen so zu Muthe ist!« rief ich, »mir soll es recht sein. Nur muß gleich geschehen was geschehen soll.«

»Dann will ich's thun,« sagte Hans und ging mit langen Schritten nach dem Pferdestall, wo, wie er wußte, Herrn von Zehren's Reitpferd stand, ein starkknochiges Jagdpferd, das seine besten Jahre hinter sich hatte und in jüngster Zeit, wo Herr von Zehren wenig mehr ritt, sehr vernachlässigt wurde.

Es war auf dem Hofe ein junger halbwüchsiger Bursche, der allerlei Arbeit verrichtete und von den Anderen sehr gehudelt wurde. Der kam jetzt zu mir heran und sagte, der Jochen sei vor einer Stunde dagewesen und habe sich den Karl, der in dem Futterraume Häcksel geschnitten, und den Hanne, der in der Leutestube gesessen, geholt; so habe er Karl's Arbeit übernehmen müssen. Von dem, was unterdessen vorgefallen, hatte er hinten in seinem dunkeln Futterraume nichts gesehen und gehört.

Dem sehr einfältigen, halb blödsinnigen Menschen eine Rolle zu ertheilen, wie sie Christian hatte übernehmen sollen, wäre Thorheit gewesen; aber da er ein guter Junge war, konnte ich ihm immerhin die Sorge für den Alten und die Bewachung des Hofes anvertrauen. Er sollte von Zeit zu Zeit mit dem Hunde, den ich von der Kette ließ, die Runde machen und unter keiner Bedingung die alte Hexe, die ich soeben vom Hofe gejagt und von der ich mir das Schlimmste versah, wieder hereinlassen. Fritz versprach, meinen Befehlen genau Folge zu leisten. Dann lief ich in das Haus und steckte Herrn von Zehren's Pistolen, die geladen an der Wand hingen, zu mir.

Als ich wieder auf den Hof kam, sah ich eben noch Hans aus dem Thor galoppiren. Eine tolle Eifersucht erfaßte mich. Weshalb durfte ich nicht an seiner Stelle sein? Die gefaßte Ruhe, die Gleichgiltigkeit, die ich eben zur Schau getragen – es war Alles nur Heuchelei gewesen – ich hatte nur das eine Verlangen: mich rächen zu können an ihm, an ihr; aber ich mußte es dem Hans überlassen; er hatte sie sechs Jahre geliebt!

So tobte es in mir, während ich im schnellsten Schritt durch die Felder, über die Wiese, zuletzt über die Haide nach Zanowitz eilte. Wie sehr ich mich auch bemühte, meine Gedanken[174] auf das zu richten, was mir zunächst oblag, immer wieder schweiften sie zu dem zurück, was eben geschehen war, obgleich ganz vergeblich. Es lag wie ein schwerer Alp auf mir. Ich erinnere mich, daß ich einmal stillstand und laut aufschrie zu dem grauen Nebelhimmel. Erst als ich die Dünen erreichte, kam mir mit der Nothwendigkeit, jetzt einen bestimmten Plan zu fassen, die Besinnung wieder.

Das Wetter hatte sich unterdessen etwas aufgeklärt, der Wind war umgesprungen; es regnete nicht mehr und der Nebel hatte sich gehoben; es war jetzt, obgleich die Sonne bereits untergegangen sein mußte, heller, als eine Stunde zuvor. Von der Höhe der Dünen auf Zanowitz hinabblickend, sah ich den hellen Himmel in scharfer Linie von dem dunkeln Meere sich abheben, das noch immer, obgleich nicht mehr mit der Heftigkeit von heute Morgen, seine Wogen heranwälzte. Die größeren Fahrzeuge auf der Rhede konnte ich nur noch mit Mühe erkennen, aber die Reihe der auf den Strand gezogenen Boote sah ich deutlich, ebenso wie die Jolle, die eben herangerudert kam auf eine kleine Gruppe von Männern zu, die dort stand. Wenn dies die Letzten von Pinnow's Gesellschaft waren, so hätte ich keine Minute später kommen dürfen. Möglich war es freilich auch, daß die dunkeln Gestalten bereits Zollbeamte waren; doch hätte ich mir sagen können, daß die Wahrscheinlichkeit nicht groß sei. Zanowitz steckte voll von Schmugglern; eine offenbare Verrätherei durfte Pinnow kaum wagen. Nicht daß man versucht haben würde, eine von ihm geleitete Expedition der Steuerbeamten gewaltsam zu verhindern; aber er wäre von Stund' an, sobald er offen handelnd auftrat, der Rache der Schmuggler verfallen und seines Lebens keinen Augenblick mehr sicher gewesen. Wie also auch der Verrath gesponnen sein mochte, die Verräther hatten jedenfalls dafür gesorgt, daß ihr Spiel für alle Andern vollständig verdeckt war.

Das zu überlegen hatte ich freilich keine Zeit. Ich überlegte eben gar nicht, sondern sprang die Dünen hinab. Als ich mich der Gruppe näherte, löste sich ein Mann von derselben ab und kam auf mich zu. Er hatte sich den Kragen seiner Jacke so weit als möglich in die Höhe und den breiten Rand seines Südwesters so tief als möglich in die Stirn gezogen; dennoch erkannte ich ihn sofort.

»Guten Abend, Pinnow,« sagte ich.[175]

Er antwortete nicht.

»Es ist gut, daß ich Sie treffe,« fuhr ich fort, »ich hörte heute Morgen von Ihnen, Sie würden möglicherweise noch heute Abend nach Uselin segeln; ich wollte Sie bitten, mich mitzunehmen.«

Pinnow antwortete nicht.

»Sie werden mich schon mitnehmen müssen,« sagte ich weiter, »ich habe mich schon vollständig auf die Fahrt vorbereitet. Sehen Sie,« und ich schlug meinen Ueberwurf zurück und zog eine der Pistolen halb aus dem Gürtel, »sie sind scharf geladen.«

Pinnow antwortete nicht.

»Wollen Sie vielleicht gleich einmal an sich selbst probiren, ob sie geladen sind?« fragte ich weiter, indem ich die Pistole ganz hervorzog und den Hahn spannte.

»Kommen Sie,« sagte Pinnow.

Ich setzte den Hahn in Ruh, steckte die Pistole wieder in den Gürtel und hielt mich einen Schritt rechts ein wenig hinter Pinnow. Ich sagte zu ihm:

»Glauben Sie nicht, daß Sie bei den Leuten da Schutz finden; ich bleibe an Ihrer Seite, und beim ersten Worte, mit welchem Sie dieselben gegen mich aufhetzen, sind Sie ein todter Mann. Wie viel haben Sie schon an Bord?«

»Zehn Mann,« brummte Pinnow. »Uebrigens weiß ich nicht, was Sie von mir wollen; machen Sie die Sache mit oder machen Sie sie nicht mit; mir ist den Teufel daran gelegen.«

»Das werden wir sehen,« sagte ich.

Wir traten jetzt zu der Gruppe, die aus meinem langen Freunde Jochen, Karl und Hanne, unsern Knechten und aus dem taubstummen Jakob bestand, der die Jolle herüber gerudert hatte.

»Er will mit,« sagte Pinnow lakonisch, indem er selbst Hand anlegte, die Jolle tiefer in's Wasser zu schieben.

Dem Jochen glaubte ich die Bestürzung über meine Dazwischenkunft auf dem brutalen Gesichte lesen zu können. Er suchte in den Augen seines Spießgesellen eine Erklärung des Räthsels, aber Pinnow war nur mit der Jolle beschäftigt. Die beiden Andern standen bei Seite. Sie wußten offenbar nicht, was dies Alles zu bedeuten hatte.

»Es werden nur vier fest,« sagte Pinnow.[176]

»Und das reicht auch vollkommen aus,« sagte ich. »Ihr, Karl und Hanne, geht nach Hause und haltet Euch da ganz ruhig, hört Ihr?«

»Ich kann auch nach Hause gehen,« sagte Jochen trotzig.

»Einen Schritt von der Stelle,« schrie ich, ihm die Pistole vor das Gesicht haltend, »und Du hast zum letzten mal auf Deinen Beinen gestanden. Marsch hinein!«

Jochen Swart gehorchte.

»Jetzt Sie, Pinnow!«

Pinnow that, wie ihm geheißen. Ich folgte.

Wir hatten wohl zwanzig Minuten zu rudern, bis wir an dem Kutter ankamen, denn die Brandung war stark, und der Kutter hatte wegen seines Tiefgangs ziemlich weit draußen vor Anker gehen müssen. Dieser Umstand vereitelte einen Plan, den ich noch in der letzten Minute gefaßt, nämlich: die ganze Bande wieder an's Land zu setzen und mit Pinnow und Jochen allein zur Jacht zu fahren. Ich sah, daß über dem Hin-und Herrudern im besten Falle eine Stunde vergehen würde, und mir lag Alles daran, so früh als möglich mit Herrn von Zehren zusammenzukommen. Was konnte nicht Alles in einer Stunde geschehen?

Wir langten am Kutter an, der auf den Wellen vor seiner Ankerkette tanzte, wie ein Pferd, das ungeduldig ist, fortzukommen, im Geschirr steigt. Wir gingen längsseit, ich sprang an Bord, mitten zwischen die schwarzen Gestalten hinein.

»Guten Abend, Leute!« sagte ich. »Ich will auch dabei sein. Die Meisten von Euch werden mich kennen. Sie wissen, daß ich ein guter Freund von Herrn von Zehren bin; übrigens bürgen Pinnow und Jochen Swart für mich.«

Ich glaube, es hätte dieser Bürgschaft, die übrigens von den Genannten durch ihr Schweigen gegeben wurde, nicht einmal bedurft. Ich war wiederholt mit Herrn von Zehren (auch den Tag vorher) in Zanowitz gewesen und hatte wohl mit jedem der Leute einmal gesprochen. Mein intimes Verhältniß zu Herrn von Zehren war ihnen wohlbekannt; so schienen sie denn auch nichts Besonderes darin zu finden, daß ich an einer Expedition theilnehmen wollte, die für Rechnung ihres und gewissermaßen meines Patrons ausgeführt wurde. Es antwortete mir Keiner – wie denn diese Leute nie ein Wort verlieren – aber sie machten mir willig Platz. Meine Annahme, daß Pinnow und Jochen Swart die einzigen Verräther[177] seien, war bestätigt. Vorläufig waren sie also in jeder Beziehung in meiner Hand. Wenn ich den Leuten mittheilte, was ich wußte, so flogen vermuthlich die sauberen Spießgesellen über Bord. Die Leute von Zanowitz verstanden in diesen Dingen keinen Spaß.

Ich sagte das zu Pinnow, indem ich mich zu ihm an's Steuer stellte.

»Thun Sie, was Sie wollen,« brummte er, während er ein Stück Kautabak in den breiten Mund steckte.

Obgleich Christels Angaben so bestimmt gewesen waren, machte die unverwüstliche Ruhe des Mannes jetzt, wo er wußte, daß sein Leben jeden Augenblick auf dem Spiele stand, mich doch stutzig. Hatte Christel sich in ihrer Aufregung getäuscht, verhört? War ich ohne Noth in die Gesellschaft dieser unheimlichen Gesellen gerathen, die bei Nacht und Nebel ihr gefahrvolles Gewerbe trieben?

Unterdessen stampfte der Kutter, der ein ausgezeichnetes Fahrzeug war, in die Wellen. Der Himmel hatte sich mehr und mehr aufgeklärt; es war immer noch so viel Licht, daß man auf zwei-, dreihundert Schritte mit einiger Deutlichkeit vor sich sehen konnte. Doch war es bitter kalt, und das Spülwasser, das oft in ganzen Massen auf den Kutter stürzte, trug gerade nicht dazu bei, die Situation angenehmer zu machen. Das immerhin doch kleine Fahrzeug war von den vierzehn Menschen, die es an Bord hatte, dicht besetzt. Wohin man blickte, lag oder kauerte eine dunkle Gestalt. Pinnow saß am Steuer. Indem ich mich fortwährend in seiner unmittelbaren Nähe hielt und ihn also ganz genau beobachten konnte, wurde ich mit jeder Minute zweifelhafter, ob nicht Alles auf ein Mißverständniß hinauslaufe. Da saß der breitschulterige Mann, und keine Muskel in seinem Gesichte regte sich, nur daß er von Zeit zu Zeit mit einer langsamen Bewegung der unteren Kinnlade den Tabak aus einer Backe in die andere schob, während er die scharfen Augen bald über die Segel, bald über das Meer schweifen ließ. Wenn er, was, da wir kreuzen mußten, alle Augenblicke geschah, Re! commandirte und wir uns bückten, den Segelbaum über uns weglaufen zu lassen, klang seine Stimme so gleichmäßig fest, einmal wie das andere. War es möglich, daß ein Verräther eine so sichere Hand, ein so scharfes Auge hatte und so ruhig Tabak kaute?[178]

»Wie lange, glauben Sie, werden wir noch zu fahren haben, bis wir auf die Jacht treffen?« fragte ich.

»Es kann jeden Augenblick sein,« brummte Pinnow; »vielleicht auch treffen wir sie gar nicht.«

»Das heißt?«

»Das heißt, wenn sich ein Steuerboot hat blicken lassen, werden sie gemacht haben, daß sie in See kommen.«

»Und wie lange werden Sie sie suchen?«

»Ein Stunde; so ist es verabredet.«

»Zwischen Ihnen und Herrn von Zehren oder zwischen Ihnen und dem Steuer-Revisor Blanck?«

Pinnow spritzte den Tabaksaft über Bord und brummte: »Zum letzten mal sag' ich Ihnen, daß ich nicht weiß, was Sie wollen. Wenn Ihnen, wie es scheint, die dumme Dirne, die Christel, aufgebunden hat, daß ich den Angeber gemacht habe, so könnte sie es wohl eher selbst gethan haben. Es sollte mir leid thun, wenn sie ihren alten Pflegevater an's Messer geliefert hätte, um ihn los zu sein; aber wozu ist eine so dumme Dirne nicht im Stande?«

Diese Worte, die der Schmied in seiner groben Weise vor sich hingebrummt hatte, trafen mich seltsam. Hatte ich doch nur noch vor einer Stunde eine Probe davon gehabt, wozu ein verliebtes Mädchen, das seinen Willen durchsetzen will, im Stande ist. Und Pinnow war nur Christels Pflegevater! Sollte sie sich ein glaubhaftes Märchen ausgedacht haben, Herrn von Zehren und mich auf den Alten zu hetzen? Sollte sie den Verrath, den sie dem Alten zuschob, selbst begangen, selbst die Denunciation bei der Steuerbehörde gemacht haben, um ihn, den sie – aus guten Gründen – los sein wollte, auf diese Weise los zu werden? Und hatte ihr nur in der letzten Stunde das Gewissen geschlagen, indem sie bedachte, daß sie auch Herrn von Zehren, dem sie Dank schuldig war, mit in's Verderben stürzen würde? War ihre Beichte nur ein Versuch gewesen, Herrn von Zehren durch mich zu retten?

Ich gebe zu, daß eine Minute ruhigen Nachdenkens hingereicht hätte, mich von der vollkommenen Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme zu überzeugen; aber wie hätte mir in der Situation und in der Stimmung, in der ich mich befand, eine solche Minute werden können!

Eine wilde Lustigkeit überkam mich. Ich lachte laut.[179] War es denn nicht zum Lachen, daß von uns beiden Verbündeten Hans hinter dem saubern Paar her galoppirte, auf der grundlosen Landstraße im Nebelgeriefel, ohne den Schatten eines vernünftigen Grundes für seinen Parforce-Ritt? und war es nicht zum Lachen, daß ich mit einem Eifer und einer Blindheit ohnegleichen seit dem Morgen bis jetzt durch Sturm und Regen unter tausend Aengsten am Narrenseil gelaufen war, dessen anderes Ende zwei Mädchenhände festhielten, von denen ich, zum Dank dafür, die eine inbrünstiglich geküßt und die andere wenigstens herzlich gedrückt hatte! Wahrlich, besser wär's gewesen, er und ich wären sitzen geblieben hinter der Flasche in der warmen Stube! – Aber es soll das letzte mal sein, daß ich so blind wieder in die Schlinge gehe! Das letzte mal!

»Sehen Sie,« sagte Pinnow, indem er mir die Schulter berührte und in demselben Augenblick in einem eigenthümlich langgezogenen, vorsichtig gedämpften Tone Re! commandirte.

Ein mittelgroßes, schmuck getakeltes Boot segelte ein paar hundert Schritte vor uns. Ich erkannte beinahe auf den ersten Blick eines der Steuerboote, der »Blitz« genannt. Ich war zu oft selbst darauf gefahren; ich hatte es zu oft in allen möglichen Segelstellungen gezeichnet, als daß ich mich hätte täuschen können.

»Das ist der ›Blitz‹,« rief ich.

Der »Blitz« hatte in demselben Momente fast, in welchem der Kutter umlegte, ebenfalls seinen Curs verändert und kam hinter uns her.

»Boot ohoi!« schallte es jetzt durch ein Sprachrohr über die siedenden, klatschenden Wellen.

Mein Blut stockte, meine Hand lag am Pistolenkolben. Drehte Pinnow jetzt bei, so war sein Verrath bewiesen.

»Boot ohoi!« schallte es wieder herüber.

»Holt den Fock an!« commandirte Pinnow.

Ich athmete auf. Pinnow's Commando hieß so viel als: Sauve qui peut!

»Boot ohoi!« erschallte es zum dritten mal, und fast in demselben Moment blitzte es auf dem Steuerboot auf und ein durch die Entfernung und das Rauschen der Wellen gedämpfter Knall schlug an mein Ohr.

»Klüverreff aus!« commandirte Pinnow.

Meine Hand ließ die Pistole los. Es war kein Zweifel[180] mehr, daß Pinnow Alles daran setzte, dem verfolgenden Boote zu entrinnen. In meinem tiefsten Herzen frohlockte es; der Mann an meiner Seite, den ich früher so gern gehabt hatte, obgleich er es nicht um mich verdiente, war kein Verräther! Was würde ich gethan haben, hätte ich gewußt, daß dies Alles ein sorgfältig abgekartetes Spiel war; daß der kaltblütige alte Schurke sich durch meine plumpe Einmischung in der Ausführung des einmal festgestellten Planes nicht im mindesten stören ließ; daß dies Zusammentreffen mit dem Zollboot verabredet war, um dasselbe auf die Spur zu bringen? daß Verfolgung und Flucht nur fingirt waren, um vor den anderen Schmugglern den Verrath zu maskiren? daß die drei oder vier blinden Schüsse, die jetzt auf dem Zollboot abgefeuert wurden, denselben Zweck hatten? Was würde ich gethan haben, hätte ich es gewußt! Wohl mir, daß ich es nicht wußte, so klebt doch wenigstens nicht das Blut eines Menschen an meiner Hand!

Der Kutter schoß jetzt unter der Last seiner Segel, die den Leebord auf das Niveau des Wassers drückte, prachtvoll dahin; der »Blitz« blieb zurück, er wußte warum; es dauerte nicht lange, so war er unsern Blicken entschwunden.

In die bis dahin stumme, fast regungslose Mannschaft des Kutters war etwas von Leben gekommen. Sie hoben die Köpfe, und Einer theilte dem Andern seine Ansicht über den Zwischenfall mit, der übrigens nicht zu den ungewöhnlichen gehörte. Jeder von diesen Leuten war irgend einmal in allzu genaue Berührung mit den Zollwächtern gekommen. Die Freiheit, vielleicht das Leben eines Jeden hatte irgend einmal an einem Faden gehangen. So war die Aufregung nicht gerade groß, scheinbar bei Niemand geringer als bei Schmied Pinnow. Er saß am Steuer gerade so wie vorher, nach den Segeln oder scharf in die Dämmerung hineinblickend, tabakkauend und sonst keine Miene verziehend. Er sprach kein Wort mit mir, als verlohne es sich für einen alten Praktiker nicht der Mühe, mit einem so jungen Menschen über Dinge zu sprechen, die er doch nicht verstand. In meiner Kehle entstand eine Trockenheit, die mich ein paar Mal zu husten zwang; zugleich knöpfte ich den Ueberwurf fester über meine Pistolen.

Da tauchte wieder eine dunkle Masse aus dem Abenddunst, und diesmal war es die lange gesuchte Jacht, ein mittelgroßes[181] Fahrzeug mit nur einem Segel, aber einem Volldeck. In wenigen Minuten lagen wir längsseit, und alsbald wurden auch schon die bereitgehaltenen Waarenballen von dem Deck der Jacht herabgelangt und von der Mannschaft unseres Kutters, die jetzt schnell genug sein konnte, in Empfang genommen. Es ging Alles wunderbar still zu, kaum daß dann und wann einmal ein unterdrückter Ruf oder ein halblaut mit rauher Stimme gegebener Befehl des Kapitäns hörbar wurde.

Ich war einer der Ersten an Bord der Jacht gewesen; aber vergeblich hatte ich mich nach Herrn von Zehren umgeschaut. Schon glaubte ich mich von der Angst, ihn hier zu sehen, erlöst, als er plötzlich aus der Luke, die in den Kajütenraum führte, auftauchte. Sein erster Blick fiel auf mich; er kam auf mich zu, taumelnd, ich glaubte, infolge des Schwankens des Schiffes.

»Nun, zum Teufel, wo kommen Sie hierher?« rief er mit heiserer Stimme; aber ich hatte keine Zeit, ihm eine ausführliche Antwort zu geben. Der Kutter hatte seine Fracht eingenommen, der Kapitän der Jacht trat heran und sagte: »Machen Sie, daß Sie fortkommen!« Er hatte eben erfahren, daß ein Zollboot unterwegs sei, und keine Lust, sein Schiff und die übrige Ladung zu riskiren. »Machen Sie, daß Sie fortkommen,« wiederholte er noch einmal in grobem Ton.

»Also morgen Abend um dieselbe Zeit,« sagte Herr von Zehren.

»Ja, das wollen wir sehen,« sagte der Kapitän und sprang nach dem Steuer, denn die Jacht, die schon vom Anker frei war und das Hauptsegel bereits aufgezogen hatte, begann sich in den Wind zu drehen.

Eine Scene der Verwirrung folgte. Das ohne alle Rücksicht auf den nebenher schwimmenden Kutter ausgeführte Manöver des größeren Fahrzeuges hatte das kleinere fast zum Kentern gebracht. Laute Fluche hinüber und herüber, – ein Knirschen, Knacken, – auf die Gefahr in die See zu stürzen, ein Sprung vom Deck der Jacht in den Kutters, und wir trieben ab, während die Jacht bereits im Wind lag und im nächsten Moment mit vollen Segeln davonschoß.

Das Alles war so schnell vor sich gegangen, dazu das Gewirr der vielen Menschen auf dem kleinen Fahrzeuge, während die Segel wieder gestellt und die Waaren in dem verdeckten[182] Vorderraum sicher beigestaut wurden, so groß, daß es einige Zeit dauerte, bis ich nur an Herrn von Zehren's Seite kam.

Er fluchte noch immer auf den Schuft von einem Kapitän, auf den Feigling, der vor einem lumpigen Zollboot, das er in Grund und Boden segeln könne, ausreiße. Dazwischen fragte er wieder: »Wo kommen Sie her?«

Ich war in Verlegenheit, wie ich diese Frage beantworten sollte. Mein Verdacht gegen Pinnow war beinahe gänzlich verschwunden, und Pinnow saß dicht neben uns am Steuer und hatte die laut gesprochene Frage gehört. Ich begnügte mich daher, zu sagen:

»Ich fürchtete, es könne Ihnen ein Unglück zustoßen, und da wollte ich dabei sein.«

»Unglück?« schrie er; »Dummheit, Feigheit, das ist das Unglück! Der Teufel soll die dummen, feigen Gesellen holen!«

Er setzte sich zu Pinnow und sprach leise mit ihm. Dann wandte er sich wieder zu mir; »Sie haben zwei von den Leuten nach Hause geschickt, das hätten Sie auch bleiben lassen können. Ich brauchte die Leute nothwendig; jeder Buckel ist in diesem Augenblick seine tausend Thaler werth; oder wollten Sie selbst einen Packentragen?«

Er hatte das in einem ärgerlich-bittern Tone gesagt, der mein Blut kochen machte. Wenn ich unüberlegt gehandelt hatte, so hatte ich es gut gemeint; für meine Treue noch ausgescholten zu werden, in Gegenwart Pinnow's – das war zu viel! Ich hatte eine heftige Antwort auf der Zunge, aber ich schluckte meinen Zorn hinunter und ging nach vorn.

Er rief mich nicht zurück, er kam nicht zu mir, mir ein freundlich Wort zu sagen, wie er es noch immer gethan, so oft er mich in seiner Heftigkeit gekränkt hatte Dafür schalt er jetzt in einem kreischenden Tone ein paar Leute aus, ich konnte nicht verstehen, weshalb; aber dieser kreischende Ton, den ich nie an ihm gehört, sagte mir, was ich gleich, als ich ihn zuerst sah, gefürchtet: er war betrunken.

Ein abscheuliches Gefühl des Ekels und des Grams überkam mich. Um dieses Mannes willen, der dort wie ein Rasender sich geberdete, hatte ich gethan, was ich gethan hatte; um seinetwillen war ich hier in dieser wüsten Bande als Theilnehmer an einem Verbrechen, das schon dem Knaben als das abscheulichste erschienen war; um seinetwillen[183] wäre ich beinahe zum Mörder geworden. Und hier in der Tasche hatte ich noch den Brief meines Vaters, in welchem mich der alte Mann gewarnt, in welchem er mir befohlen hatte, wenn mir noch etwas an seiner Ruhe läge, alsbald zu ihm zurückzukehren.

Ich faßte nach dem Brief und berührte die Pistolen, die ich im Gürtel trug. Ich fühlte ein sonderbares Verlangen, mich hier auf der Stelle, inmitten dieser Schmugglerbande, vor den Augen ihres betrunkenen Kapitäns, zu erschießen. Und dann dachte ich wieder an den braven Hans, der für eine Sache, die um kein Haar besser war, seine Haut zu Markte trug. Und doch, murmelte ich, kann er Gott danken, daß er dies nicht mit zu machen braucht!

»Boot ohoi!« schallte es wieder, wie vorhin, und wieder schoß der »Blitz« plötzlich aus der Dämmerung auftauchend, an uns vorüber, und ein paar Schüsse krachten.

Dies war das Signal zu einer Jagd, die wohl eine Stunde währte, und während welcher der Kutter, indem er dem Verfolger in unzähligen kühnen Wendungen entfliehen zu wollen schien, sich nur immer mehr der Stelle der Küste näherte, über welche sich Pinnow und die Steuerbeamten geeinigt hatten, ungefähr eine halbe Meile oberhalb Zanowitz, wo die Tiefe des Wassers erlaubte, bis beinahe unmittelbar an den Strand heranzukommen. Man gelangte von dort nach Zehrendorf entweder auf einem Wege an dem Strand entlang über Zanowitz und von dort über die Haide, oder unmittelbar über die Haide, wo man aber, von dieser Seite kommend, zu Anfang ein großes und berüchtigtes Moor auf Schleichwegen, die nur den Schmugglern bekannt waren, zu passiren hatte. Es war zehn gegen eins zu wetten, daß, wenn Herr von Zehren an der Stelle, zu welcher man den Kutter scheinbar getrieben hatte, landete, er den Weg über das Moor und nicht den am Strande wählen würde.

Ich hatte, während das Zollboot auf den Kutter Jagd machte, mich nicht von der Stelle gerührt, fest entschlossen, komme, was da wolle, keinen activen Theil mehr an der Affaire zu nehmen. Herr von Zehren hatte mir diese passive Rolle leicht gemacht; er hatte, so oft er auch in meine unmittelbarste Nähe gekommen war, mich nicht beachtet. Sein Rausch schien in der letzten Stunde der Aufregung noch zugenommen zu haben; ja er kam mir wie rasend vor. Er[184] verlangte, Pinnow solle das Zollboot in den Grund segeln; er erwiederte das Feuer des Steuerofficianten aus einer von Pinnows alten Flinten, die er in der Kajüte entdeckt hatte, obgleich der »Blitz« sich wohlweislich in einer Entfernung hielt, wo selbst eine weittragende Büchse unwirksam geworden wäre; und als der Kutter, nachdem er eine weite Strecke in die See gefahren war, den Verfolger hinter sich ließ, um dann, zurücksegelnd, den Strand unbelästigt zu erreichen, sprang er sofort über Bord in das seichte Wasser, und die Leute mußten seinem Beispiel folgen, indem jedem von den Zurückbleibenden einer der schweren Packen, die schon zu dem Zweck vorbereitet waren, auf die Schulter gelegt wurde. Es waren ihrer elf Träger, da Pinnow den Bootsknecht, welchen er von Zanowitz mitgenommen, auch noch hergegeben hatte, erklärend, daß er mit dem taubstummen Jakob jetzt allein zurecht kommen könne; so war der eine der zwei Männer, die ich von Zanowitz nach Hause geschickt hatte, ersetzt. Aber da war noch ein zwölfter Packen, der auf dem Decke liegen blieb, und, da Keiner außer mir ihn zu tragen da war, liegen geblieben sein würde, wenn ich ihn mir nicht auf die Schulter gehoben hätte, nachdem ich ihn zuvor an den Rand des Schiffes geschoben und dann in die Brandung gesprungen war, die mir bis über's Knie reichte. Herr von Zehren sollte, wenn ich ihn heute Nacht verließ, nicht sagen können, daß ich ihn um den zwölften Theil seines mit so viel Mühe, so viel Sorge, mit dem Preise der Freiheit und des Lebens so vieler Menschen, mit dem Preise endlich seiner eigenen Ehre erkauften Gewinnstes gebracht habe.

Ein rohes Lachen schallte hinter mir her, als ich den Kutter verließ. Das Lachen kam von Pinnow; er wußte, weshalb er lachte. Der Kutter war, nachdem er seine Last abgesetzt, von selbst wieder flott geworden. Als ich den Strand erreichte und mich umwandte, trieb er langsam vom Lande ab. Er hatte seinen schändlichen Dienst gethan.

Sonderbar! in dem Augenblicke zuckte es durch meine Seele: und er ist doch ein Verräther! Ich weiß nicht, ob das rohe Lachen meinen Argwohn wieder wachgerufen hatte, oder wie es kam, aber ich sagte zu mir selbst, während ich mich, als der Letzte der Reihe, die von Jochen Swart und Herrn von Zehren geführt wurde, anschloß: jetzt muß es sich entscheiden!

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig 1874, S. 170-185.
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